Die Gartenlaube (1873)/Heft 15

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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum: 1873
Erscheinungsdatum: 1873
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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No. 15.   1873.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 16 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Glück auf!
Von E. Werner.


(Fortsetzung.)


Eugenie hatte den Blick fest, aber wie in banger, athemloser Erwartung auf Arthur’s Antlitz gerichtet, als wolle und müsse sie jetzt in seinem Auge lesen, aber dieses Auge blieb verschleiert und die Worte brachten überhaupt gar keine Wirkung hervor. Wohl fuhr ein Zucken durch seine Mienen, als sie das „Mißverständniß“ löste, vielleicht war es ihr auch nur so vorgekommen, denn die Bewegung ging so schnell wie sie kam, aber das Gesicht blieb unverändert und die Stimme hatte den alten eisigen Klang, als er nach einer secundenlangen Pause antwortete:

„Du willst nicht abreisen? Und warum nicht?“

Die junge Frau trat mit voller Entschiedenheit vor ihren Gatten hin. „Du hast mir gestern selbst gesagt, daß es sich in dem bevorstehenden Kampfe um Deine Existenz handelt; daß er bis auf’s Aeußerste ausgefochten wird, weiß ich seit der letzten Begegnung mit Hartmann, und Deine Lage ist jedenfalls noch bedrohlicher, als Du mir zugiebst. Ich kann und werde Dich gerade in solchem Momente nicht verlassen, das wäre eine Feigheit und –“

„Du bist sehr großmüthig,“ unterbrach sie Arthur; aber jetzt barg sich hinter der Kälte seines Tones bereits eine schlecht verhehlte Bitterkeit. „Aber um Großmuth ausüben zu können, dazu gehört auch, daß sich jemand findet, der sie annimmt, und ich nehme die Deinige nicht an.“

Eugeniens Hand drückte sich wie im verhaltenen Zorne fest in die sammetüberzogene Lehne des Sessels. „Nicht?“

„Nein! Der Plan ging von Deinem Vater aus – sei es! Er hat ohne Zweifel das Recht, für seine Tochter, die ihm in Kurzem wieder ganz gehören wird, Schutz und Sicherheit vor den Rohheiten und Excessen zu fordern, die aller Wahrscheinlichkeit nach hier vorkommen werden. Ich gebe ihm darin vollkommen Recht und füge mich unbedingt der morgenden Trennung.“

Die junge Frau hob energisch das blonde Haupt. „Und ich fügte mich ihr nur so lange, als ich sie für Deinen Wunsch hielt; dem bloßen Willen meines Vaters weiche ich darin nicht. Ich habe die Pflichten Deiner Gattin nun einmal übernommen, vor der Welt wenigstens; vor ihr werde ich sie auch durchführen, und sie gebieten mir, Dich im Angesichte dessen, was bevorsteht, nicht feig zu verlassen, sondern an Deiner Seite zu bleiben, bis die Katastrophe vorüber und der ursprünglich beschlossene Termin unserer Trennung da ist. Dann werde ich gehen, eher nicht.“

„Auch nicht, wenn ich es ausdrücklich von Dir verlange?“

„Arthur!“

Der junge Mann stand zur Hälfte abgewendet, seine Rechte zerknitterte nervös eins der Papiere seines Schreibtisches, das er mechanisch ergriffen hatte; die so gewaltsam zusammengeraffte Selbstbeherrschung wollte diesem Blicke und Tone gegenüber nicht mehr Stand halten.

„Ich habe Dich schon einmal gebeten, keine Großmuthsscene mit mir zu spielen,“ sagte er bitter. „Ich bin nicht empfänglich dafür. Pflichten! Eine Frau, die ihrem Manne freiwillig Hand und Herz giebt, die hat die Pflicht, in der Gefahr bei ihm auszuhalten und sein Unglück, vielleicht seinen Untergang zu theilen, wie sie sein Glück getheilt hat – das war unser Fall ja wohl nicht. Wir haben keine Pflichten gegen einander, weil wir nie Rechte auf einander gehabt haben. Das Einzige, was ich Dir in dieser erzwungenen Ehe bieten konnte, war die Möglichkeit, sie zu lösen; sie ist gelöst seit dem Augenblicke, wo wir die Trennung beschlossen. Das ist meine Antwort auf Dein Anerbieten.“

Die dunklen Augen Eugeniens hingen noch immer unverwandt an seinen Zügen. Dieses heiße verrätherische Aufleuchten, das jedesmal blitzähnlich eine unbekannte Tiefe zu enthüllen schien, heute kam es nicht, und heute gerade hatte sie es hervorzwingen wollen um jeden Preis. Was sie darin auch gesehen und geahnt haben mochte – und die stolze Frau mußte etwas geahnt haben, ehe sie sich zu diesem Kommen und Anerbieten entschloß – er gönnte ihr nicht den Triumph, es noch einmal zu sehen oder zur Klarheit darüber zu gelangen; er blieb vollkommen Herr über sich und ließ ihr den quälenden Zweifel. Der Instinct des Weibes hatte so laut und untrüglich gesprochen, als ihr gestern auf der Waldhöhe die Blicke Ulrich Hartmann’s entgegenflammten, und mit der Erkenntniß dessen, was dahinter lag, war auch das Grauen davor gekommen. Freilich dort war sie kalt geblieben, mitten in der Gefahr, mit der eine unsinnige Leidenschaft sie bedrohte; hier, wo nichts zu fürchten war, hier bebte ihr ganzes Wesen in fieberhafter Erregung, und ebendeshalb verschleierte sich Alles, wie sich die braunen Augen drüben vor ihr verschleierten; deshalb schwieg die innere Stimme, und doch hätte sie ihr Leben darum gegeben, gerade hier Gewißheit zu haben.

„Du solltest mir das Bleiben nicht so schwer machen.“ Die Stimme Eugeniens hatte etwas von dem quälenden Zweifel ihres [236] Innern; sie schwankte zwischen herbem Stolze und weicher Nachgiebigkeit. „Ich habe Manches überwinden und niederkämpfen müssen, ehe ich hierher kam; Du weißt es, Arthur, also schone es auch.“

Die Worte klangen fast wie eine Bitte; aber Arthur war bereits auf einen Punkt gekommen, wo er das nicht mehr verstand. Die wilde Bitterkeit, die furchtbare Gereiztheit, welche sein ganzes Wesen durchzitterten, gaben auch hier die alleinige Richtung und Auffassung, als er schneidend erwiderte:

„Ich zweifle durchaus nicht daran, daß Baroneß Windeg ein unendliches Opfer bringt, wenn sie sich entschließt, noch drei Monate länger den gehaßten bürgerlichen Namen zu tragen, noch länger an der Seite eines so tief verachteten Mannes zu bleiben, trotzdem man ihr die sofortige Freiheit bietet. Ich habe einst hören müssen, wie furchtbar Dir Beides war; ich kann danach ermessen, was diese Selbstüberwindung Dich kostet.“

„Du wirfst mir das Gespräch am Abende unserer Ankunft vor,“ sagte Eugenie leise. „Ich – hatte es vergessen.“

Jetzt endlich flammten seine Augen auf; aber es war nicht jenes Aufleuchten, welches sie darin gesucht und gehofft; es war etwas Fremdes, Feindseliges, was sich jetzt in ihm emporbäumte.

„Hast Du wirklich? Ob ich es vergessen habe, danach fragst Du nicht? Mit anhören habe ich es damals müssen, das war aber auch die Grenze dessen, was ich ertragen konnte. Meinst Du, ein Mann ließe sich ungestraft so in den Staub treten, wie Du es an jenem Abende thatest, und sich dann ohne Weiteres wieder daraus erheben, wenn es Dir beliebt, Deine Meinung zu ändern? Ich war nicht ganz der elende Weichling, für den Du mich gehalten; seit jener Stunde war ich es nicht mehr; die hat über mich entschieden, aber sie entschied auch über unsere Zukunft. Was mich trifft und treffen kann, werde ich allein tragen. Ich habe ja so Manches gelernt in diesen letzten Wochen; ich werde auch das durchführen, aber“ – hier richtete er sich mit glühendem Stolze in die Höhe – „aber die Frau, die mich am Tage nach unserer Trauung mit so hochmüthiger Verachtung von sich stieß, ohne auch nur zu fragen, ob der Gatte, dem sie doch nun einmal ihre Hand gegeben, auch wirklich so schuldig war, wie sie ihn glaubte, – bei der meine Erklärung, mein Wort darauf, daß sie sich im Irrthume befinde, nur als die Ausflucht eines Lügners galt – die mir auf die Frage, ob sie es nicht wenigstens der Mühe werth halte, den Versuch zur Besserung eines ‚Verlorenen‘ zu machen, dieses verächtliche Nein entgegenschleuderte – diese Frau will ich nicht an meiner Seite haben, wenn ich den Kampf um meine Zukunft ausfechte – ich will allein sein!“

Er wandte sich stürmisch ab. Eugenie stand betreten, wortlos da; so sehr sich auch das Wesen ihres Mannes in der letzten Zeit geändert hatte, leidenschaftlich hatte sie ihn noch nie gesehen, und jetzt war er es in einem Maße, das sie fast erschreckte. An dem Sturme, der ihr hier entgegenfluthete, konnte sie ermessen, was sich damals hinter seiner Gleichgültigkeit barg, die sie so tief empörte, was monatelang in ihm gewühlt hatte, bis es ihn endlich emporriß aus der Apathie, die ihm zur zweiten Natur geworden war. Jawohl,[WS 1] dieses kalte verächtliche Nein – sie wußte am besten, wie unrecht[WS 1] sie ihm damit gethan, und jetzt, wo sie sah, wie tief es ihn getroffen,[WS 1] jetzt hätte diese Stunde vielleicht Alles wieder gut gemacht, was[WS 1] jene andere verschuldet, wären nicht die unseligen letzten Worte gewesen. Die berührten die Hochmuthsader der jungen Frau, und wo ihr Stolz in’s Spiel kam, da war es vorbei mit Einsicht und Ueberlegung, selbst wo sie sich im Unrechte wußte.

„Du willst allein stehen!“ wiederholte sie. „Nun denn, aufdrängen werde ich Dir meine Nähe nicht. Ich kam, um mich zu überzeugen, ob der Plan meines Vaters auch der Deinige sei. Er ist es, wie ich sehe – ich werde also abreisen.“

Sie wandte sich zum Gehen. An der Thür hielt sie noch einmal inne; es war ihr, als sei er in dem Moment, wo sie die Hand an den Drücker legte, emporgeschnellt, als habe er eine Bewegung gemacht, ihr nachzustürzen, doch das mußte wohl Täuschung sein, denn als sie sich umwendete, stand Arthur noch am Schreibtisch, todtenbleich zwar, aber in seiner Haltung, in jedem Zuge seines Gesichts stand das Wort geschrieben, mit dem sie ihn einst von sich gestoßen, ein herbes unbeugsames Nein.

Eugenie raffte ihren letzten Muth zusammen zum Abschied.

„Wir werden uns morgen nur in Gegenwart meines Vaters sehen und dann vielleicht nie wieder, also – leb’ wohl, Arthur!“

„Leb’ wohl!“ sagte er dumpf.

Die Thür schloß sich hinter ihr; sie war verschwunden. Das letzte Alleinsein war unnütz verstrichen, die letzte Brücke zur Verständigung abgebrochen. Keines von Beiden hatte seinen Starrsinn beugen, keines das Wort aussprechen wollen, das hier allein helfen und retten konnte, das eine Wort, das Alles wieder gut gemacht hätte, und wäre zehnfach Schlimmeres geschehen; der Stolz allein redete – und damit war ihr Urtheil gesprochen. –

Grau und trübe kam der nächste Morgen über die Berge, aber im Hause war es trotz der ungewöhnlichen Stunde schon lebendig geworden. Man hatte die Abreise so früh festsetzen müssen, da man rechtzeitig den Anschluß an den Bahnzug erreichen wollte, um heute Abend noch in der Residenz einzutreffen. Vorläufig war freilich nur erst Curt von Windeg im Salon. Der Baron befand sich noch auf seinem Zimmer. Eugenie war gleichfalls noch nicht sichtbar, und der junge Officier schien mit offenbarer Ungeduld irgend etwas zu erwarten. Er hatte bereits mehrere Male den Salon durchmessen, dann am Balcon gestanden, dann auf dem Fauteuil gesessen, von dem er jetzt rasch in die Höhe sprang, als Arthur Berkow eintrat.

„Ah, Sie sind schon hier?“ sagte dieser, seinen jungen Schwager mit jener höflichen Kälte begrüßend, die zwischen ihnen Sitte war.

Curt eilte ihm lebhaft entgegen. „Ich wollte gern noch allein einige Worte mit Ihnen – aber mein Gott, was ist Ihnen? Sind Sie krank?“

„Ich?“ fragte Arthur ruhig. „Was fällt Ihnen ein? Ich befinde mich vollkommen wohl!“

„So?“ meinte Curt mit einem Blick auf das bleiche, überwachte und abgespannte Antlitz seines Schwagers, „ich hätte eher das Gegentheil angenommen.“

Arthur zuckte etwas ungeduldig die Achseln. „Ich bin das frühe Aufstehen nicht gewohnt; da sieht man immer überwacht aus. Uebrigens fürchte ich, Sie werden heute eine schlechte Fahrt haben; es ist ein abscheulicher Nebelmorgen.“

Er trat an’s Fenster, wie um nach dem Wetter zu sehen, in Wahrheit aber wohl nur, um sich den unbequemen physiognomischen Beobachtungen zu entziehen, mit denen Curt ihm lästig fiel. Dieser ließ sich aber so leicht nicht abweisen; er trat dicht an seine Seite.

„Ich wollte der Erste hier sein,“ begann er ein wenig stockend, „weil ich gern noch eine Unterredung unter vier Augen mit Ihnen haben möchte, Arthur!“

Der Angeredete wendete sich um, eben so sehr verwundert über dieses Verlangen, als über die Art der Anrede. Curt hatte ihn während der ganzen Verwandtschaft kaum einmal beim Vornamen genannt. Er pflegte sonst stets dem Beispiel seines Vaters zu folgen und das steife „Herr Berkow“ zu gebrauchen.

„Nun?“ fragte dieser befremdet zwar, aber freundlich.

In den Zügen des jungen Officiers kämpften sichtbar Unsicherheit und Verlegenheit mit anderen Empfindungen, plötzlich aber hob er sein hübsches, offenes Gesicht zu dem Schwager empor und sah ihn treuherzig an.

„Wir haben Ihnen Unrecht gethan, Arthur, und ich vielleicht am meisten! Ich war empört über die Heirath, über den Zwang, der uns geschah, und – daß ich es Ihnen nur ehrlich gestehe – ich habe Sie rechtschaffen gehaßt von dem Augenblick an, da Sie mein Schwager wurden. Seit gestern weiß ich, daß wir uns in Ihnen geirrt haben, und seitdem ist es auch aus mit dem Hasse. Es thut mir leid, sehr leid, und das – das war es, was ich Ihnen sagen wollte! Nehmen Sie es an, Arthur?“

Er streckte ihm warm und herzlich die Hand hin. Arthur ergriff sie.

„Ich danke Ihnen, Curt!“ sagte er einfach.

„Gott sei Dank! jetzt ist’s herunter; es hat mich die ganze Nacht nicht schlafen lassen,“ versicherte Curt aufathmend. „Und glauben Sie mir, auch mein Vater läßt Ihnen jetzt Gerechtigkeit widerfahren. Zugestehen wird er Ihnen dies freilich nicht, aber ich weiß, daß er so denkt.“

Ein flüchtiges Lächeln zog über Berkow’s Gesicht; freilich die Stirn wurde nicht heller davon und das Auge nicht klarer; [237] auf beiden lag noch der schwere Schatten, als er ruhig antwortete: „Das ist mir lieb. So scheiden wir wenigstens nicht als Feinde.“

„Ja, was die Abreise betrifft,“ fiel Curt rasch ein, „Papa ist noch oben in seinem Zimmer und Eugenie augenblicklich ganz allein in dem ihrigen – wollen Sie sie nicht noch einmal sprechen?“

„Wozu?“ fragte Arthur betroffen. „Der Herr Baron kann jeden Augenblick erscheinen, und Eugenie wird schwerlich –“

„Ich stelle mich vor die Thür und lasse Niemand hinein!“ versicherte Curt eifrig. „Ich werde den Papa schon so lange hier aufzuhalten wissen, bis Ihr drinnen fertig seid.“

Eine schnelle Röthe bedeckte einen Moment lang Arthur’s Stirn, als er dem gespannt forschenden Blick seines Schwagers begegnete, aber er schüttelte ernst den Kopf.

„Nein, Curt, das ist unnöthig! Ich habe gestern Abend bereits noch einmal und ausführlich mit Ihrer Schwester gesprochen.“

„Auch über die Abreise?“

„Auch über die Abreise!“

Der junge Officier sah etwas enttäuscht aus, übrigens blieb ihm keine Zeit zu weiteren Vorschlägen, denn man hörte bereits draußen den Schritt des Barons, der gleich darauf eintrat. Curt zog sich mit einer halb trotzigen Bewegung mehr in den Hintergrund des Zimmers zurück, während er vor sich hinmurmelte: „Und richtig ist die Sache doch nicht!“

Das unumgänglich nöthige Beisammensein während des Frühstücks war vorüber. Die abgemessene Förmlichkeit des Barons und die stete Gegenwart der Diener hatten darüber hinweg geholfen; jetzt fuhr der Wagen unten auf der Terrasse vor. Die Herren nahmen ihre Mäntel um, und das Kammermädchen brachte Eugenien Hut und Shawl. Arthur bot seiner Frau den Arm, um sie hinunter zu führen. Der Schein eines vollkommenen Einverständnisses sollte ja bis zum letzten Augenblick aufrecht erhalten bleiben.

Grau und trübe war der Morgen über die Berge gekommen; grau und trübe stieg er jetzt in’s Thal hernieder, vor den Fenstern wogte ein Nebelmeer, und hier drinnen gab das frostig kalte Morgenlicht, das die Räume bereits erfüllte, ihnen etwas gespenstig Oedes und Unheimliches; es schien, als ob all die reiche Pracht, die sie schmückte, auf einmal Glanz und Farbe verloren hätte, und sie sollten ja auch jetzt leer werden, ganz leer – die junge Herrin verließ sie, um nicht wiederzukehren.

Curt machte im Stillen die Bemerkung, daß auch seine Schwester dasselbe Aussehen zeigte, das ihn vorhin an Arthur so erschreckt hatte, aber sonst konnte auch er in der Haltung Beider nichts Außergewöhnliches entdecken. Sie wußten die einmal übernommenen Rollen durchzuführen, wenn ihre Züge auch verriethen, daß es ihnen eine schlaflose Nacht gekostet, und vielleicht war diese starre kalte Fassung nicht einmal eine Rolle. Wenn der Sturm ausgetobt hat, dann folgt jene Ruhe, die uns so oft im Leben gerade über das Schwerste, das am meisten Gefürchtete verhältnißmäßig leicht hinweghilft, weil es wie ein Schleier auf der Seele liegt, der sie nicht zum klaren Bewußtsein des entscheidenden Momentes kommen läßt, weil all das frühere Kämpfen und Ringen untergeht in einem dumpfen Wehgefühl, durch das nur hin und wieder ein jäher stechender Schmerz zuckt, bei dem man sich erst besinnen muß, warum man denn eigentlich leidet. Am Arme ihres Mannes schritt Eugenie die Treppen hinunter, ohne eigentlich zu wissen, daß und wohin sie gingen. Wie im Traume sah sie die teppichbelegten Stufen, auf denen ihr Kleid rauschte; die hohen Oleanderbäume, mit denen das Vestibül geschmückt war, die Gesichter der Diener, die sich vor der gnädigen Frau verneigten, das Alles glitt undeutlich, schattenhaft vorüber – dann plötzlich berührte etwas scharf und beinahe schmerzend ihre Stirn; es war die kalte Morgenluft, in der sie zusammenschauerte, und vor sich sah sie den Wagen, der sie fortführen sollte, ihn allein, denn Terrasse, Blumenanlagen und Fontainen, das Alles verschwand in Dämmerung und Nebelgeriesel. Noch einmal begegneten sich die Augen der beiden Gatten, aber sie sagten einander nichts. Der Schleier lag schwer und dicht auch zwischen ihnen. Dann fühlte die junge Frau, wie eine Hand sich feucht und eiskalt in die ihrige legte, und hörte einige fremd und höflich klingende Abschiedsworte, die sie nicht verstand, aber es war doch Arthur’s Stimme, die sie sprach, und dabei fuhr wieder der stechende Schmerz heiß durch den dumpfen Traum – dann Hufestampfen und Räderrollen, und vorwärts ging es, hinein in das Nebelgrauen, das ringsum wallte und wogte, wie damals, als die Trennung beschlossen ward, oben auf der Waldhöhe in jener Frühlingsstunde – und was sich da trennt, das trennt sich für alle Ewigkeit!




„Wie ich Ihnen sage,“ versicherte der Oberingenieur dem Director, während sie gemeinschaftlich nach ihren beiderseitigen Wohnungen gingen, „jetzt wird’s Ernst! Der Herr Führer scheint die Angriffsparole ausgegeben zu haben, aber wir sollen ihnen den Vorwand dazu liefern. Man fordert uns ja förmlich heraus, und die Insulten sind an der Tagesordnung. Sie haben uns richtig den ganzen Bezirk aufgewiegelt; auf allen Werken ist die Geschichte jetzt erklärt; wir hatten nur die Ehre gehabt, anzufangen. Das ist Wasser auf Hartmann’s Mühle. Er trägt den Kopf noch einmal so hoch wie sonst!“

„Herr Berkow scheint auf Alles gefaßt zu sein,“ meinte der Director. „Er hat schleunigst die gnädige Frau in Sicherheit gebracht; das beweist am besten, was er von seinen eigenen Leuten fürchtet.“

„Bah, unsere Leute!“ fiel der College ein. „Mit denen wollten wir schon fertig werden, wenn nur der Eine nicht wäre! Aber so lange Der befiehlt, ist an Ruhe und Frieden nicht zu denken. Nur acht Tage lang den Hartmann fort von den Werken – und ich wollte für den Ausgleich bürgen!“

„Ich habe schon daran gedacht,“ der Director sah sich vorsichtig um und senkte dann die Stimme, „ich habe schon daran gedacht, ob man nicht den Verdacht gegen ihn benutzen könnte, den ja hier Jeder hegt und mit dem ihm wohl Keiner Unrecht thut. Was meinen Sie dazu?“

„Das geht nicht! Verdacht haben wir genug, aber wo bleiben die Beweise? An der Maschine und den Stricken hat sich nichts weiter finden lassen, als daß sie eben gerissen sind, die Herren vom Gericht haben das eingehend genug untersucht. Wie es kam und was da unten in der Tiefe vorgegangen ist, das kann eben nur Hartmann wissen, und der steht seinen Mann, auch im Leugnen. Man würde ihn ohne Resultat wieder frei geben müssen.“

„Aber eine Criminaluntersuchung würde ihn vorläufig unschädlich machen. Wenn man denuncirte, einige Wochen Haft –“

Der Oberingenieur runzelte die Stirn „Wollen Sie die Wuth unserer Leute auf sich nehmen, wenn man ihren Führer angreift? Ich nicht! Sie stürmen uns das Haus, sage ich Ihnen, wenn sie das Manöver durchschauen, und das geschieht sicher.“

„Das wäre noch die Frage. Er hat nicht mehr die alte Liebe unter ihnen.“

„Aber die alte Furcht noch! Mit der regiert er sie despotischer als je, und dann – Sie thun unserer Knappschaft Unrecht, wenn Sie glauben, sie würde den Cameraden, den Führer auf einen bloßen Verdacht hin im Stiche lassen. Scheuen mögen sie ihn, sich ihm auch entfremden mit der Zeit, aber in dem Momente, wo wir die Hand an ihn legen, da schaart sich Alles um ihn und schützt ihn auf jede Gefahr hin. Nein, nein, das geht nicht! Was wir gerade vermeiden wollen, ein blutiger Conflict, wäre dann unausbleiblich und überdies bin ich überzeugt, Herr Berkow würde dazu die Hand nicht bieten.“

„Ahnt er noch immer nichts von dem Verdachte?“ fragte der Director.

„Nein! Ihm gegenüber wagt natürlich Niemand eine Hindeutung darauf, und ich glaube, es ist besser, wir ersparen es ihm auch ferner. Er hat so schon genug zu tragen.“

„Jawohl, übergenug, und die Hiobsposten der letzten Wochen und Schäffer’s Briefe aus der Residenz scheinen doch nicht ohne Wirkung zu bleiben. Ich glaube, er denkt ernstlich an’s Nachgeben.“

„Warum nicht gar!“ fuhr der Ober-Ingenieur auf, „dazu ist es jetzt zu spät. Vor der Antwort, die er den Leuten gab, da blieb ihm allenfalls noch die Wahl, ob er sein Geld riskiren, oder die Fuchtel auf sich nehmen wollte, die es dem Herrn Hartmann beliebte uns aufzuerlegen; nach der Art, wie er ihm damals gegenübertrat, kann gar keine Rede mehr davon sein. Jede Spur von Autorität ist unwiederbringlich dahin, wenn [238] er nicht fest bleibt. Er muß vorwärts, und vorwärts zu müssen, das ist immer ein Vortheil im Kampfe.“

„Aber wenn es sich um das Vermögen handelt!“

„Aber wenn es sich um die Ehre handelt!“

Die beiden Herren geriethen wieder in eine jener hitzigen und fruchtlosen Debatten, deren Resultat gewöhnlich war, daß ein Jeder bei seiner Meinung blieb, und so geschah es auch diesmal, als sie sich kurz darauf trennten.

„Es ist doch etwas Schönes um die Neutralität,“ grollte der Ober-Ingenieur dem Collegen nach, indem er in sein Haus trat. „Nur immer hübsch ängstlich, immer hübsch vorsichtig, es nur ja mit keiner Partei verderben, weil man nie wissen kann, welche einmal an’s Ruder kommt. Ich wollte, all die Hasenfüße – Wilberg, was zum Kukuk haben Sie denn da mit meiner Tochter zu schaffen?“

Die beiden jungen Leute, denen diese Anrede galt, fuhren erschrocken auseinander, als seien sie auf einem Verbrechen ertappt worden, obgleich es in Wirklichkeit nur ein ganz harmloser Handkuß war, den sich Herr Wilberg erlaubt hatte, aber er sah dabei so gefühlvoll, und Melanie ihrerseits so gerührt aus, daß ihr Vater, durch das vorhergehende Gespräch mit dem Director schon geärgert und gereizt, wie ein Ungewitter dazwischen fuhr.

„Ich bitte ganz außerordentlich um Entschuldigung!“ stammelte der junge Beamte, während Fräulein Melanie, in dem Bewußtsein, daß ein Handkuß unter keinen Umständen etwas Schlimmes sei, ziemlich keck dreinschaute.

„Ich bitte ganz ordentlich um eine Erklärung!“ rief der Ober-Ingenieur zornig. „Was haben Sie hier unten auf dem Hausflur zu thun? Warum gehen Sie nicht, wie es sich gehört, in das Visitenzimmer?“

Die geforderte Erklärung ließ sich nun wirklich nicht in drei Worten geben, obgleich die jungen Leute unschuldig genug an diesem Zusammentreffen waren. Wilberg war in das Haus seines Vorgesetzten gekommen, einen Auftrag Herrn Berkow’s im Kopfe und tiefe Schwermuth im Herzen. Letztere galt natürlich der Abreise der gnädigen Frau, die er bereits am Abende vorher erfahren, aber an dem betreffenden Morgen glücklich verschlafen hatte. Der junge Beamte war kein Frühaufsteher und hätte nie den Leichtsinn begangen, sich der neblig kalten Morgenluft auszusetzen, in der man sich den Rheumatismus holen konnte. Er war es nicht gewesen, der damals beim Tagesgrauen unter den Tannen gestanden, dort, wo die Chaussee in den Wald einbog, geduldig wartend, trotz Nebel und Kälte, um der einen Minute willen, in welcher der Wagen vorüberrollte, um des einen Blickes willen, der im Innern desselben ein Antlitz suchte, das er nicht fand, denn dies Antlitz lag mit geschlossenen Augen in den Polstern vergraben. Als jener Andere heimkehrend unter seinem Fenster vorüberging und in das Haus des Schichtmeisters trat, schlief Herr Wilberg noch in ungestörter Ruhe, was ihn aber nicht hinderte, sich beim Erwachen grenzenlos unglücklich zu fühlen und die ganze Woche hindurch eine so melancholische Miene zur Schau zu tragen, daß Fräulein Melanie, die ihm zufällig im Hausflur begegnete, nicht umhin konnte, theilnehmend zu fragen, was ihm denn fehle.

Der junge Dichter war gerade in der Stimmung, seinen Schmerz irgend einem mitfühlenden Wesen auszuströmen; er seufzte daher verschiedene Male, machte Andeutungen und schüttete zuletzt natürlich sein ganzes Herz aus, um ebenso natürlich ein noch weit größeres Mitleid dafür in Empfang zu nehmen. War die junge Dame vorhin neugierig gewesen, so wurde sie jetzt über alle Maßen gerührt. Sie fand die Sache hochromantisch, den armen Wilberg ihrer tiefsten Theilnahme würdig, und nahm es daher auch ganz unbefangen hin, als er am Ende all dieser Mittheilungen und Tröstungen ihre Hand ergriff, um einen dankbaren Kuß darauf zu drücken; es war ja nicht die geringste Gefahr dabei, da er eine Andere liebte.

In diese rührende Scene nun fuhr der Herr Oberingenieur mit der ganzen Prosa seiner väterlichen Autorität und verlangte zu wissen, warum diese Herzensergießungen hier unten im Hausflur und nicht oben in der Visitenstube vor sich gingen, wo ihnen die Gegenwart der Mama selbstverständlich einige Schranken auferlegt hätte. Herr Wilberg, im Bewußtsein des großen Unrechts, das ihm hier geschah, raffte sich zusammen.

„Ich habe einen Auftrag von Herrn Berkow,“ erklärte er.

„So? Das ist etwas Anderes! Geh’ hinauf, Melanie! Du hörst ja, daß es sich um Geschäftssachen handelt.“

Melanie gehorchte, während ihr Vater am Fuße der Treppe stehen blieb, ohne den jungen Beamten, wie sonst, in seine Wohnung einzuladen, so daß dieser genöthigt war, sich hier seines Auftrages zu entledigen.

„Es ist gut,“ sagte der Oberingenieur ruhig. „Die betreffenden Zeichnungen stehen Herrn Berkow zur Disposition; ich werde sie ihm selbst bringen. Und nun ein Wort zu Ihnen, Wilberg! Ich habe Ihnen trotz einer gewissen gegenseitigen Antipathie doch immer Gerechtigkeit widerfahren lassen.“ Herr Wilberg verneigte sich. „Ich halte Sie sogar für einen ganz tüchtigen Beamten.“ Herr Wilberg verneigte sich zum zweiten Male. „Aber auch für etwas verrückt.“

Der junge Mann, der soeben im Begriffe war, die dritte Verbeugung zu machen, fuhr in die Höhe und starrte ganz fassungslos seinen Vorgesetzten an, der mit unverwüstlicher Gemüthsruhe fortfuhr:

„Was nämlich Ihre Manie zum Dichten betrifft. Das ginge mich nichts an, meinen Sie? Ich will das auch hoffen. Sie haben nacheinander den Hartmann, die gnädige Frau und Herrn Berkow angesungen. Das können Sie thun, wenn es Ihnen Vergnügen macht, aber lassen Sie sich nicht etwa einfallen, meine Melanie anzusingen – das verbitte ich mir. Ich will nicht, daß dem Kinde dergleichen Unsinn in den Kopf gesetzt wird. Wenn Sie durchaus einen neuen Gegenstand für Ihre poetischen Gefühle brauchen, so nehmen Sie mich oder den Director; wir stehen Ihnen zu Diensten.“

„Ich glaube, ich werde das unterlassen,“ sagte Wilberg im höchsten Grade pikirt.

„Wie es Ihnen beliebt, aber merken Sie sich: meine Tochter bleibt aus dem Spiele. Wenn mir eines Tages einmal ein Gedicht ‚An Melanie‘ unter die Hände kommt, dann fahre ich zwischen Ihre Jamben und Alexandriner, oder wie das Zeug sonst heißt. Das war es, was ich Ihnen sagen wollte. Adieu!“

Damit ließ der rücksichtslose Vorgesetzte den in seinen heiligsten Gefühlen gekränkten Dichter stehen und stieg die Treppe hinauf. Oben in der Wohnung kam ihm seine Tochter entgegen.

„O Papa, wie kannst Du so hart und ungerecht gegen den armen Wilberg sein! Er ist so unglücklich!“

Der Oberingenieur lachte laut auf. „Unglücklich? Der? Ein verunglückter Dichter ist er; schauderhafte Verse schreibt er zusammen, aber je mehr man versucht, ihm das begreiflich zu machen, desto toller reimt er darauf los. Was übrigens den Handkuß betrifft –“

„Mein Gott, Papa, da bist Du ganz und gar im Irrthum!“ unterbrach ihn Melanie sehr entschieden. „Es war nur Dankbarkeit. Er liebt ja die gnädige Frau, hat sie vom ersten Momente an geliebt, natürlich hoffnungslos, da sie bereits verheirathet ist, aber es ist doch begreiflich, daß er sich darüber grämt und daß ihre Abreise ihn vollends in Verzweiflung stürzt.“

„Also einzig aus Gram und Verzweiflung hat er Dir die Hand geküßt? Merkwürdig! Uebrigens woher weißt Du denn das Alles, Melanie? Du scheinst mir ja ganz außerordentlich bewandert in den Herzensgeschichten dieses blonden Schäfers!“


(Fortsetzung folgt.)




Ein Liedersänger der Gegenwart.


Unter den lyrisch-musikalischen Erzeugnissen unserer Tage stehen die Gesänge von Robert Franz ohne Frage in vorderster Reihe. Seine Erstlingsgaben schon wurden von den vornehmsten der zeitgenössischen Tonkünstler als Meisterthaten hochgehalten. Schumann und Mendelssohn, Gade und Liszt hießen den neu aufgehenden Stern willkommen in ihrem Kreise und halfen, indem sie Pathenstelle an seinen ersten Werken vertraten und sein Lob der Welt verkündeten, ihm seine Bahn bereiten und ebnen.

[239]

Robert Franz.
Originalzeichnung von Adolf Neumann.

Nichtsdestoweniger ist ihm das Schicksal die Erfüllung mancher der glänzenden Verheißungen, die sein erstes Erscheinen in der Kunstwelt begleiteten, schuldig geblieben. Denn obschon nahezu drei Jahrzehnte seit Veröffentlichung der ersten seiner Lieder in’s Land gegangen: der Kreis Derer, denen sie nach ihrem vollen Werth vertraut geworden, ist noch immer ein verhältnißmäßig kleiner. Als klassische Schöpfungen ihres Genres von den Besseren unter den Kunstverständigen mehr und mehr anerkannt, sind sie im Allgemeinen gleichwohl noch keineswegs nach Verdienst verbreitet und gekannt; vielfältig lobend besprochen, sind sie doch nicht genügend gehört und gesungen, und mehr mit Worten als mit Tönen hat man sich von jeher ihnen gegenüber abgefunden. Fürwahr, belehrte uns nicht der alte und doch immer neue Erfahrungssatz, daß gerade dem Besten hienieden sich am schwersten und letzten das Verständniß öffnete, wir würden befremdet vor der Thatsache stehen, daß diese deutschester Art entsprungenen Tongebilde unserem Volke nicht schon fester und inniger an’s Herz gewachsen sind. Deutscher als Franz hat kein anderer Meister gesungen und gedichtet; keiner hat zarter und feinfühliger das innerste Empfinden seiner Nation belauscht, um es, seinem eigenen Wesen vermählt, in Klängen verklärt ihr wiederzugeben.[1] Ist doch auch die Kunstart, deren Pflege er sein schöpferisches Wirken fast ausschließlich gewidmet, ein unserem Heimathboden specifisch angehöriges Eigenthum: Nur in Liedern hat er – einige größere Vocalwerke ausgenommen – zu uns geredet; er entsagte den breiteren, imposanteren Formen seiner Kunst, von dem Bewußtsein geleitet, daß er gerade hier sein Bestes zu geben, daß sein tiefinnerliches Naturell den ihm eigenthümlichsten Inhalt am entsprechendsten in lyrischen Gaben auszutönen berufen sei. Innerhalb dieses engumgrenzten Rahmens legte er indeß künstlerische Kleinodien höchsten Werthes nieder und machte uns um einen Liederschatz – er veröffentlichte nicht weniger als zweihundert und einige fünfzig Gesänge – reicher, der immerdar zu den köstlichsten unserer musikalischen Besitzthümer zählen wird, ihm selbst aber neben den edeln Gestalten unserer lyrischen Meistersänger Schubert und Schumann eine bleibende Stelle sichert.

Der Erbe und Nachfolger Beider, der Dritte im sangreichen Bunde, schlug er nichtsdestoweniger selbstständige Bahnen ein. Im Gegensatz zu der überwiegenden Entwickelung der Musik nach der instrumentalen Seite hin, die sich im Tonleben der Gegenwart geltend macht, griff Franz zur großen Vocalperiode zurück und fand in dem uralten Ausgangspunkte unserer musikalischen Lyrik, dem altdeutschen Volkslied und dem aus ihm hervorgegangenen protestantischen Choral die Basis seines Schaffens. Einflüsse, welche von frühester Kindheit an auf ihn einwirkten, sowie innerste Neigung zur Beschäftigung mit alter Musik, wie sie sich noch heute durch seine Bearbeitungen älterer Tonwerke zu allgemeinem Nutz und Frommen bethätigt, leiteten ihn zuerst instinctiv auf diesen Weg. Weiterhin vertiefte und befruchtete die Bekanntschaft und steigende Vertrautheit mit Bach und [240] Händel seine Richtung, während Schubert und Schumann ihm moderne Elemente zuführten und ihn mit dem künstlerischen Empfinden seiner Zeit in lebendigem Zusammenhang erhielten.

Die Wiederaufnahme jener alten lyrischen Formen vollzog sich übrigens durch Franz keineswegs unvermittelt. Bei Schubert und Schumann bereits taucht hier und dort die dem Kunststil seit langem abhanden gekommene Volksweise von neuem auf. Gleicherweise besann sich die neuere Zeit in Mendelssohn zuerst wieder auf den Choral, der einst Bach und Händel als Grund- und Eckstein ihrer erhabenen Tongebäude gedient hatte. Nur vereinzelt jedoch und wie zufällig kommt bei diesen seinen drei Vorgängern zur Erscheinung, was sich bei Franz als fundamental für seine Entwickelung darstellt. Nicht allein bestimmend wirkten Volkslied und Choral auf seinen Kunstausdruck, sie haben denselben, seiner eigenen Ueberzeugung zufolge, sogar hervorgerufen. Das Schlichtvolksthümliche einerseits, das Uebersinnliche, resignirt von der Welt Abgewandte der Empfindung andererseits, das Ethische und Maßvolle, das das alte, unserem heutigen Geschlecht fast entfallene Kunstgesetz: Ruhe in der Bewegung, als Cardinalgebot zu predigen scheint – all’ diese Züge, die seine Compositionsweise charakterisiren, führen in directer Linie auf jene Einflüsse zurück. Nicht minder die Art seines formalen Ausdrucks, wie die Construction der Cantilene, die Behandlung der Tonarten und deren Harmonie, der Strophenbau, die Vor- und Zwischenspiele, die Tonschlüsse, die polyphone Stimmführung, das Vocale des ganzen Tonsatzes, wo jede einzelne Stimme am Gesang betheiligt und ein wesentlicher Träger des Ganzen ist.

Naturgemäß mußten seine von denen der Kunstgenossen verschiedenen Ausgangspunkte auch verschiedene Ergebnisse bedingen. Der dramatischen Auffassungsweise Schubert’s, wie dem declamatorischen Pathos Schumann’s hält Franz sich gleichermaßen im Liede fern. Lyriker im engsten und eigentlichsten Sinne, setzt er das Wesen desselben mehr noch in die innerste Tiefe der Empfindung hinein, er verinnerlichte es in einem Grade, der eine Steigerung nach dieser Seite hin kaum noch offen läßt. Nennt er selbst doch seine Lieder so bezeichnend Monologe, die die Empfindung mit sich selber hält. Dem entsprechend vergegenwärtigen sie auch vorzugsweise Stimmungen, recht im Gegensatz zu Schubert, der uns eine vollendete Scene, ein Situationsbild im Liede malt. Im Vergleich zu ihm und Schumann, die Beide in der Wahl des Stoffes wie des Ausdrucks mit der Außenwelt directer in Beziehung treten, zeigt Franz, bei dessen Kunstausdruck es sich mehr um innere Processe handelt, ein mehr psychisches Colorit. Aeußerst sparsam verwendet er den tonmalerischen Apparat. Nur vereinzelt deutet er hier einmal in wogenden Sechszehnteln auf die Wellenbewegung des Meeres (Op. 9, Nr. 6), oder in weitgriffigen Accorden auf die majestätische Größe und unendliche Weite desselben hin (Op. 36, Nr. 1, Op. 39, Nr. 2 und 3); oder er läßt uns „im Walde“ lustigen Hörnerklang hören. Mehr um Wiedergabe der Gesammt- als der Einzelstimmung ist es ihm zu thun; daher fast durchgehends bei ihm die Anwendung der Strophenform. Nichtsdestoweniger bekunden scheinbar geringfügige, in Wahrheit jedoch sehr wesentliche und bedeutsame Veränderungen bei Wiederkehr der verschiedenen Strophen seinen feinen Sinn auch für Detailmalerei.

Ersichtlich gefällt er sich mehr in der Wahl gedämpfter als glänzender Farben. Blendende Lichteffecte verschmäht er, und mehr an die Dämmerung der Nacht, an den sanftern Glanz des Mond- und Sternenhimmels als an die sonnige Helle des Tages gemahnen seine Gebilde. Dem Gluthstrome der Leidenschaft gestattet die fast weibliche Zartheit und Keuschheit seines Empfindens nur seltenen Durchbruch. – Als solche Ausnahmserscheinungen erwähnen wir beispielsweise: „Es ist gekommen“, „Gewitternacht“, „Traumbild“, „Es treibt mich hin“. – Beobachtet er doch in seinem Kunstausdrucke eine merkliche Zurückhaltung. Er deutet oft nur an mit leisem geheimnisvollen Finger und überläßt uns selber die Ergänzung, wie der Dichter uns die ganze Fülle der Empfindung oft nur ahnen läßt.

An zündender Macht und Unmittelbarkeit der Wirkung stehen daher die meisten seiner Gesänge denjenigen seiner beiden Vorgänger ohne Frage hintan. Sie erwärmen mehr, als daß sie begeistern; sie ergreifen mehr, als daß sie zu überwältigen geschaffen sind. Es bedarf eines sichern, am Kunststudium geschärften Auges, um ihren Werth allsogleich voll und ganz in sich aufzunehmen. Nur an die Höchstgebildeten wenden sie sich. Er selbst sagt: „Wer hier nicht zur musikalischen Tüchtigkeit ein lebhaft sich hingebendes poetisches Auffassungsvermögen, das im Herzen und nicht im Verstande wurzelt, mitbringt, dem wird das Beste in meinen Liedern stets ein mit sieben Siegeln verschlossenes Geheimniß bleiben.“

Vor Allem können sie nur in engster Beziehung zur dichterischen Grundlage, als ein untheilbares Ganze mit dieser betrachtet, ihre richtige Würdigung erfahren. Franz’ Melodien sind nicht um ihrer selbst willen da, nicht vom Worte losgelöst offenbaren sie ihre wahrste Wirkung; wir genießen sie nur als den verklärten Ausdruck des Letztern: eben nur als „Illustrationen des dichterischen Wortes“, als „Producte der Poesie“ will sie ihr Schöpfer angesehen wissen. Ein erweitertes Leben dem Worte im Tone gewonnen zu haben, also daß dieses in jenem „zur vollen Blüthe aufbreche“, ist Alles, darauf er Anspruch macht.

Gewissenhaftere Ehen zwischen Wort und Ton als in Franz’ Liedern sind wohl nimmer geschlossen, ein vollkommeneres Gleichmaß zwischen Dicht- und Tonkunst kaum jemals angestrebt und erzielt worden. Franz vermeidet sorglich jedes Uebergewicht der einen über die andere. Er opfert den musikalischen Ausdruck als solchen nirgends dem des Wortes auf, wie häufig Schumann, der gern die poetische Intention herrschen läßt, und ebensowenig stellt er das rein Musikalische auf Kosten des Textes in den Vordergrund, wie Schubert, in dessen Lyrik sich die dichterische und die musikalische Hälfte oft so ungleich paaren, daß erstere ganz zur Folie der letztern herabsinkt.

Um so wählerischer auch verfährt er in der Auslese seiner poetischen Bundesgenossen: nur den edelsten Blüthen deutscher Dichtung vermählt er seine Töne. Bei Heine, Lenau, Eichendorff, Osterwald, Burns sucht er am liebsten seine Texte. Ihren Namen begegnen wir vorwaltend; doch treffen wir auch auf Goethe, Geibel, Waldau, Roquette u. A. Eine erste Stelle ist Heine eingeräumt. Seiner Anregung danken wir z. B. das ganze Opus 34, das Franz selbst zu seinen gelungensten Werken zählt. Seinen Liedern – oft nur „ein Hauch“, wie Goethe will, mehr halbzuerrathende Räthsel, als klar ausgesprochene Empfindungen; oft wieder trüb resignirte, oder tieferregte, schmerzdurchzitterte Stimmungen – schmiegt sich die zarte Weise des Sängers unsäglich innig und sinnig an. Auch Lenau’s stille Melancholie, Eichendorff’s träumerische Romantik berühren verwandte Saiten seines Gemüths. Seiner Neigung zum Volksthümlichen hinwiederum kommen Burns und Osterwald entgegen; darum wählt er mit Vorliebe ihre Dichtungen, wenn er nicht gleich direct zum wirklichen Volkslied greift, dessen schlichten, eigenthümlich innerlichen Ton er wie kein Anderer anzuschlagen weiß.

So geläufig ihm jegliche Form der Technik, so dankbar und wirkungsvoll er Stimme und Clavier zu behandeln versteht, er schmeichelt Sängern und Spielern nie absichtsvoll durch die äußere Brillanz seiner Aufgaben – er ehrt sie vielmehr durch die innerliche Höhe und Tiefe derselben. Wer aber möchte sich nicht gern also ehren lassen? Warum zögern doch die Dichter unter den Sängern, alle Die, denen mehr als ein karges Alltagsmaß der Empfindung zu Gebote steht, von jenen tiefsinnigen Kunstwerken Besitz zu ergreifen? Ist es nicht eines der edelsten Vorrechte des ausübenden Künstlers, verborgene Perlen an’s Licht zu fördern, Unverstandenes, nicht nach seinem Werthe Gewürdigtes einem besseren Verständnisse entgegenzuführen, die Schönheit allenthalben nicht nur erkennen, sondern auch offenbaren und den Geschmack der Menge an ihr läutern zu dürfen? Und ob im stillen Selbstgenusse, ob im Freundeskreise oder im Concertsaale, so nur die Rechten, das Rechte wählend, dazu kommen, wird und kann es diesen Liedern auch nimmer an der rechten Wirkung fehlen. Es wäre ein trauriges Zeichen der Zeit, die an solchen Kunstgebilden dauernd vorüberzugehen vermöchte – wir denken aber besser von der unseren!

Und darum wünschen wir den Franz’schen Gesängen allenthalben offene, verständnißinnige Herzen! Bedarf doch der Meister, der sie uns geschenkt, mehr denn je der erhebenden Theilnahme seines Volkes. Ein schweres Nervenleiden, das ihn schon seit Jahren heimsucht und ihn des dem Musiker unentbehrlichsten [241]

Sinnes, des Gehörs, fast gänzlich beraubte, hat ihm die Lust und Kraft zum eigenen Sang benommen und seinem liederreichen Munde vorzeitig Schweigen geboten. Noch ehe der Abend seines Lebens gekommen, in einem Alter, da es Anderen vergönnt ist, in noch unverkümmerter Frische zu schaffen – er ist am 28. Juni 1815 geboren –, fand er sich gezwungen, auch seiner praktischen Thätigkeit zu entsagen und die Aemter niederzulegen, mit denen ihn seine Vaterstadt Halle betraut hatte. Damit zugleich aber ging er auch seiner gesicherten Lebensstellung verlustig. So sieht er sich und die Seinen denn auf den bescheidenen Ertrag seiner Bearbeitungen Bach’scher und Händel’scher Tonschöpfungen, denen er trotz periodischer Arbeitsuntüchtigkeit sich mit voller Hingebung widmet, angewiesen – und die Sorge pocht mit harter Hand an seine Thür. Warum säumen wir, den unholden Gast von der Schwelle seines Hauses zu verscheuchen? Geziemt es uns nicht, dem kranken Sänger, da es noch Zeit ist, mit dem Lorbeer zugleich den Ehren- und Dankessold zu reichen, den wir dem Genius schulden?
La Mara.




Schwimmende Schlafstätten.


Um die Mitte des Monats September im Jahre 1871 erfreute sich die Schwäbische Industrie-Ausstellung zu Ulm des lebhaftesten Besuchs. Am 16. September gab allein der Zählhaspel eine Zahl von nahezu Dreitausend an. Darunter waren viele Wiener, die gesammte Wiener Ausstellungscommission mit dem Geheimrath Dr. Wilhelm Freiherrn von Schwarz-Senborn an der Spitze. Sie waren mit Extrazug nach Ulm gekommen und ließen sich’s nicht nur angelegen sein, zu beobachten, was hier und wie es ausgestellt worden war, und an den kleineren Einrichtungen Erfahrungen zu sammeln, die sich für größere Verhältnisse verwerthen ließen, sondern auch mit voller frischer Hingabe ein Stück Ulmer Volkslebens mit durchzuleben. Der sonnige Nachmittag lockte alle Welt in die Friedrichsau, eine freundliche „Taschenausgabe“ des Wiener Praters, ebenfalls hart an der schönen blauen Donau gelegen. Dort gestaltete sich das Wogen und Treiben, dessen Mittelpunkt die Wiener bildeten, zu einem gemüthlichen Volksfeste, und als der Abend anbrach, vereinigte ein fröhliches Banket im „Gasthofe zum Kronprinzen“ die Ulmer und ihre lieben Gäste.

Wess’ das Herz voll ist, dess’ geht der Mund über, zumal wenn auch der Kopf nicht ganz leer geblieben ist. Ein herzlicher Trinkspruch folgte dem andern.

Da trat ein Ulmer an die Tafelrunde, in hocherhobener Hand hielt er den „Willkomm“ (so heißt der altehrwürdige Pokal der ehemaligen Ulmer Schifferzunft):

„Ein Silberbecher in Schiffesgestalt,
Ein heiliges Erbe, Jahrhunderte alt,
Ringsum am Borde mit Münzen behangen,
Als Zeugen der Tage, die längst schon vergangen.
Vornan noch ein Schifflein von Silber und Gold,
Der Zunft von Herzog Heinrich gezollt.
Ein Jeder, der den Willkomm erfaßt,
Fühlt sich begeistert zu einem Toast.
Es klingen so hell aneinander die Münzen
Und mahnen an Kaiser, Könige, Prinzen
Und manchen in Deutschland berühmten Mann,
Der schon aus dem Becher den Trunk hat gethan.
Es ist als ob in des Willkomms Tiefe
Die Zeit der Altvordern gebannt sei und schliefe.
Doch hält ihn der Zecher fröhlich am Munde,
Da steigt sie wieder herauf aus dem Grunde
Mit ihrer glorreichen Herrlichkeit,
Die alte, die längst schon vergangene Zeit.“

So geschah es auch dem Ulmer, der damals das Wort ergriff. Er erinnerte daran, daß unter den Denkmünzen des Willkomms auch eine von der Kaiserin Maria Theresia zum Gedächtniß an die Donaufahrt gestiftet worden sei, die sie und ihr Gemahl sammt Gefolge im Jahre 1745 vom 19. bis 27. October auf vierunddreißig Ulmer Schiffen von Ulm nach Wien gemacht habe, und brachte ein Hoch auf die deutschen Brüder in Oesterreich aus.

Geheimrath von Schwarz-Senborn sprach seinen Dank und die Bitte aus, daß die Ulmer recht zahlreich zur Weltausstellung nach Wien kommen und dabei nicht vergessen möchten, den alt-ehrwürdigen Willkomm mitzubringen.

„Auf Wiedersehen in Wien!“ so klang es herüber und hinüber. Es war das auch der Abschiedsgruß, als der Bahnzug am andern Morgen die Wiener Gäste den Ulmern wieder entführte.

Drei Monate später sandten die Commissionsmitglieder der Wiener Weltausstellung den Commissionsmitgliedern der Schwäbischen Industrie-Ausstellung einen stattlichen Silberpokal mit einer Zuschrift, die mit den Worten schließt: „Wenn die Commission für die Industrie-Ausstellung in Ulm sich später auflöst, so finden Sie wohl ein Plätzchen, wo der Becher aufgehoben und bei Zeit und Gelegenheit auch benutzt wird. Vielleicht postiren Sie ihn in der Nähe des altehrwürdigen Bechers, den wir zu bewundern Gelegenheit gehabt. Vor Allem aber bitten wir unseren lieben Freunden in Ulm in’s Gedächtniß zu rufen, daß bei dem Abschiede die Parole ausgegeben wurde: ‚Auf Wiedersehen in Wien!‘“

Die Begeisterung, mit welcher dieser Zuruf vernommen wurde, verflackerte nicht wie flüchtiges Strohfeuer; sie gründete sich bei den Ulmern auf eine von alten Zeiten her fest eingewurzelte Neigung und fand in dieser ihre immerwährende Nahrung. Ich bezweifle, daß es außerhalb Oesterreichs irgend eine Stadt gebe, deren Bevölkerung so sehr wie die Ulmer zu Wien sich hingezogen fühlt. Die Donau, die bei Ulm schiffbar wird, bildet das Band zwischen der alten Reichsstadt und der österreichischen Kaiserstadt, und von jeher war es hauptsächlich die Ulmer Schifferzunft, welche die Beziehungen zwischen beiden rege und warm erhielt. Das aber ist auch der Grund, weshalb in Ulm kein Stand eines so volksthümlichen Ansehens sich erfreut hat, als gerade diese ehrbare Schifferzunft.

Unter freiem Himmel am Ufer der Donau zimmert sie ihre sogenannten Ordinari, im Volksmund „Ulmer Schachteln“ genannt – Fahrzeuge mit fünfhundert Centner Tragkraft, zugleich Fahrgelegenheit für Reisende, welche die lustige, wenn auch langsame Donaufahrt der staubigen Landstraße vorziehen. Haid berichtet in seinem Buche über Ulm, daß die Ulmer Ordinari zu seiner Zeit – in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts – in drei Monaten einmal bei dreitausend Menschen von Ulm nach Wien und Ungarn geführt haben.

In Wien oder Ungarn verkauft der Ulmer Schiffer als Holzhändler seine Schachtel und fährt – ehedem per Post, jetzt per Eisenbahn zurück, um daheim in allen Variationen das alte Thema zu verkünden:

„’S giebt nur a Kaiserstadt, ’s giebt nur a Wien“.

Wenn ein Ulmer Kaufmann oder Handwerker einen Sohn in die Fremde schicken wollte, wohin schickte er ihn lieber als nach Wien, mit dem er durch seine Landsleute, die Schiffer, in beständiger Verbindung blieb? Sie waren ihm Briefträger und Brief zugleich. Als im Jahre 1848 eine Abtheilung österreichischer Artilleristen in die Bundesfestung als Theil der Besatzung einrückte, wurden die Soldaten wie alte Bekannte begrüßt. Es läßt sich nicht leugnen, daß die gemüthliche treuherzige Art, mit welcher sie – Officiere und Mannschaft – mit den Ulmern verkehrten, viel dazu beitrug, die Voreingenommenheit für Oesterreich und seine Hauptstadt lebendig zu erhalten.

Es hat sich indessen Vieles geändert. Mit den übrigen Zünften hat auch die Schifferzunft ihr Ende gefunden. Die Locomotive that den Ordinari großen Abbruch. Was früher bei den Schiffern als Nebengeschäft galt – der Holzhandel, die Fischerei, ward zum Hauptgeschäft, sie selbst aber erhielten sich bei ihren Mitbürgern im alten Ansehen. Und heute noch übt eine einfache lustige Marschmelodie einen größeren Zauber auf den Ulmer, als irgend ein anderes Musikstück.

[242]

Kennst du den Marsch? Erklinget die Weise,
Dann zuckt es elektrisch durch Kinder und Greise;
Den Buben und Mägdelein fährt’s in die Glieder,
Die alten Klänge – sie sind es wieder.
Und sitzen die ernsten Männer beisammen,
Und hören sie tönen, da bricht in Flammen
Heraus die alte verklungene Lust,
Der Jubel wird los in jeglicher Brust;
Die ernstesten Alten sind wieder jung,
Das Auge lacht in Begeisterung,
Sah’s vorher auch noch so finster und barsch;
Das ist der Ulmer Fischermarsch.

Und ob auch durch die Neugestaltung Deutschlands unser Verhältniß zu Oesterreich ein ganz anderes geworden ist, und ob auch Ulm zu den gut deutsch-national gesinnten Städten sich zählen darf, so hat sich in seiner alten Liebe zur Kaiserstadt Wien an seiner Donau nichts geändert, und noch jetzt wie zuvor singt der Schiffer nach den Klängen des Fischermarsches:

Willkommen du Fluth, die mein Schifflein bewegt,
Es munter hinunter nach Oesterreich trägt.
Den Knaben schon zog’s auf die wogende Bahn,
Wie der Vater gethan, sich zu schaukeln im Kahn.
O du Donau, dich lieb’ ich treuherzig und fromm,
Du führst mich zu Freunden. Sie rufen: Willkomm!

Bei einer solchen Stimmung in Ulm kann es nicht befremden, wenn fast Jeder in dem Gruß der Wiener: „Auf Wiedersehn in Wien“ mehr als eine Mahnung erblickt, und daß in allen Schichten der Bevölkerung der Wunsch und Wille vorwaltet, die Wiener Weltausstellung zu besuchen. Da fiel etwas abkühlend in die Begeisterung das Gerücht von einer ganz ungeheuren Preissteigerung der Quartiere in den Wiener Gasthäusern während der Ausstellungszeit. Das Schreckgespenst der Wohnungsnoth trat bedrohlich vor das ersehnte Paradies.

Die Fahrt selbst macht wenig Bedenken. Bei solchen Veranlassungen pflegen die Eisenbahnverwaltungen ein Uebriges zu thun und die Reisenden um eine extra ermäßigte Taxe zu befördern. Auch weiß ein Jeder, daß man überall, namentlich auch in Wien, stets seinen Hunger und Durst in jedem Bierhause, jeder Weinstube, jeder Garküche, jeder Restauration um ein Billiges stillen kann. Wo aber soll man bei der Völkerwanderung, die voraussichtlich zur Weltausstellung wallfahrten wird, in Wien ein Unterkommen finden? Was wird bei dem Massenandrang in der Noth nicht Alles zum Logiren mißbraucht werden! Mit wem wird man zusammengerathen? Und welch enorme Preise wird man schließlich zahlen müssen!

Die Ulmer Schiffer, die während der Ausstellungszeit nach Wien zu fahren haben, blieben von allen diesen Sorgen unangefochten. Sie finden ja Herberge auf ihrem Schiffe. Sie können allenfalls auch den einen oder andern Freund bei sich aufnehmen. Wo aber sollen die Uebrigen bleiben?

Da war es zunächst der Präsident von Steinbeis, der auf diese Frage die praktische Antwort gab: „Baut Wohnungsschiffe!“ Dieser Rath eines Mannes, der seit Jahrzehnten überall in ganz Europa, wo immer eine Ausstellung auftauchte, als Commissär der württembergischen Regierung erschien und wegen seiner Umsicht und Erfahrung freudig willkommen geheißen wurde, schlug alsbald zündend ein. Es traten sofort fünf Ulmer zu einem Comité zusammen. Zwei davon tragen die Namen uralter Ulmer Schifferfamilien: Hailbronner und Molfenter. Sie sind im Comité die Sachverständigen, was den Bau der Schiffe betrifft. Ein dritter Ulmer, Gustav Kuhn, im Besitze eines renommirten Aussteuergeschäfts, war der geeignete Mann, für die erforderlichen Betteinrichtungen zu sorgen. Die anderen Zwei, die dieses Fünfer-Comité bilden halfen, sind Apotheker Dr. Wacker und Fabrikant Max Neuburger.

Anfangs waren sie Willens, das ganze Unternehmen auf ihre eigene alleinige Rechnung und Gefahr auszuführen und die Schiffe vorzugsweise ihren Ulmer Landsleuten zur Verfügung zu stellen. Doch kaum war ein Wort davon in die Oeffentlichkeit gedrungen, als auch schon Zustimmungen, Ermunterungen, Rathschläge und Anmeldungen von allen Seiten einliefen.

Das Comité mußte sich sagen, daß das Gelingen des Unternehmens hauptsächlich davon abhänge, ob die österreichische Regierung den Wohnungsschiffen einen günstigen Platz zuweisen würde; es mußte sich ferner sagen, daß es auf die Unterstützung weder der österreichischen noch der württembergischen Regierung rechnen

Ulmer Wohnungsschiffe zur Wiener Weltausstellung.

[243] dürfe, wenn es die Betheiligung eines jeden Andern an seinem Unternehmen ausschließe und die Aufnahme in seine Wohnungsschiffe allzu particularistisch beschränke.

Darum beschlossen die Fünf, das Unternehmen auszudehnen, einstweilen zehn Wohnungsschiffe zu bauen und auszurüsten und Antheilscheine auf den Namen im Betrage von je hundert Gulden süddeutscher Währung auszugeben, wovon fünfzig Procent bei der Zeichnung, der Rest aber vierzehn Tage nach Ausschreibung zu entrichten sei. Im Umsehen war der Bedarf weitaus überzeichnet.

Die österreichische Regierung begrüßte das Unternehmen mit Freuden. Sie räumte dem Ulmer Comité für seine Wohnungsschiffe einen Platz ein, der gar nicht günstiger gelegen sein könnte; ja sie hat wiederholt den Wunsch ausgesprochen, daß die Zahl der Schiffe womöglich bis auf dreißig vermehrt werde. Was geschehen kann, wird geschehen.

In Neu-Ulm auf dem Schwal, dem Hauptstapelplatze der Ulmer Schiffsleute, wird indessen mit rastloser Thätigkeit gearbeitet. Einige dieser Wohnungsschiffe sind fertig und zur Abfahrt bereit. Es sind die gleichen Ordinarischiffe, Ulmer Schachteln, wie sie seit jeher gebaut wurden, mit fünfhundert Centner Tragkraft, 27,30 Meter lang, 6,20 Meter breit. Den ganzen Raum, mit Ausnahme des freien Platzes, sowohl am Kiel wie am Steuer, bedeckt eine lange Kajüte, durch welche in der ganzen Schiffslänge vom Steuer bis zum Kiel hin ein Gang von 1,20 Meter Breite hindurchführt. Zu beiden Seiten des Ganges liegen die Cabinen und zwar auf jeder Seite dreizehn bis fünfzehn. Die Cabinen sind numerirt wie die Zimmer in jedem Gasthause. Gegenüber der Thür ist das kleine Fenster. Die Cabinen sind theils mit einem, theils mit zwei Betten versehen. In der Höhe und Länge sind sie selbstverständlich alle gleich, nur in der Breite sind sie verschieden. Die Höhe beträgt bei allen 2,50 Meter, ebensoviel die Länge; dagegen sind die Cabinen mit einem Bett 1,75 Meter breit, während die mit zwei Betten 2,75 Meter breit sind. Alle Cabinen sind mit Stoff tapezirt, alle mit Teppichen belegt. Ebenso mit Teppichen belegt ist auch der Gang. Die in den Cabinen befindlichen Betten bestehen aus einem Bettrost mit galvansirten Kupferfedern, einer Roßhaarmatratze, einem Polster, zwei Federkissen und einer rothwollenen Decke, einem Ober- und Unterleintuch, Bettwäsche aus weißem Stoff. Es befindet sich ferner in einem jeden Zimmer ein verschließbarer Waschtisch mit vollständiger Einrichtung und außerdem Spiegel, Klappstuhl, Handleuchter und Stearinlicht, ein Rechen zum Aufhängen der Kleider etc. In den Cabinen mit zwei Betten ist die Einrichtung doppelt enthalten. Außer den Cabinen befindet sich auf jedem Schiff ein Gepäckraum und zwei Abtritte.

An dem ausreichenden Personal, das die Bewohner der Cabinen zu bedienen und für die sorgfältigste Reinlichkeit einzustehen hat, wird es nicht fehlen. Als eine willkommene Annehmlichkeit muß noch erwähnt werden, daß auf den Schiffen Briefschalter angebracht werden sollen, die dem nach Hause Schreibenden den Weg nach der Post ersparen.

Die Kosten des Unternehmens sind nicht unbedeutend. Sie belaufen sich bei jedem Schiff mit vollständiger Einrichtung auf 4845 Gulden am Ort Ulm. Dazu kommen die laufenden Kosten. Noch sind die Unternehmer über die Höhe des Preises nicht schlüssig geworden, den sie für die Benutzung ihrer Cabinen verlangen sollen. Man spricht von einem Thaler pro Tag, höchstens zwei Gulden – ein Preis, der im Verhältniß zu den übrigen Preisen während der Ausstellungszeit annehmbar erscheint, der aber sicherlich genügt, um eine gute Rente in Aussicht zu stellen. Etwas Bestimmtes kann ich hierüber noch nicht mittheilen. Wer kann wissen, ob nicht auch hier, wie sonstwo, der Appetit während des Essens wächst?

Es bleibt mir noch übrig, ein Wort über den Platz zu sprechen, wo die Ulmer Wohnungsschiffe aufgestellt sein werden. In der unmittelbarsten Nähe der Ausstellung fließt der Donaucanal, der sogenannte Donaudurchstich, vorüber. Ja, es ist dieser Donaudurchstich in die Ausstellung mit hereingezogen worden, insofern als er zur „Maritimen Ausstellung“ benutzt wird. Und neben dieser Maritimen Ausstellung, welche das Schiffswesen in seinen Friedens- und Kriegsfahrzeugen vorführen soll, wird die Flotille der Ulmer Wohnungsschiffe vor Anker liegen. Von hier erreicht man die Weltausstellung mit wenigen Schritten. Doch wie nahe diese auch sei, ein paar Restaurationen liegen noch näher. Und das ist praktisch und bequem. Wer aber die Stadt besuchen will, der hat die Wahl zwischen Pferdebahn, Omnibus und Droschken, welche bis in die unmittelbare Nähe der Wohnungsschiffe von Morgens fünf Uhr bis Nachts ein Uhr ununterbrochen verkehren.

Gleich in der ersten Anzeige, die das Fünfer-Comité veröffentlichte, wurde als ein Motiv des Unternehmens der „Wunsch des Ulmer Schiffervereins“ vorangestellt, „in thatkräftiger Weise dazu beizutragen, daß bei der bevorstehenden Wiener Weltausstellung die hohe Bedeutung der Donau als Wasserstraße in ihrem ganzen Umfang zur Anschauung komme, und den Verkehr, welcher seit langen Jahren zwischen Ulm und den unteren Donauländern besteht, durch eine Anzahl der bekannten Ulmer Transportschiffe zu repräsentiren.“ Die Ulmer Flottille soll mithin als ein Theil der Weltausstellung selbst betrachtet werden, nicht als ein künstlerisches Werk, sondern als Zeugniß des Verkehrs und praktische Leistung. Und in der That, wer nach Wien die Reise machen wird, der wird gewiß nicht versäumen, zum Donaucanal zu wandern und die Ulmer Schachteln zu besuchen.

Diplomaten werden in diesen Cabinen nicht zusammenkommen, um Conferenzen zu halten; auch werden weder schwarze noch rothe Verschwörer hier irgendwelche hochverrätherische Pläne schmieden, denn die Wände haben Ohren, wohl aber wird ein gar munteres, buntes Leben und Treiben sich hier zusammenfinden.

So sendet denn Ulm in der Wohnungsnoth, die Wien bedrohen könnte, seine Hülfe. Die Donau, die alte Wasserstraße, bringt schwimmende Herbergen, die im Stande sind, Hunderte von Gästen zugleich aufzunehmen. Die Ulmer, indem sie für tausend und abertausend Andere sorgen, haben dabei sich selbst das Unterkommen gesichert. Und wenn sie ihre Reise nach der Kaiserstadt antreten, dann wird ihr altehrwürdiger „Willkomm“ und auch sein Wiener Nachbar sie begleiten zum fröhlichen Zusammenklang der Pokale und der Herzen.

„Die Parole heißt: „Auf Wiedersehen in Wien!“




Goethe.
Sein Leben und Dichten in Vorträgen für Frauen geschildert.
Von Johannes Scherr.
V.


Es war eine sonderlich gemischte Studenten- und sonstige Junggesellensippschaft, welche an dem Mittagskosttische der beiden ehrenwerthen alten Jungfern Lauth in der Krämergasse Nr. 13 sich zusammenfand und willig den wackeren Actuarius Salzmann als ihren Präses anerkannte. In Wahrheit, der gute und verständige Mann hat bei diesen frugalen Symposien die Rolle des Sokrates innegehabt. An ihn reihten sich die Studenten Lerse, Weyland, Engelbach, Meyer von Lindau, Melzer, Waldberg und der sanftmüthige, fromme Jung-Stilling, der nach Straßburg gegangen war, um sich in der Augenheilkunde zu vervollkommnen. Auch der kraftgeniemäßig sich räuspernde und spuckende Poetaster Heinrich Leopold Wagner gehörte diesem Kreise an, sowie demselben zu Anfang des Jahres 1771 der aus Lievland gekommene Reinhold Lenz beitrat, der geniale Irrwisch, der es leider im Leben und im Dichten nur bis zum Irrlichteliren gebracht hat. Alle diese Tischgenossen waren mehr oder minder von dem in die Zeit gefahrenen Sturm und Drang angefaßt und zollten, jeder in seiner Art, dieser Zeitstimmung ihren Tribut. Gemeinsam war ihnen die Begeisterung für die deutsche Sprache und ein weiteres Bindband wurde für die meisten der Enthusiasmus für [244] Shakspeare, dessen Geltung unter ihnen „bis zur Anbetung“ ging. Glückliche Menschen von damals, die ihr noch verehren, anbeten, lieben konntet! Uns Nachgeborenen ist nur die Verneinung, die Kritik und der Haß geblieben.

Ein echthuman liebevoller Zug ging durch die Kraftgenialität unseres Straßburger Studenten Goethe. War da der gute Jung-Stilling mit seinem Mitankömmling und Freunde Trost zum erstenmale zur Tafelrunde bei den ehrsamen Jungfern Lauth erschienen. „Wir waren zuerst da,“ erzählt er uns, „und man wies uns unsern Ort an. Es speisten ungefähr zwanzig Personen an diesem Tisch und wir sahen einen nach dem anderen hereintreten. Besonders kam einer mit großen hellen Augen, prachtvoller Stirn und schönen Wuchses muthig in’s Zimmer. Wir wurden gewahr, daß man diesen ausgezeichneten Menschen Herr Goethe nannte, glaubten aber, daß wir viel Verdruß mit ihm haben würden, da ich ihn für einen wilden Kameraden ansah. Herr Trost sagte leise zu mir: ‚Hier ist’s am besten, daß man vierzehn Tage schweigt.‘ Wir schwiegen also; es kehrte sich auch niemand sonderlich an uns, außer daß Goethe zuweilen seine Augen herüberwälzte. Er saß mir gegenüber und er hatte die Regierung am Tische, ohne daß er sie suchte.“

Er war aber ein guter Tischregent, wie Stilling sofort erfuhr. Unser der Augenheilkunde beflissener Neuling hatte statt einer modischen „Beutelperücke“ eine runde auf. An dieser stieß sich der spottlustige Mediciner Waldberg, welcher vielleicht in dem „Fuchs“ mit der runden Perücke noch dazu einen der „Stillen im Lande“ erkennen mochte. Fragte daher plötzlich über den Tisch herüber: „Was meint Ihr, hat wohl Adam im Paradiese auch eine runde Perücke getragen?“

Darauf wurde der Stille sofort laut, denn das hieß ja nicht nur seiner, sondern auch der Heiligen Schrift spotten. „Schämen Sie sich,“ sagte er muthig aus seiner runden Perücke heraus, „ein solcher Einfall ist nicht werth, daß er belacht werde.“

Das fanden freilich die anderen nicht, denn alle lachten herzlich bis auf Salzmann und Goethe. Der „wilde Kamerad“ nahm sich sogar des Verspotteten offen und tapfer an, indem er dem Spötter die geflügelten Worte zurief: „Probire doch erst einen Menschen, ob er des Spottes werth sei. Es ist teufelsmäßig, einen rechtschaffenen Mann, der Keinen beleidigt hat, zum besten zu haben!“

Wie das dem Stilling wohlthat! Von Stund’ an hat er sich mit der ganzen Anschmiegsamkeit seines Wesens seinem Beschützer angeschmiegt.

Diese Kosttischscene zeigt uns deutlich genug, daß unseres Wolfgangs Auftreten schon damals überall ein siegreiches gewesen ist. Er war ein prächtiger Junge. Es ist uns bezeugt, daß, wenn er zu Straßburg in eine Gaststube trat, die Gäste Messer und Gabeln ruhen ließen und die erhobenen Gläser niedersetzten, um des Jünglings apollonische Schönheit anzustaunen; diese schlanke, mannhafte, breitbrüstige Wohlgestalt, diesen edelgeformten, auf kräftigem Nacken leicht sich wiegenden Kopf, diese hohe, breite, freie Stirn mit den langen schön geschwungenen Brauen, unter denen die mächtig großen braunen Augen ihr olympisches Feuer hervorstrahlten, die kühn vorspringende, aber fein modellirte Nase, das energische Kinn, die frischen, vollen, rothen Lippen, deren wohlwollendem, schalkhaftem oder zärtlichem Lächeln zu widerstreben die Frauen so schwer, wenn nicht unmöglich fanden. Ach ja, die Frauen und, selbstverständlich, auch die Mädchen, die „Maidle“, wie Goethe in seinen Straßburger Briefen sie mitunter auf gut elsässisch nannte. So hat auch jene junge Französin Lucinde, von deren Vater unser Student in die höhere Tanzkunst sich einweihen ließ, die Unwiderstehlichkeit des Goethe’schen Lächelns schmerzlich erfahren. Es muß ein wild-dramatischer Auftritt gewesen sein, als die auf ihre jüngere Schwester Emilie Eifersüchtige den leidenschaftlich geliebten jungen Mann „ganz eigentlich beim Kopfe faßte“ und – Goethe spricht – „mir mit beiden Händen in die Locken fuhr, mein Gesicht an das ihrige drückte, mich zu wiederholten malen auf den Mund küßte und ausrief: ‚Unglück über Unglück auf Diejenige, die zum erstenmal nach mir diese Lippen küßt! Wage es nun, Schwester, wieder mit ihm anzubinden! Und Sie, mein Herr, eilen Sie, was Sie können!‘“

Wir glauben dem also Fortumarmten und Weggeküßten gern, daß er die Treppe „hinunterflog mit dem festen Vorsatze, das Haus nicht wieder zu betreten“.

Nicht ganz unstatthaft dürfte die Vermuthung sein, daß dieses Muster von französischer Liebe mit dazu beigetragen haben könnte, den Wolfgang in seinen damaligen starkdeutschen Neigungen zu kräftigen. Jedenfalls fiel seine ganz entschiedene Abwendung von der französischen Literatur in diese Straßburger Zeit voll Sprossens, Tastens und Suchens. Er kehrte seine Blicke theilnahmevoll der Vergangenheit seines Volkes zu und hier blieben sie an der derbknochigen Rittergestalt des „Götz von Berlichingen“ haften, welcher in alten Tagen auf seiner Burg Hornberg am Neckar die Denkwürdigkeiten seiner so ziemlich raubritterlichen Laufbahn aufgezeichnet hatte. Es darf wohl ohne Widerrede angenommen werden, daß die Anfänge des Goethe’schen „Götz“ in Straßburg entstanden sind. Dagegen lassen sich schlechterdings keine Beweise beibringen für die Meinung, unser Dichter habe während seiner Straßburger Zeit so oder so auch schon mit den großen Problemen, welche in den nächsten Jahren gestaltungheischend an ihn herantraten, mit den Problemen „Faust“, „Prometheus“, „Ahasver“, „Mohammed“ sich getragen und beschäftigt. Die Juristerei wurde zwar auch hier, wie in Leipzig, nur so nebenbei getrieben; doch wurde sie getrieben im Hinblick auf den Wunsch und Willen des Herrn Vaters daheim, der da nicht leiden konnte, daß man seine Haustreppe umgebaut haben wollte und daß man seine Spiegelrahmen „schnörkelhaft“ und seine Tapeten zu „chinesisch“ fand. Jedenfalls aber hörte unser Student medicinische Vorlesungen mit mehr Antheil als seine berufswissenschaftlichen. Die Jurisprudenz hat ihn ja seinem Eingeständniß zufolge überhaupt nur soweit beschäftigt, als es galt, „die Promotion mit einigen Ehren zu absolviren“.

Zuvörderst galt es aber, einen ganz anderen Cursus zu absolviren, den Friederike-Cursus, welchen er im zehnten und elften Buche von „Dichtung und Wahrheit“ so reizend geschildert hat. Ja, als der alte Goethe diese Schilderung dictirte, da ist ihm das Herz jung geworden in der Brust und aufgegangen wie eine Blume im Frühlingssonnenlicht. Sein damaliger Geheimschreiber Kräuter hat bezeugt, daß der alte Herr, statt wie sonst beim Dictiren gleichmäßig im Zimmer hin und her zu gehen, zu jenen Stunden, wo ein Hauch der Erinnerung aus den Feldern und Wäldern von Sesenheim ihn umspielte, tiefergriffen stillgestanden sei und sein Dictat durch lange Pausen unterbrochen habe. Dann habe er sich die belastete Seele mittelst tiefen Aufseufzens erleichtert, um gedämpften Tones fortzufahren. Warum auch sollte er nicht tief ergriffen, warum nicht schmerzlich bewegt sein? Er mußte ja auch dann noch, in seinen alten Tagen noch fühlen, daß die Trennung von Friederike, die ihm so mit ganzer Seele zu eigen gewesen, wie es keine andere mehr ward, der große Unsegen seines Lebens geworden …

Wie unser zu schalkhaften Streichen stets geneigter Straßburger Student eines schönen Octobertages von 1770 im An- und Aufzug eines armen Teufels von Candidaten der Theologie mit seinem Kameraden Weyland nach Drusenheim hinüberritt, um von dort in’s Pfarrhaus des nahe gelegenen Sesenheim zu wandern und die bekannte Gastfreiheit des wackeren Pfarrers Johann Jakob Brion anzusprechen; item, wie den angeblichen Candidaten die Sesenheimer Pfarre sammt ihren Insassen – Vater, Mutter, drei Töchtern und einem Jungen – anmuthete wie Goldsmiths in die Wirklichkeit übersetztes Idyll vom „Vicar of Wakefield“ – ist allbekannt. Die noch nicht ganz sechszehnjährige Friederike Brion (geboren 1754) kam den Gästen etwas später vor Augen als die übrigen Mitglieder der Familie. Die Erinnerung, wie das herzige „Maidle“ zuerst seinen Augen sich darstellte, lebte unauslöschlich frisch und farbenhell in Goethe’s Seele fort. „Endlich trat sie in die Thür und da ging fürwahr an diesem ländlichen Himmel ein allerliebster Stern auf. Die Mädchen trugen sich noch deutsch, wie man es zu nennen pflegte, und diese Nationaltracht kleidete Friederiken besonders gut. Ein kurzes weißes rundes Röckchen mit einer Falbel, nicht länger, als daß die nettesten Füßchen bis an die Knöchel sichtbar blieben; ein knappes weißes Mieder und eine schwarze Taffetschürze: so stand sie auf der Grenze zwischen Bäuerin und Städterin. Schlank und leicht, als wenn sie nichts an sich zu tragen hätte, schritt sie einher und beinahe schien für die gewaltigen blonden Zöpfe des niedlichen Köpfchens der Hals zu [245] zart. Aus heiteren blauen Augen blickte sie sehr deutlich umher, und das artige Stumpfnäschen forschte so frei in die Luft, als wenn es in der Welt keine Sorge geben könnte. Der Strohhut hing ihr am Arm und so hatte ich das Vergnügen, sie beim ersten Blick auf einmal in ihrer ganzen Anmuth und Lieblichkeit zu sehen und zu erkennen.“

Was weiter sagen? Es hob an diesem Tage schon zwischen den Beiden das ewigalte und ewigjunge Spiel an von Augen, die sich suchen, von Herzen, die sich finden, von Händen, die einander zu fassen sich sehnen. Friederike’s Blauaugen ließen sich durch die ärmliche Candidatenmaske nicht irremachen: mit jenem scharfen Mädcheninstinct, welcher mitunter alle Erfahrungen einer Frau an Treffsicherheit übertrifft, mochte sie in dem schönen Fremdling den Götterliebling, den Auserwählten erkennen und hinwiederum muß ihre „Lieblichkeit“ in der That eine überwältigende gewesen sein. Denn unser Wolfgang brachte schon von diesem ersten Besuch in Sesenheim ein lichterloh brennendes Herz mit nach Straßburg zurück, von wo er am 15. October an Friederike schrieb: „Mein Aug’ fand im ersten Blick die Hoffnung zur Freundschaft in Ihrem und für unsere Herzen wollt’ ich schwören; Sie zärtlich und gut, wie ich Sie kenne, sollten Sie mir, da ich Sie so liebhabe, nicht wieder ein bißchen günstig sein?“ Ach ja, das arme Kind war ihm gut und günstig, nicht „ein bißchen“, aber sehr. Auch das Töchterlein des guten Pfarrers, dessen lange Predigten der Wolfgang mit himmlischer Geduld anhörte, weil im Kirchenstuhl neben der Geliebten sitzend, hatte Feuer gefangen, aber in der Liebenden ist diese Flamme erst im Tode erloschen. Charakteristisch und unserem lichterloh brennenden Dichter sehr zur Ehre gereichend war es, daß er, der von seiten der heißen Lucinde auf seine Lippen gelegten Verwünschung eingedenk, Bedenken trug, die Lippen des geliebten Mädchens mit den seinen zu berühren. Freilich währte dieser Scrupel nicht länger, als eben solche Scrupel zu währen pflegen. Mit dem Frühlingsanbruch von 1771 sproßte ein ganzer Friederike-Liederstrauß aus Wolfgangs Herz hervor, ein Strauß von Liedern, wie sie eben nur ein „von einer Empfindung ganz volles“ Dichterherz zu offenbaren vermochte. Manche dieser Friederikelieder gehören zu dem Innigsten, Zartesten und Feurigsten, was Goethe gedichtet hat. Wie hätte er auch anders dichten können in jenen sechs Frühlingswochen, welche er in Sesenheim verbrachte? War er doch, wie er vierzig Jahre später bekannte, „grenzenlos glücklich an der Seite Friederike’s, als deren Verlobter er stillschweigend anerkannt gewesen zu sein scheint. Es war da nahe bei der Pfarre ein Gehölz, welches das „Nachtigallwäldel“ hieß, weil die Nachtigallen, meinten die Sesenheimer Bauern, so darin „plärrten“, daß man Nachts nicht schlafen konnte. Hierher sind Wolfgang und Friederike gewandelt, um, wie er angiebt, „durch die herzlichste Umarmung und die treulichste Versicherung einander zu sagen, daß sie sich von Grund aus liebten“. Sehr begreiflich und verzeihlich unter solchen Umständen, scheint mir, daß „alle hypochondrischen und abergläubischen Grillen“, Lucinde und ihre Verwünschung dem Liebenden entschwanden und er seine „so zärtlich Geliebte recht herzlich zu küssen nicht versäumte, auch die Wiederholung dieser Freude sich nicht versagte.“

Aber nicht nur „unter Palmen“, sondern auch unter den Buchen des Nachtigallwäldels von Sesenheim wandelt man nicht ungestraft. Dem Menschen, wie er nun einmal ist, wird ein volles, reines, ungestörtes Glück gar nicht beschieden. Es muß so sein; denn wäre es nicht so, würde der Mensch vor Uebermuth toll werden. Das schwarze Verhängniß, welches allezeit selbst über den augenblicklich Glücklichsten drohend hängt, ist für das Gleichgewicht der Menschenseele ebenso nothwendig wie für das Gleichgewicht des Menschenleibes der Druck der Atmosphäre. Ein Gefühl, daß die Blüthen des Sesenheimer Liebesfrühlings welken müßten, macht sich mitunter schon in den Briefen hörbar, welche der glückliche Wolfgang aus Sesenheim nach Straßburg an Salzmann schreibt:

„Ich fühl’ es, lieber Freund, daß man um kein Haar glücklicher ist, wenn man erlangt, was man wünscht. Die Zugabe! die Zugabe! die uns das Schicksal zu jeder Glückseligkeit dreinwiegt! Es gehört viel Muth dazu, in der Welt nicht mißmuthig zu werden!“ …

Die Zugabe, die Zugabe, ja wohl! Goethe’s Biographen und Beurtheiler haben sich viele Mühe gegeben, den Sinn dieses Wortes herauszubringen. Einer (Viehoff) will darunter verstanden wissen „das tiefe Gefühl des Dichters, daß es ein Treubruch an sich selbst wäre, wenn er seine Seele so frühe und für immer in diese idyllisch begrenzte Sphäre einschränkte“. Ein zweiter (Schäfer) findet in der „Zugabe“ die „Erkenntniß, daß diese Liebe nicht der Lebensinhalt für seinen hochstrebenden Genius sein könne“. Ein dritter (Düntzer) glaubt, die „Zugabe“ sei die „Einsicht gewesen, daß er nicht bestimmt sei, das wahre Glück der Liebe in ruhigem Besitze zu genießen“. Ein vierter endlich (Leyser) erklärt: „Es war das tiefe Gefühl des Abstandes zwischen Idee und Wirklichkeit, das ihn ergriff, die Klage, die so schmerzlich zu uns spricht aus den Gebilden unserer Dichter und Künstler, daß wir emporstreben nach unseren Idealen wie Adler nach der Sonne, wie Adler mit gebrochenen Fittigen.“ Zweifelsohne enthält jede dieser Ansichten ein Korn Wahrheit, aber nicht die ganze Wahrheit. Mir selbst hat der kalte Windstoß der Reflexion, wie er in des Dichters Aeußerung gegen Salzmann plötzlich die Blüthendolden des Sesenheimer Liebesfrühlings schüttelte, eine Stelle aus Goethe’s „Ewigem Juden“ im Gedächtniß wachgerufen, die Stelle, wo von Christus bei seinem zweiten Herabsteigen zur Erde gesagt ist:

„Er fühlt im vollen Himmelsflug
Der irdischen Atmosphäre Zug,
Fühlt, wie das reinste Glück der Welt
Schon eine Ahnung von Weh enthält.“

Das war es! Aber es war noch nicht Alles, und auch das Uebrige muß gesagt werden: – das Organ der Treue war in Goethe’s Seele wenig entwickelt und es widersprach der Wahrhaftigkeit seines Wesens, den von ihm geliebten Mädchen und Frauen auch dann noch Treue zu heucheln, wenn er die Nutzlosigkeit oder gar die Verderblichkeit seiner Leidenschaft eingesehen hatte. In seinem Verhältnisse zu Friederike war von Anfang an ein obzwar zuerst gar nicht beachtetes, aber doch thatsächlich störendes Moment gewesen: der Umstand, daß das liebe Kind „auf der Grenze zwischen Bäuerin und Städterin stand“. Die Convenienz ist nun einmal in der Welt, mit allen ihren Formen und Normen, und selbst der genialste Stürmer und Dränger, das titanenhafteste Kraftgenie kann sich an dieser „brutalen Thatsache“, so es gewaltsam gegen sie anstürmt, nur den Schädel einrennen. Das fühlte Goethe, welcher bei all’ seiner Phantasiefülle und all’ seinem Empfindungsüberschwang doch gar wohl wußte, daß es nur dummes Zeug absetzt, wenn man das Poetische in die Prosa der Wirklichkeit willkürlich übertragen will. Es ist vielleicht grausam zu sagen, aber wahr: es ist zweierlei, sehr zweierlei, ein holdes „Maidle“, wie die arme Friederike war, unter den Buchen des Sesenheimer Nachtigallwäldels zu küssen oder aber selbiges Maidle in seiner elsässischen Landestracht in das reichsstädtisch-patrizisch-ehrensteife Vaterhaus heimzuführen, allwo ein kaiserlicher Rath Johann Kaspar sehr viel auf Schnörkelrahmen und chinesische Tapeten hält. Aber die Frau Aja würde sich doch wohl leicht in die schöne und seelengute ländliche Schwiegertochter gefunden und geschickt haben? Vielleicht – vielleicht aber auch nicht. Frauen sind unberechenbar, und vollends Schwiegermütter! Das ganze Mißverhältniß zwischen seiner Leidenschaft und seiner Zukunft, zwischen seiner und der Geliebten socialen Stellung mußte unserem Dichter aufgehen, als im Sommer Friederike mit ihrer Mutter und Schwester zum Besuche bei Verwandten nach Straßburg hereinkam. Der Farbenschmelz des Sesenheimer Idylls mußte innerhalb der Stadtmauern erblassen; es konnte gar nicht anders sein. Die Harmonie von Friederike’s Erscheinung und Gebaren mit ihrer ländlichen Umgebung mußte in der städtischen zur Dissonanz werden; man kann das gar nicht bezweifeln. Goethe hat es allerdings nicht ausdrücklich anerkannt, daß ihn dieser Besuch zur Trennung von der Geliebten bestimmt habe; aber seine Aeußerung: „Endlich sah ich sie abfahren und es fiel mir wie ein Stein vom Herzen!“ spricht gewiß deutlich genug. Freilich, der Kampf zwischen Leidenschaft und Entsagung war damit keineswegs schon zu Ende gekämpft. Im Gegentheil, derselbe hob jetzt erst recht an.

Es steht fest, daß der Dichter niemals das entscheidende Fragewort an die Geliebte gerichtet und daß demnach auch niemals [246] ein förmliches Verlöbniß zwischen ihm und Friderike stattgefunden hat. Aber darum heuchelte er sich doch keineswegs vor, er hätte das geliebte Kind nicht zu den süßesten Hoffnungen ermuthigt. Friederike mußte des festen Glaubens und Vertrauens sein, der Heißgeliebte würde sie als seine Frau heimführen. Das wußte Goethe und dieses Wissen wurde ihm später zur bittersten Reuequal. Lange Jahre nachher hat er als sein Selbstankläger und Selbstanschuldiger gesagt: „Eine solche jugendliche auf Gerathewohl gehegte Neigung ist der nächtlich geworfenen Bombe zu verglichen, die in einer sanften glänzenden Linie aufsteigt, sich unter die Sterne mischt, ja einen Augenblick unter ihnen zu verweilen scheint, alsdann aber abwärts wieder dieselbe Bahn, nur umgekehrt, bezeichnet und zuletzt da, wo sie ihren Lauf geendet, Verderben hinbringt. Allein wie soll eine schmeichelnde Leidenschaft uns voraussehen lassen, wohin sie uns führen kann?“

Die Frage war und ist vollberechtigt. Die Leidenschaft schmeichelt dir erst den kleinen Finger, dann alle zehn Finger, dann den Arm ab, und bevor du es merkst, hat sie dich ganz. Sie ist der Fluch, aber sie ist auch der Segen des Menschendaseins. Was wäre dieses ohne sie für eine salzlose Posse! Die Leidenschaft schafft Leiden, gewiß; aber indem sie das thut, erhebt sie das weltgeschichtliche Satyrspiel zur Tragödie und macht den Kampf zwischen ihr und dem Schicksal zu einem „Schauspiel für Götter“.

Mitten in einem solchen Kampfe stehend, hat unser Student natürlich weder Muße noch Stimmung zu ausdauernder Arbeit gefunden. Auf fortgesetzte Vorstudien zum „Faust“ deutet die Lesung magischer und mystischer Scharteken hin. Wie weit etwa der erste Wurf des Götz noch in Straßburg getrieben worden sein mag, ist unnachweisbar, jedenfalls ist der Gedankengehalt des Aufsatzes „Von deutscher Baukunst“, welchen Goethe vor Jahresschluß 1771 zu Ehren Erwin’s von Steinbach im rauschenden Kataraktstil der Kraftgenialität niederschrieb, Straßburger Gewächs ganz und gar. Eine Notiz in dem kunterbunten Tagebuche, welches der Wolfgang zu Straßburg führte, kann uns glauben machen, er habe sich damals auch mit dem Gedanken beschäftigt, ein Cäsar-Drama zu dichten. Daneben wurde doch, um den leidigen Casus der Promotion endlich abzuthun, eine Dissertation in anständigem Latein zuwegegeschneidert über das Thema „Der Gesetzgeber ist nicht allein berechtigt, sondern auch verpflichtet, einen bestimmten Cultus festzusetzen, von welchem weder die Geistlichen noch die Laien sich lossagen dürfen.“ Diese hochconservativ-kirchenrechtliche Anschauung von Seiten des eigentlichen Löwen der Sturm- und Drangperiode hat etwas Verblüffendes, welches sich aber, ohne daß man von Goethe’s „aristokratischer Natur“ zu reden brauchte, leicht dahin erklären dürfte, daß es den jungen Löwen gejuckt habe, paradox zu brüllen. Dem Herrn Vater daheim, welchem das juristische Opusculum in sauberer Abschrift übermittelt wurde, gefiel dasselbe nicht übel; dagegen schüttelte ein wohlweiser Decan der Facultät den Kopf dazu und rieth unserm Candidaten, die Dissertation doch lieber zurückzuziehen und über anderweite Theses zu disputiren, um den Grad eines Licentiaten zu erlangen; denn um diesen, nicht um den Doctorgrad handelte es sich.

Goethe ist nur par courtoisie Doctor geworden, d. h. man nannte den Licentiaten so, und er ließ es sich gefallen, weil in seinen Augen der eine Titel gerade so viel werth war wie der andere, das heißt nichts. Unser Candidat stellte sechsundfünfzig „Positiones juris“ zusammen, die er in öffentlicher Disputation vertheidigen wollte. Die merkwürdigste dieser Thesen war wohl die dreiundfünfzigste („poenae capitales non abrogandae“, die Todesstrafen sind beizubehalten), weil sie ein Thema berührte, welches in der jurisprudenzlichen Welt auch heute noch heftig hin- und hergezerrt wird. Uebrigens war eine derartige Disputation dazumalen in Straßburg und anderwärts nur eine Formalität mit abgekarteter Rollenvertheilung, im Grunde der helle Jux. Die Goethe’sche ging am 6. August von 1771 im Thomanum, dem alten Universitätsgebäude, vor sich „wie geschmiert“, einer Ueberlieferung zufolge nicht ohne einen komischen Zwischenfall. Lerse nämlich habe zum Spaß als Respondent dem Disputanten so warm gemacht, daß dieser aus seiner Rolle und aus seinem Latein fiel und dem Bedränger deutsch zurief: „Ich glaube, Bruder, Du willst an mir zum Hektor werden!“

Zu Ende August’s verließ der neugebackene Herr Licentiat das Elsaß. Er ritt zuvor noch nach Sesenheim hinaus, zum bittersten Abschiede, den er wohl jemals genommen, zum Abschiede von der Geliebten, zu welcher er in der letzten Strophe eines seiner Friederiken-Lieder gesagt hatte:

„Fühle, was mein Herz empfindet,
Reiche frei mir Deine Hand!
Und das Band, das uns umwindet,
Sei kein schwaches Rosenband“ –

und die er nun zu verlassen kam. Kein Tadel, kein Vorwurf fiel von den Lippen Friederike’s. Dieses einfache Landmädchen scheint instinctiv gefühlt zu haben, daß es sich ziemte, das Glück und Unglück, von einem zur Unsterblichkeit Berufenen geliebt worden zu sein, mit stiller Würde zu tragen.

„Es waren peinliche Tage,“ erzählt der alte Goethe. „Als ich ihr die Hand vom Pferde reichte, standen ihr die Thränen in den Augen und mir war sehr übel zu Muthe.“ Sehr glaubhaft, fürwahr, daß ihm das Herz schwer in der Brust lag auf seinem Ritte gen Straßburg. Aber wer vermöchte zu sagen, wie schwer ihr das Herz in der Brust gelegen haben mag, als der heißgeliebte, treulose Reiter hinter den Bäumen von Sesenheim verschwand. Sie hat dieses schwere Herz bis zum 3. April von 1813 mit sich herumgetragen: da ist es ihr endlich leicht geworden im Tode. Und sie starb unvermählt, obzwar es ihr an Freiern keineswegs gefehlt hatte. Aber keiner hatte ihr Jawort gewonnen; denn, soll sie gesagt haben, „wer von Goethe geliebt worden, kann keinen Andern lieben!“ und dabei war sie verblieben.




Wild-, Wald- und Waidmannsbilder.
Von Guido Hammer.
Nr. 37. Kleines Wild.


Wie oft schon kehrte ich vom Wildgange heim, ohne einen Schuß gethan, ja nur ein jagdbares Wild dabei erblickt zu haben, und die Meinigen scherzten dann wohl: daß ich wieder einmal „die Flinte spazieren getragen“ habe. Und doch waren oft gerade solch’ scheinbar ungenützt verstrichene Tage von ganz besonderem Hochgenuß für mich; denn von der Leidenschaftlichkeit, die erfolgreiche Jagd mit sich zu bringen pflegt, nicht abgezogen, konnte ich ja um so beschaulicher tausenderlei Betrachtungen in der reichen Gottesnatur nachhängen. Und welch’ köstliche Stunden habe ich verlebt, wann ich so recht im Wonnegefühle vollster Unabhängigkeit, frei wie das Wild im Walde, mit dem ich von jeher auch dessen Bedürfnißlosigkeit theilte, an sonniggoldenen Herbsttagen sorglos die Fluren nach Beute durchstreifte! Konnte ich kein Wild erjagen, so wußte ich mich für diesen Verlust durch einen recht aus dem Vollen schöpfenden Naturgenuß zu entschädigen. In süßem Nichtsthun lag ich bald auf weicher, schwellender Moosdecke, über mir das magische Dunkel hoch aufstrebender Tannen, bald im grasigen Grunde unter weitschirmenden Buchen hingestreckt. Durch düsteres Nadelgezweig oder goldschimmerndes Blättergewirr sandte ich die Blicke zum azurnen Himmel, den am Horizont aufsteigenden, wachsenden und dann im Weiterziehen wieder vergehenden Wolkengebilden und den kreisenden oder schnell dahinschießenden Vögeln nach. Aber auch auf mancher baum- und strauchlosen, nur einförmig von lieblicher Erica überwucherten Haidestrecke gab es Freude genug Aug’ und Sinn zu ergötzen.

Zwischen der felsigen Halde eines Gebirgsrodelandes voll halbverraster Haidebüschel und einem kümmerlich stehenden Haferfelde bildet ein Damm von hochaufgeworfenen Ackersteinen die Grenze. Eine wettertrotzende knorrige Eberesche mit purpurnen Fruchtbüscheln ist demselben entwachsen. Dort bröckelt es eben leise im lockern Geröll. Rasch wendet sich das Auge danach, [247] um vom kaum vernommenen Schalle die Ursache zu ergründen, und siehe – da schlüpft mit blitzesschneller Behendigkeit ein Wieselchen über das katzengoldglimmerige Getrümmer dahin, im niedlichen, aber scharf bewehrten Rachen den Fang, eine Maus, tragend. Trotz der verhältnißmäßig schweren Bürde überspringt die kleine Bestie mit graciösesten Sätzen das zerklüftete Terrain, als wolle sie nimmer damit rasten; plötzlich aber macht das flinke Geschöpfchen an gesicherter Stelle Halt. Hier nun, hingestreckt auf moosigem Pfühle, sein Opfer unter den

Wiesel-Ehepaar beim Frühstück.
Nach der Natur gezeichnet von Guido Hammer.

zierlichen Branken, schickt sich dieses kleinste aller Raubthiere, das aber an Blutdurst und Grausamkeit selbst den Tiger übertreffen dürfte, an, die frische Beute zu verzehren. Jedoch noch ehe das funkeläugige winzige Ungethüm dazu kommt, schlüpft von der andern Seite ein ebenso zwergenhafter Cumpan, jedenfalls des ersteren Galan, herzu, um theilzunehmen am mundrecht vorgelegten fetten Schmause. Wie aber bei allen Besitzenden gerade über dergleichen Gütergemeinschaft höchst abweichende Meinungen bestehen, so auch bei unserm egoistischen Miniatur-Ehegesponse. So hebt denn die fein gegliederte, reizend niedliche Schöne in wahrhaft pantherhafter Grandezza das zierliche Köpfchen, und einen zornsprühenden, giftigen Seitenblick aus dem tief dunkelglänzenden Auge nach dem begehrlichen Gatten schießend, zeigt sie ihm, leise dazu zischend, das nadelscharfe Gebiß, um nöthigenfalls damit ihr gutes Fangrecht nachdrücklich zu vertheidigen. Mit anzuerkennender Galanterie respectirt der zurückgewiesene Gemahl, wenn auch noch so lüstern, diese energische Drohung und hält sich in gemessenen Schranken. Nur sein schlangenhaftes, perlglitzerndes Aeuglein verräth noch die sehnsuchtsvolle Gier nach dem verweigerten Mahle, an dem die hartherzige Auserwählte inzwischen mit leckerer Lust zu schwelgen begonnen.

Da klirrt, durch eine Bewegung unsererseits veranlaßt, nur ganz leicht der Bügel am Gewehrriemen und husch – mit forellenhafter Schnelle ist das Raubgelichter sammt der Beute in die Ritzen eines Steinhegers verschwunden. Wohl bleiben wir noch lange unbeweglich liegen, um zu sehen, ob die wie durch Zauberschlag unsichtbar gewordenen Creaturen sich nicht noch einmal zeigen sollten; aber vergeblich; denn die [248] unterirdischen Gänge ihrer weiten Trümmerburg verbergen das blutlechzende Thierkoboldchenpaar auf Nimmerwiedersehen unseren darnach ausspähenden Blicken.

Obwohl sich’s noch manchmal hier und da regt, die Erwarteten kehren nicht wieder, und nur Eidechschen oder aufschwirrende Grashüpfer sind es, welche die dürren Halme und die wirre Haide am heißbestrahlten Raine schwanken und rascheln machen und das Ohr glauben lassen, die wildernden Teufelsthierchen wären wieder an’s Tageslicht gekommen. Ebenso täuschte sich auch das gespannte Auge, wenn an überwachter Stelle plötzlich und ungeahnt ein lichter Spätfalter von einer würzigen Thymianblüthe, aus welcher er Nektar gesogen, emporflog, um weiter zu flattern über die umstehende honigduftende, von Bienen und Hummeln umsummte Haideflora.

Wir aber, da die kleinen „Heermännchen“, wie der Volksmund die Wiesel gern nennt, unsere Ausdauer schon allzuschwer auf die Probe stellten und durchaus nicht wieder zum Vorschein kommen wollen, erheben uns endlich und schreiten, den Höhenzug entlang, über ein weites, spinnwebenüberzogenes Gehau dahin, dem hohen Holze zu, wobei die unter unseren Füßen sich lösenden Nachsommerfäden leicht emporsteigen und in langen wolligen Strähnen der leisen, uns umhauchenden Luftströmung folgen.

Im einsamen Jägerhause erwartet uns der gastliche alte Wildmeister. Was wird er sagen, wenn wir ihm bei der Hollundersuppe und der saftigen Rehleber vom heutigen erfolglosen Pürschgange und den darauf – seiner Meinung nach – „verlungerten“ Stunden berichten?




Ein deutscher Wundercur-Fürst.
Nach erst jetzt zugänglichen Acten.


Prinzessin Mathilde von Schwarzenberg, eine Nichte des berühmten Oberfeldherrn der Verbündeten in der Schlacht bei Leipzig und Tochter jener Fürstin Schwarzenberg, welche bei dem heldenmüthigen Versuche, ihr Kind in Paris bei einer Feuersbrunst zu retten, verbrannt war, hatte bereits das siebzehnte Jahr erreicht, aber das Gehvermögen in Folge einer Muskelzusammenziehung nach einer Entzündung, die eine Eitersenkung veranlaßte, schon im dritten Jahre verloren. Nachdem Jahre lang die berühmtesten Aerzte und Chirurgen in Frankreich, Italien, Belgien etc. ihre Kunst an ihr erschöpft hatten, wurde die bereits aufgegebene Kranke dem durch seine chirurgischen Instrumente bekannten Bandagisten und Orthopäden Dr. Johann Georg Heine in Würzburg übergeben, der nach einer Consultation mit Hofrath Schäfer in Regensburg einen Heilplan entwarf, den er standhaft verfolgte, und der bei der Folgsamkeit der Prinzessin auch zur Heilung führte.

Da beide Männer es nämlich als Leiden der Prinzessin erkannt hatten, daß die zum Aufrechtstehen wesentlich beitragenden Muskeln verkürzt seien, so suchte Heine durch eigene, sinnvoll construirte Apparate allmählich die zusammengezogenen Muskeln auszudehnen, und durch eine andere für diesen Zweck erfundene Maschine brachte er die Kranke allmählich so weit, daß sie schon die Stellung einer Gesunden annehmen konnte, indem sie sich an einen Pfeiler lehnte und ein wenig auf die Füße stützte; nach anderthalbjähriger Cur konnte sich die Prinzessin schon aufrichten und einige Schritte thun, kurz: die vollkommene Herstellung des Gehvermögens stand in Aussicht. Heine, dem außer seinem laufenden Ehrensolde auch noch zehntausend Gulden zugesichert waren, wenn er die Prinzessin vollständig heile, wollte augenscheinlich möglichst sicher zu Werke gehen und ersann eine neue Maschine als Sicherheitsmittel für diese Gehversuche. Das Alles hatte so glücklichen Erfolg, daß die Prinzessin im April 1821 sich schon ohne alle Schmerzen erheben und des Tages vier bis fünf Stunden mit Unterbrechung gestreckt stehen konnte, wobei sie alle Bewegungen der Füße zum Gehen machte. Nunmehr schloß Heine, daß die Prinzessin einen Gehversuch vor Zeugen zum öffentlichen Beweis der vollendeten Heilung wagen könne, und er kündigte ihr und ihrem Sachwalter, dem Fürsten von Wallerstein, am 19. Juni an, daß er diesen Versuch nur einer nöthigen Reise wegen um wenige Tage verschieben müsse, aber auf den 23. Juni festsetze.

Prinzeß Mathilde wohnte während der sieben Vierteljahre ihres Würzburger Aufenthaltes bei Freiherrn von Reinach. Arm und Reich, besonders aber die Aristokratie und der damalige Kronprinz Ludwig, welcher damals abwechselnd in Würzburg und Bad Brückenau weilte und gerade von den Jesuiten mit Erfolg in die Cur genommen worden war, interessirten sich für die junge anmuthige, schon durch ihr langjähriges Leiden der Sympathie würdige und auch sonst körperlich und geistig ausgezeichnete Dame. Wer sie kannte, gewann sie lieb. Ihre Heilung mußte voraussichtlich als Triumph der Wissenschaft im In- und Auslande besprochen werden; Heine sowohl, der sie als Maschinist, wie Professor Textor, der sie als Chirurg behandelt hatte, mußten großen Ruf gewinnen, der selbst dem talentvollen jungen Arzte Dr. Eisenmann, der fünf Monate lang Magnetismus angewandt hatte, nicht entgehen konnte.

Da kam ein schlauer Jesuit und sein Werkzeug, ein ebenso schlauer Bauer, beide entschlossen, die Früchte der Arbeit Anderer für sich zu pflücken. Der Jesuit war Alexander, Fürst von Hohenlohe. Geboren am 17. August 1793, das achtzehnte Kind des gemüthskranken Erbprinzen von Hohenlohe, österreichischen Generals, und einer sehr bigotten Magnatentochter, die das Söhnlein gleich bei der Geburt der Kirche weihte, hatte er unter dem Exjesuiten Niel, dann auf den bezüglichen Anstalten in Wien, Bern, Tyrnau, Ellwangen und schließlich im Clericalseminar zu Preßburg seine „Studien“ gemacht und ward 1815 zum Priester geweiht. Seine eigentliche Mission begann mit einer Reise nach Rom, wo er beim Papste nicht nur die beste Aufnahme fand, sondern auch die Vollmacht erhielt, bis auf dreitausend Rosenkränze, Crucifixe u. dgl. zu weihen. So ausgerüstet besuchte er die Höfe zu Stuttgart und München und wurde auf unmittelbaren Specialbefehl des Königs von Baiern am 8. Juni 1817 überzähliger Vicariatsrath des Bisthums Bamberg mit fünfzehnhundert Gulden Gehalt aus der königlichen Dispositonscasse. Nebenbei war er noch Stiftsherr von Olmütz und Ritter des Malteserordens. Der Fürst war zur Zeit seines Auftretens in Würzburg siebenundzwanzig Jahre alt, mittelgroß, wohl beleibt, mit bedeutungslosen Zügen und von blasser Gesichtsfarbe. Die Männer fanden seine Mienen gemacht, gespannt, die Weiber dagegen fromm und liebevoll. Seine Augen hatten jene eigenthümliche Fixheit, die einen geschlossenen Ideenkreis verräth. Sein Anzug war geistlich elegant, seine Sprache abgemessen. Er liebte den Predigerton, obgleich er kein großer Kanzelredner war. Sein früheres Leben soll nicht ganz priesterlich gewesen sein, doch seine Rechtgläubigkeit ließ nichts zu wünschen übrig, wie alle seine Gebetbücher und Predigten bewiesen.

Im Jahre 1820 begann Hohenlohe durch Vermittelung der päpstlichen Nunciatur zu Luzern einen Flugschriftenkampf gegen den Zeitgeist. In einer 1820 zu Bamberg erschienenen Flugschrift: „Was ist der Zeitgeist?“ die er der heiligen Allianz, den Kaisern von Oesterreich und Rußland und dem Könige von Preußen, gewidmet hatte, heißt es: „Die jenseits des Rheins erstickten, giftigen Revolutionskeime scheinen diesseits festere Wurzel geschlagen zu haben. Demagogen, Jacobiner, öffentliche Lehrer, Zeitungsschreiber leiten das Werk. Constitutionen ist ihr Feldgeschrei, der Zeitgeist ihr Palladium, Sturz von Religion und Thron, Lösung aller Bande ihr Zweck etc.“ Diese Lehren wollte Fürst Hohenlohe auch dem Clerus von Baiern einimpfen, um denselben gegen die bestehende Verfassung und jede freisinnige Richtung aufzuhetzen. Bei Gelegenheit einer seiner Mahnreden an die Pfarrgeistlichkeit des Ochsenfurter Gaues lernte er den Bauern und Wunderdoctor Michel zuerst kennen.

Dieser Martin Michel, weil sein Vater Schulze gewesen, kurzweg Schulzen-Märtä genannt, war damals zweiundsechszig Jahre alt und ein durchtriebener Gauner. Schon sein Großvater hatte mit Pater Gaßner und anderen wunderwirkenden Jesuiten auf vertrautem Fuße gestanden. Er selber hatte frühzeitig von den Jesuiten-Missionen profitirt, hatte, um einen [249] eigenen Bruchschaden zu heilen, sich auf die Heilkunst geworfen, die ihn endlich bis zu Wundercuren durch Teufelsbeschwörung vorwärts brachte. Trotz des Verbots seiner Quacksalberei ging er immer auf dem einträglichen Wege weiter, setzte dem bischöflichen Vicariat zu Bruchsal 1819 sogar schriftlich seine Grundsätze über die Heilung durch Vertrauen und Glauben an Jesus auseinander und fand, abermals trotz eines abmahnenden Hirtenbriefs des Vicariats, in dem Fürsten Hohenlohe 1821 einen ebenbürtigen Spießgesellen. Bei seinem Schwager, dem Stadtpfarrer Dr. Bergoldt in Haßfurt, einem Hauptanhänger der römischen Curie, brachte Michel dem Fürsten zuerst die Idee bei, das Wunder an Prinzessin Mathilde von Schwarzenberg zu wirken. Beide reisten sofort nach Würzburg, wo der Fürst sich beim Stadtpfarrer Deppisch im Stifthauger Pfarrhofe einlogirte, während Michel im „Einhorn“ wohnte und seinen gewöhnlichen Wein- und Geldgeschäften nachging.

Erst galt es das Terrain zu sondiren. Hohenlohe wurde mit der Familie Schwarzenberg durch den Freiherrn von Reinach bekannt, machte Besuche, erhielt Gegenbesuche und Einladungen, speiste am 18. und 19. Juni bei Freiherrn von Reinach, erwähnte aber mit keinem Worte Michel’s, der, um Aufsehen zu vermeiden, am 16. nach Haßfurt zurückgekehrt war. Sobald jedoch Hohenlohe die Nachricht erhalten hatte, daß die Prinzessin Mathilde zur Erprobung ihrer Heilung reif sei, ließ er durch einen expressen Boten Michel von Haßfurt herbeiholen.

Man beachte die Zeit: am Neunzehnten hatte Heine der Prinzessin und dem Fürsten Wallerstein das Ende der Cur und den Erprobungstag angekündigt, – war es da wohl ein Zufall, daß gerade am Zwanzigsten, wo Heine seine Reise angetreten hatte (es war ein Mittwoch), der Fürst mit Michel zur Vollbringung des großen Wunders schritt? Gegen halbzehn Uhr früh, als die Prinzessin noch in ihrem gewöhnlichen zierlichen Nachtbette schlief, stieg Hohenlohe, der vorher in der Hauscapelle eine Messe gelesen, zu ihr hinauf. Sie wurde geweckt und er eingeführt. Der fürstliche Priester verhieß ihr Hülfe unmittelbar von Gott, belehrte sie über Michel’s wunderbare Curen und schloß: „Ich gehe und hole ihn.“ Michel wartete im Hof und war sofort zur Hand. Vom Fürsten eingeführt, begrüßte er die Prinzessin und murmelte Gebete. Der Fürst aber sprach: „Gott kann, will und wird helfen; er ist helfend. Stehen Sie auf, und seien Sie gesund! Sie werden Ihr Bett verlassen, sich festlich kleiden und Gott danken, der Sie allein geheilt!“ Mit diesen Worten war Hohenlohe immer näher gerückt und auf seinen Wink kam auch der Bauer heran. „Haben Sie festes Vertrauen!“ begann er, „Gott hilft, Jesus hilft! Reines Herz, unbefleckte Unschuld, reines Gewissen, christliches Vertrauen, dies Alles haben Sie. Wohlan! Im Namen Jesu stehen Sie auf und wandeln Sie! Erheben Sie sich von Ihrem Lager! Glauben Sie an Gott, hoffen Sie auf Jesus! Lieben Sie Gott und Sie sind gesund!“

Die von den beiden Fanatikern exaltirte Prinzessin rief hochglühend: „Ja Jesus, Jesus!“ und suchte sich aufzurichten. Beide Wundermänner verließen das Gemach. Die Gouvernante war längst um sie beschäftigt; die Prinzessin ließ sich ankleiden und berief nun die Wunderthäter vor sich. Von der Gouvernante unterstützt, erhob sie sich von ihrem Lager, trat ängstlich auf und ging, halb getragen, am Arm derselben, die beiden Männer neben sich, langsam auf und ab. Sie weinte dabei Freudenthränen, so bewegt war sie, aber nach einigen Minuten schon, als die Aufregung etwas nachgelassen, wurde sie schwach und mußte wieder auf’s Bett gebracht werden. Die Wunderthäter aber gaben keine Ruhe. Sie murmelten von Neuem ihre Gebete mit noch größerer Inbrunst, und nach heftigeren Anstrengungen schrie Michel zuletzt wiederholt: „Im Namen Jesu! Stehen Sie auf und wandeln Sie!“ Da machte die bisher so muthlose Fürstin eine gewaltige Anstrengung, wagte zum ersten Male rasch selbst auf den Boden zu treten und schnell zwei Schritte vorwärts zu gehen; es gelang, und vom Fürsten geführt, spazierte sie vier bis fünf Mal im Zimmer auf und ab.

Alle fielen auf die Kniee mit Thränen und Dankgebeten. In wenigen Augenblicken war das ganze Haus versammelt. Alles schrie: „Wunder! Wunder!“ Boten wurden zum Kronprinzen, an alle vornehmen Häuser gesandt. Estafetten gingen nach München, nach Wien, nach Wallerstein. In zehn Minuten wußte es die ganze Stadt.

„In den Garten!“ rief plötzlich die Prinzessin. Fürst Hohenlohe bot ihr den Arm, und so stieg sie, auch von Michel unterstützt, eine Treppe von vierundzwanzig Stufen hinab. Als sie unten angekommen war, fand sie, daß die Anstrengung über ihre Kräfte ging, und sie ließ sich wieder hinauftragen, um auszuruhen. Bei der Mittagstafel saß sie, an die Rückseite ihres Sopha gelehnt.

Nachmittags strömten nun hohe und vornehme Besuche von allen Seiten herbei. Alle umringten die Fürstin; Jeder wollte das Wunder mit eigenen Augen sehen; Alle, selbst die Männer, weinten und anerkannten gerührt die göttliche Einwirkung. Dem gewöhnlichen Volke aber sollte das Wunder am folgenden Tag servirt werden zur Erhöhung des Fronleichnamsfestes. Und in der That fand die Procession nie so zahlreiche Theilnehmer, war nie so pompös, so prachtvoll gewesen. Das Wunder versetzte Alles in glühende Andacht und fromme Begeisterung. Hohenlohe zeigte sich voll Würde und Salbung; das Bewußtsein, der Liebling der Gottheit zu sein, durch den sie Wunder wirke zur Verherrlichung der alleinseligmachenden Kirche, umgab ihn mit einem Heiligenschein. Das schöne Geschlecht besonders bewunderte an ihm das Gottähnliche, die kleinen Füße, die netten Hände, die vielsagende Männlichkeit des wohlgenährten Vicariatsrats, seine sonore Stimme, mit der er unter Seufzern und Thränen die Macht des Glaubens pries. Bald sprach man nur von ihm. Das Volk, welches jetzt die Fürstin, die so lange getragen ward, gehen sah, ohne zu wissen, wie weit das Heilverfahren gediehen war, schwur auf die Wahrheit des Wunders; selbst sonst Aufgeklärte waren in Ungewißheit, zumal da auch die höchsten Herrschaften, voran der Kronprinz, daran glaubten.

Zwar hatte die Behörde die Wunderthäter, die Geheilte und ihre Gouvernante und sonstige Zeugen der That vernommen, die Prinzessin erklärte jedoch, daß ihr Jesus und das Gebet allein geholfen, und der durchlauchtige Vicariatsrath gab eine schlechtstilisirte Erklärung ab, die von der größten geistlichen Anmaßung zeugt und seine jesuitischen Zwecke entlarvt. Denn da heißt es: „Es sei ein unmittelbares göttliches Einwirken gewesen, damit durch solche Ereignisse der in unseren Tagen so sehr gesunkene Glaube an die Gottheit Jesu wieder neu belebt werde unter den vielen Namenchristen, die aus menschlichem Stolze ihren Verstand dem Glauben nicht unterwerfen wollen.“ „Wir können solche Heilungen von Gott verlangen!“ so heißt es gegen den Schluß dieser Erklärung.

Was nun aber den offenbar um einen wohlverdienten Lohn gebrachten Heine betrifft, so traf ihn dieser Verlust als eine Strafe, wenn auch von ungerechter Hand, doch nicht ohne Schuld. Er hatte das arme Mädchen, trotzdem er wußte, daß es geheilt war, fort und fort in neue Maschinen gesteckt – aus Habsucht, weil er die Henne der goldenen Eier wegen, die sie ihm legte, so lange als möglich fest halten wollte. Der ganze Wunderschwindel wäre unmöglich gewesen, wenn er seinen Geiz beherrscht und den Triumph seiner mühevollen Cur noch am Neunzehnten gefeiert hätte. Jetzt war alle Anstrengung, gegen den siegreichen Wahn anzukämpfen, vergeblich. Er schickte einen kurzen Bericht an die „Allgemeine Zeitung“ und den „Correspondenten von und für Deutschland“, um durch Darstellung des wahren Sachverhalts der Wunderreclame entgegen zu wirken. Aber ohne Erfolg; denn als Heine am Abend des 23. Juni nach Würzburg zurückkehrte, fand er Alles in dieser Stadt schon in Aufruhr und mit Hilfsbedürftigen, die von überall herbeigeeilt waren, angefüllt und mußte noch an demselben Abend den Hohn erleben, daß der Bauer und der Fürst die Keckheit hatten, unerwartet und unangemeldet in sein eigenes Institut zu kommen und ihre Wundercur zu versuchen – ohne daß Heine von seinem Hausrechte Gebrauch machen und sie hinauswerfen durfte; ja am 29. Juni mußten sogar auf den Wunsch des Fürsten die Patienten Heine’s alle Bandagen ablegen. Sie hatten freilich nur die Mühe, sie wieder anlegen zu müssen, denn es wurde weder von ihnen, noch von den vielen Kranken der Stadt, die an diesem Tage ebenfalls in’s Heine’sche Institut geströmt waren, um von dieser Gelegenheit zu profitiren, ein Einziger geheilt. Doch diese Mißerfolge kamen nicht in Betracht. Glaubte doch selbst der Kronprinz daß schon über siebzig Personen [250] geheilt worden seien, wie nachstehender Brief beweist, der damals zur Veröffentlichung bestimmt war:

„Brückenau, den 3. Juli 1821.
Lieber Graf Seinsheim!

Es geschehen Wunder! In den letzten zehn Tagen des Monats glaubte man sich in Würzburg in die Apostelzeiten versetzt. Taube hörten – Blinde sahen – Lahme gingen – nicht durch Berührung, sondern vermittelst kurzen Gebetes auf Befehl und im Namen Jesu. Glauben an Jesus, – Glauben, daß geholfen werde, verlangte Fürst Hohenlohe – Glauben als nothwendige Bedingniß. Bereits am 28. Juni Abends betrug die Zahl der Geheilten mehr als siebzig von jedem Geschlechte, von jedem Alter, von jedem Stande, von der geringsten Volksclasse bis zum Kronprinzen, der sein in der Kindheit ohne äußerliche Veranlassung verlorenes Gehör am 27. Juni um Mittag wieder bekam, nach wenigen Minuten des vollbrachten Gebetes durch den noch nicht siebenundzwanzig Jahre alten Priester-Fürsten Alexander von Hohenlohe-Schillingsfürst. So gut, wie Andere, hörte ich zwar noch nicht, aber kein Vergleich zwischen dem, wie es vorher war; und seitdem verbesserte sich mein Gehör noch auffallender. Bescheiden ist der junge Fürst, und wundert sich über die auf eine vorzügliche Weise von Gott ihm gewordene Gnade. In meinem Vorzimmer, im Beisein der Hofdame Grafenreuth, wurde nach zwei Mal vergeblichem Gebete, als der Fürst auf einer Frau dringende Bitte zum dritten Male betete, diese fünfundzwanzig Jahre lang Blinde sehend. Dann noch eine andere im Beisein meines Bibliothekars Lichtenthaler. Dies sind nur ein paar Beispiele aus der Menge. Meine Ohren sind nun sehr empfindlich, so stark schallte mir am letzten Freitag die Musik, daß ich das gegen sie gerichtete Glasfenster meiner Tribüne darum zum ersten Male zumachte. Am Tage nach meiner Heilung empfing ich das heilige Abendmahl. Laut und innig war die von den Würzburgern gewordene Theilnahme, der ich von Seite des lieben Karl auch herzlich gewiß bin. Meinen Brief können Sie Jedem zeigen und abschreiben lassen. Wir leben in mehrfacher Hinsicht in einer großen Zeit.

Mit allem Gefühle
Ludwig, Kronprinz.“

Die Etiquette und die Servilität forderten schon auf diesen Brief hin, daß das „Wunder“ geglaubt wurde. In der That aber log Kronprinz Ludwig sich selbst ebenso an, wie seine Hofschranzen ihn.

Der bairische „Augustus“, wie Sepp ihn nennt, litt nämlich schon seit früher Jugend an Harthörigkeit und Jeder, der mit dem König Ludwig dem Ersten einmal ein Gespräch anfing, weiß, daß er diese Harthörigkeit nie verlor. Doch war bei trockener warmer Witterung und im Sommer sein Gehör besser, als an feuchten, kalten Tagen und im Winter. Seine Umgebung bemerkte das besser als der Kronprinz selbst. Nun waren die drei Tage vom 20. Juni an ungewöhnlich heiße und trockene, während vorher, vom Monat April an, naßkalte Witterung fast ununterbrochen geherrscht hatte. So erklärt sich das „Wunder“ des Besser-Hörens bei dem nun auf sich aufmerksam gewordenen Prinzen, der, wie Jeder weiß, nach wenigen Tagen wieder ebenso schlecht hörte, als früher.

Da also der Kronprinz und der hohe Adel den Wunderschwindel des Fürsten Hohenlohe begünstigten, da Geistlichkeit und feile Federn ihn als Wunderthäter fast Christus gleichstellten, war es leicht zu begreifen, daß von allen Seiten das blindgläubige Volk hereinströmte und vor Hohenlohe, wie vor einem Gotte, auf den Knieen liegend, um den Segen des siebenundzwanzigjährigen Jesuiten bat. Dieser eitle Mann, von dem schönen Geschlechte förmlich verfolgt, der vom Diner zum Wunderwirken, vom Wunderwirken zur Tabakspfeife oder zur Damengesellschaft eilte, machte das Wunderwirken sich ziemlich leicht. Er betete immer dieselbe Formel und zeigte sich bald brutal und hartherzig gegen die Kranken, wenn sie ihm lästig wurden, und gab ihnen spitzige Reden, die sie in Schrecken versetzten. Später machte er sich’s noch bequemer; er betete gar nicht mehr, wenn er nicht disponirt war, segnete auch nicht ferner einzeln, sondern en bloc gleich viele Kranke auf einmal, maschinenmäßig.

Wenn die Heilung nicht gehen wollte, schien sie der Wundermann ertrotzen zu wollen und donnerte namentlich die ängstlichen Weiber an, sich vom Lager zu erheben. Der umstehende Pöbel schrie dann nach: „Auf im Namen Jesu!“ und nahm die Krücken weg. Wenn auch die Kranken gleich wieder zusammensanken, war doch das Wunder geschehen und wurde proclamirt. Die Polizeidiener rissen oft die Zusammengesunkenen im Namen der heiligen Dreifaltigkeit wieder auf und schleppten die von allen Seiten Geängstigten erbärmlich weiter. „Nur glauben und etwas Kampher einreiben, dann kann es nicht fehlen!“ sagte der Polizeidiener; aber oft starben die „Geheilten“ an an den Folgen der Reise und Aufregung.

Den Wirthen und Bäckern in Würzburg war dieser Schwindel nicht unlieb, da Hunderte von Wagen täglich in die Stadt gefahren kamen. Freilich kehrte auch alles mögliche Gesindel zurück, welches die Suspendirung der Gesetze zu Gunsten des Jesuiten benutzte. Ausgewiesene Bettler und Streuner kamen unter dem Schutze des Wunders ungestraft wieder in die Stadt; sie simulirten eben auch eine Krankheit, stellten sich lahm und blind, und da sie bald darauf durch Wunder wieder gehen und sehen konnten, erhielten sie von den staunenden Betschwestern und Pfaffen Geld und Lebensmittel auf viele Wochen. Wenn jemand nicht geheilt wurde, war nicht der Fürst schuld, sondern der Kranke hatte entweder keinen Glauben oder war von schwerer Sündenlast gedrückt, weshalb diese Armen sich mit schweren Gewissensscrupeln quälten und namentlich Ehegatten sich oft die häßlichsten Vorwürfe machten. Das Volk wollte blind sein und drohte Jedem, der ihm den Staar zu stechen versuchte.

Wenn Hohenlohe unter den Hülfesuchenden Kranke erkannte, die er schon in Behandlung gehabt, sagte er zornig: „Ich habe es Euch schon gemacht, ich mache es nicht zum zweiten Male.“ Zu den Blinden sagte er: „Ihr dummen, einfältigen Menschen! Wie könnt Ihr so etwas von mir verlangen!“ Trotzdem behandelte er Einen Namens Oe–r, dessen Sehvermögen bedroht war, mit Auflegung der Hände und Bestreichung des Auges. Da es ohne Erfolg war, sagte er zum Patienten, er möge getrost fortgehen. Zum Arzte aber sprach er: „Meine Zeit ist zu beschränkt, diesen Kranken ganz zu heilen. Das würde eine halbe Stunde erfordern, bis er sehen und lesen könnte.“ Mißlangen auch, wie im Würzburger Hospitale, alle Wunderversuche, so verbreiteten doch die Jesuitenanhänger das Gerücht, Hohenlohe habe dort Viele durch Gebete geheilt. Die unverschämteste Lüge ward nicht gescheut; der Zweck heiligte eben die Mittel.

Der Pöbel, gegen den alle Polizeigesetze suspendirt waren, wurde so frech, nicht nur in die Höfe der Adeligen, sondern sogar am 29. Juni in den Kaisersaal der Residenz einzudringen. Dort ließen sich die bisher von der Polizei geächteten Streuner mitten unter den Höflingen vom frommen Kronprinzen Trost einsprechen und wurden auch wohl plötzlich sehend, wenn sie ein entsprechendes Geldgeschenk erhielten. Der Fanatismus nahm so überhand, daß es zu Thätlichkeiten kam. Abergläubische Gebete als Talismane gegen alles Mögliche wurden verbreitet; an Zeichen am Himmel, an Prophezeiungen fehlte es ebensowenig; denn es gab schlaue Pfaffen, die den Sinnentrug als baare Münze verwertheten. Ein Vicar, Namens Baur, rühmte sich, zwölftausend Exemplare seiner Broschüre, welche die Hohenlohe’schen Wunder verherrlichte, verkauft zu haben, und nannte das „ein erfreuliches Zeichen der Zeit“.

Als Hohenlohe, fêtirt und geehrt wie ein Gott, nach Ablauf des Juni nach Bamberg zurückkehren mußte, hatten seine Freunde dafür gesorgt, daß auf allen Stationen, die er berührte, die Kunde von seinen Heilungen ihm voranging. Dennoch war den Hohenlohe’schen Wundern dort ein nicht so günstiges Prognostikon zu stellen als in Würzburg; in Bamberg stand an der Spitze des Stadtmagistrats der als freisinniger Landtagsabgeordneter bekannte Bürgermeister von Hornthal. Außer ihm mißtrauten noch viele andere Bamberger dem Wundermanne, weil er in dieser Stadt schon 1819 sich berüchtigt gemacht hatte durch eine kaum glaubliche Proselytenmacherei, verübt an einem sterbenden Protestanten, Dr. Wetzel. Dieses Attentat hatte damals das „Weimarer Oppositionsblatt“ gebührend gebrandmarkt.

Trotz alledem versuchte der Fürst am 4. und 5. Juli im Bamberger Krankenhause seine Wunderkraft an einer Anzahl Patienten; aber es wollte nicht gehen, obgleich mancher gläubige Kranke in große Ekstase versetzt ward. Die Gelähmten, die Hohenlohe aufforderte, ihr Bett zu verlassen, vermochten es [251] nicht, die Tauben und Blinden blieben taub und blind. Zu einem Einäugigen sagte der Wundermann selbst unwillig: „Geht, ich kann Euch kein neues Auge machen!“ Zu Anderen äußerte er: „So geht mir’s; dem Einen soll ich den Buckel wegblasen, dem Andern Fleisch hin machen. Heute ist’s nichts mehr.“ Und mit diesen Worten verließ er den Saal. Aber obgleich alle Augenzeugen nur mißglückte Wunderversuche zu registriren hatten, so rief doch der Pöbel auch hier, auf dem freien Platze vor dem Krankenhause, fortwährend Heilungen aus.

Die Bamberger Behörde machte alle Anstrengungen im Interesse der Ordnung: um Streuner und Betrüger fern zu halten, verfügte sie, daß jeder Kranke ein obrigkeitliches Zeugniß vorzuweisen habe, den Wunderthäter machte sie auf die bestehenden Gesetze aufmerksam, ließ seine sogenannten Heilungen prüfen und berichtete über Alles an die Regierung in Bayreuth, zuversichtlich hoffend, daß diese solch ferneres Wunderwirken verbieten werde. Hohenlohe setzte währenddeß seine Heilversuche ungenirt fort.

Adele Spitzeder.
Nach einer Photographie.

Es war aber auch zu verführerisch! Wenn die Menge vor seinem Hause, nach neuen Wundercuren verlangend, stand, was sollte er tun? Er öffnete eben das Fenster und rief: „Habt Ihr Zutrauen? Glaubt Ihr, durch die Kraft und Allmacht Gottes, durch den Namen Jesu geheilt zu werden?“

Alles schrie: „Ja!“

„Kniet nieder!“ fuhr dann der Fürst fort. Nun folgten Gebet und Segen vom Fenster aus und die Verheißung: „Euch ist geholfen. Geht!“ Und der Jubel des Volks erfreute abermals Seine Durchlaucht.

Dennoch wurde es dem Fürsten schließlich etwas schwül bei seinen Wundercuren. Er mußte sich gestehen, daß er täglich gegen die Landesgesetze sich vergehe, und wenn diese zeitweise gegen Adelige und Priester auch unausgeführt blieben, doch auf die Dauer ein solches Unwesen sich nicht halten könne, zumal bereits verschiedene Gauner, durch Hohenlohe’s Straflosigkeit ermuthigt, ihm Concurrenz machten. Einer derselben, ein junger Mann, der sich für einen Secretär und Vertrauten Hohenlohes ausgab, curirte in einem Landgerichte auf eigene Faust, ließ die Bauern mit brennenden Kerzen niederknien und purgirte ihre Geldbeutel. Wollte irgend ein Vorsteher ihn nicht gewähren lassen, so forderte er Schutz gegen die Ungläubigen. Auch andere Apostel standen auf, u. A. ein Kerzenträger bei Processionen und ein alter Bauer in der Nähe von Bamberg, der sogar das Teufels- und Hexenbannen wieder in Schwung brachte und verschiedene Weiber für Hexen erklärte, bis diese fast selbst daran glaubten und beinahe verrückt wurden. Ein Anderer, der bisher nur das Vieh vom bösen Wesen der Hexerei befreit hatte, wagte sich nach den Erfolgen Hohenlohe’s nunmehr auch an Menschen. Aber die plebejischen Gauner sperrte man ein, obgleich die Geistlichkeit die Ansicht aussprach: „Es kommt nicht auf die handelnde Person an – wenn das Wunder nur geschieht.“

Die Bayreuther Regierung hielt es endlich doch an der Zeit, einzuschreiten. Bei solchen Aussichten fand es Fürst Hohenlohe für angezeigt, einer wiederholten Einladung des Kronprinzen von Baiern, mit ihm der ländlichen Ruhe in Brückenau zu pflegen, Folge zu leisten. Er verließ am 8. Juli das undankbare Bamberg. Wie sehr die Regierung Recht hatte, gegen ihn einzuschreiten, zeigte sich bei seiner Abreise, wo nicht mehr Kranke allein, sondern auch vom Teufel Besessene Hülfe von ihm verlangten. Sechs von diesen Teufeln trieb er im Fluge aus. In Würzburg verweilte Hohenlohe am 8. und 9. Juli und machte dort wiederholte Heilversuche, aber alle erfolglos.

In Karlstadt am Main, wo der Fürst am 11. Juli bei einem ihm von Ellwangen aus bekannten Kaufmanne übernachtete, entstand das Getümmel eines Jahrmarktes. Als Hohenlohe abreiste, warf sich das Volk vor ihm auf die Kniee, wie vor einem Götzenbilde, und bat um seinen Segen, ja Einzelne liefen voraus, um einen speciellen Segen für sich zu erobern. Auch in Gemünden, wo der Wundermann Heilversuche anstellte, ward er fast abgöttisch verehrt. Dieser Weihrauch und sein zunehmender Ruf (bis nach Brückenau reisten ihm Kranke aus Oesterreich nach) berauschten den eiteln jungen Mann derart, daß er am 15. Juli von Brückenau aus an einen Geistlichen schrieb: „Das verachtete Lamm Gottes wird sich bald den Christusverächtern als Löwe aus dem Stamme Juda zeigen. Ich verfechte Gottes Sache. Selbst Aerzte, ja ein Medicinalrath und Professor bat mich um Hülfe, der schon Magnetismus und Behauchung im Namen Jesu gebraucht. Möchten doch alle Aerzte so denken, wie dieser!“

Auch eine förmliche Proclamation erließ der Wunderthäter, de dato Brückenau, 28. Juli, in welcher er zum Schlusse behauptet: er habe nur die Kirche in dieser Zeit des Unglaubens verherrlichen wollen, er scheue auch die Anwesenheit Sachverständiger nicht, obgleich die Erfahrung lehre, daß wunderbare Heilungen oft erst später eintreten.

Ebenfalls von Brückenau aus berichtete er im Juli 1821 dem päpstlichen Stuhle selbst von seinen Curen; die Curie wollte jedoch von seinen Wundern nichts wissen, verwies ihn sogar auf den Beschluß des Tridentinischen Concils, nach welchem jedes Wunder der Prüfung des Bischofs unterliegen müßte, und auf die Mirakelbulle Benedict’s des Vierzehnten – trotzdem der Hofkellermeister des Kronprinzen, der Burgpfleger in der Residenz und andere vom baierischen Thronfolger abhängige Beamte und Kaplane öffentlich Zeugniß für ihn abgelegt in Danksagungen, welche wahrscheinlich dem Schreiben des Fürsten an den Papst als Belege hatten dienen müssen.

So machte also der überzählige geistliche Rath trotz seines vielversprechenden Debuts keine besondere Carrière. In Baiern scheint er sich selbst für „unmöglich“ gehalten zu haben, da er nach Oesterreich zurückging. Nach kurzem Aufenthalte in Wien kam er als Domherr nach Großwardein. Seitdem verscholl der Wundermann; nur einige ihm geistesverwandte Geistliche Frankens konnten ihn nicht vergessen – noch im Jahre 1824 gedachten sie in einem Nachrufe der Zeiten seiner Triumphe, als er die katholische Kirche als echte Gemeinde des Herrn verherrlicht habe.

Ob Mathilde voll Schwarzenberg nachhaltig geheilt war, ob es ihr nicht später ging wie der bekannten Gräfin Droste-Vischering, darüber wissen wir nichts Genaues. Thatsache ist, daß die junge Dame die Reise nach Oesterreich in Begleitung eines Verwandten, der sie abholte, zurückzulegen im Stande war, nachdem sie vorher noch mit demselben nach dem Dorfe des Bauern Michel gefahren war, um diesem Wunderthäter die kostbarsten Geschenke zu überbringen; denn der schlaue Bauer scheint zwar den Curwunderruhm an Hohenlohe abgetreten, sich selbst aber die materiellen Vortheile vorbehalten zu haben.

Fürst Hohenlohe starb als Titularbischof zu Großwardein im Herbste 1849; die Nachricht von seinem Tode wurde übertäubt vom letzten Kanonendonner der ungarischen Revolution.
St. G.
[252]
Kleiner Briefkasten.

E. W. Ihr „Sylvesterabend“ ist als erster novellistischer Versuch leidlich gut ausgefallen; auf die Bedeutung einer wirklichen Talentprobe dürfte die kleine Arbeit ihres unbedeutenden Inhalts wegen wohl kaum einen Anspruch haben; auch laborirt sie ein Bischen an Sentimentalität. Das Manuscript steht zu Ihrer Verfügung.

K. M. in Nbg. Auch uns hat die Erklärung des Oberkirchenraths in Berlin über sein Vorgehen gegen den Pfarrer Collmann unangenehm überrascht, und wir hoffen, daß Letzterer nicht zögern werde, den eben nicht leichten Beschuldigungen von Seiten der geistlichen Oberbehörde überzeugend entgegenzutreten.




Für unsere unglücklichen Ostsee-Deutschen

gingen noch ein: College Rath Schiel in Jena 5 Thlr.; Lehrer Lippold in Wittenberg 3 Thlr.; Georg Heinemann in Manchester 2 Thlr.; K. H. in Gera 2 Thlr.; P. G. Held in Schirmeck 1 Thlr. 10 Ngr.; S. C. E. in Brüssel 1 Thlr.; Parallel-Tertia in Darmstadt 2 Thlr. (4 fl. rh.); Sammlung einer Mädchenoberclasse, fast ausschließlich arme Fabrikkinder in Augsburg 2 Thlr.; Louise Rudert in Breslau 3 Thlr.; A. Roman in London 5 Pfund; Gesangverein Enterpe in Klingenthal 5 Thlr.; Theatervorstellung der Harmonie in Penzig (bei Görlitz) 26 Thlr.; M. G. in St. Roda 1 Thlr.; G. G. in Bbg. 5 Thlr.; C. S. in Lichtenfels 1 Thlr. 4 Ngr. 2 Pf.; N. N. in Magdeburg 1 Thlr.; Leserin der Gartenlaube in Ilsenburg 3 Thlr.; Männerturnverein in Frankenhausen 10 Thlr.; Schule in Bielau 1 Thlr. 18 Ngr.; H. Birk in G. 2 Thlr. 25 Ngr. 6 Pf.; Theatervorstellung der Ressource in Schlochau 46 Thlr. 15 Ngr.; A. K. in L. bei W. 5 Thlr.; Sammlung des Amts- und Anzeigeblattes für Burgstädt und Limbach (durch H. Köblitz) 98 Thlr.; Kegelclub in Stauchitz 5 Thlr.; Ertrag eines Concerts in Langhelwigsdorf 12 Thlr.; vom deutschen Verein in Grasse, gemäß § 9–11 der Erlös aus d. Vereinspiano. Nähere Auskunft ertheilt Mückenhäuser in Magdeburg, Gartenstraße 38 Thlr.; Sammlung durch A. Mai in Pleißa 7 Thlr. 7 Ngr. 5 Pf.; Karl Lange in Petersburg 20 Rubel; L. M. in Mannheim 2 Thlr.; F. St. in Rastl. 4 Thlr.; Sammlung in Rübenau, Einsiedel, Sensenhammer u. R.-Ratzschung 8 Thlr. 23 Ngr.; Olga Schirmer in Beucha 1 Thlr.; Maskenball des bürgerl. Abendvereins in Zittau 8 Thlr. 12 Ngr. 5 Pf.; N. N. in Offenbach fl. 5. 15 rh.; E. C. Frkhsn. in Crimmitzschau 2 Thlr.; zwei Concerte des Gesangvereins Liedertafel in Sprendlingen 36 Thlr. 12 Ngr. 8 Pf.; E. Grimm in Plauen 3 Thlr.; bei Piel’s Abschied, ges. v. Janssen in Berlin 4 Thlr.; von einer Hochzeit in Niedernoch 3 Thlr. 6 Ngr.; Schule Stockheim bei Lausigk 4 Thlr.; Casinogesellschaft in Schkölen 10 Thlr.; Dietrich in Herzisdorf 17 Ngr. 6 Pf.; von einigen jungen Meddersheimern 3 Thlr. 3 Ngr. 5 Pf.; Feuerwehr in Ismaning (bei Münster) 2 Thlr.; Pauly in Chappken 4 Thlr.; gesammelt gelegentlich eines Kindertheaters (1 Thlr. 20 Ngr.) und Ertrag eines Kirchenconcerts in Radegast (15 Thlr.) 16 Thlr. 20 Ngr.; Abonnent A. K. in Sch. 2 Thlr.; Pfarrer Lehrer in Magarci 1 fl. ö.; Brezelverkauf auf d. Maskenball in Ostrau 1 Thlr. 8 Ngr.; Concert des Musikal. Vereins in Leisnig 20 Thlr.; Liebhabertheater in Coadjuthen, einem Dörfchen an der russischen Grenze 26 Thlr. 18 Ngr. 6 Pf.; theatral. Verstellung in Wolkenburg, durch W. Streubel 20 Thlr.; E. Lade in Crina 1 Thlr.; A. S. in Oldenburg 2 Thlr.; aus Dresden, Sonntag d. 2. März, mit 11 abgel. Mänteln 11 Thlr.; Schule in Pleschwitz (Schwarzburg) 1 Thlr. 6 Ngr. 8 Pf.; mehrere Postbeamte in Darmstadt 4 Thlr.; Musik-Kranz in Biedenkopf 41 Thlr. 7 Pf.; J. v. B. in Dresden 15 Ngr.; Schuljunge A. Quaas in Dresden 10 Ngr.

N. in Eisenach 1 Thlr.; H. Kneusel in Briwin 10 Rubel; von einem Tanzstundenball am 24. Januar, gesammelt von W. Mengeler 20 fl. rh.; drei Schwestern aus dem Riesengebirge 2 Thlr.; vom 30. Stiftungsfeste der Liedertafel in Kindelbrück 20 Thlr.; Gartenlaubenleser in Crinitz 2 Thlr.; Einwohner zu Steinfeld 1 Thlr.; R. E. in Münster 1 Thlr.; F. W. 2 Thlr.; Männergesangverein „Blaue Schleife“ in Altwasser 2 Thlr. 20 Ngr.; Sammlung der Gesellschaft „der alte Hut“ in Spremberg 25 Thlr.; D. S. in Bamberg 5 Thlr.; von Trutt in Görz 12 fl. ö.; Bertha und Emma in Chemnitz 15 Ngr.; Hartmann in Neuhaldensleben 5 Thlr.; Personal der Kling’schen Fabrik in Leisnig 4 Thlr.; O. E. in Stauchnitz 3 Thlr.; Sammlung des Gewerbevereins in Markneukirchen 3 Thlr. 7 Ngr.; aus der Sparbüchse von Johanna, Clara, Charlotte, Louise 4 Thlr.; M. in Langwolmdorf 1 Thlr.; Frohsinn in Lebnitz 2 Thlr. 12 Thlr. 5 Pf.; Anzeiger am Rhein in Diessenhofen 4 Thlr. 16 Ngr.; aus Muzska in Ungarn 1 Thlr.; L. und S. in Wunsiedel 3 Thlr.; Redaction der Bauhütte 11 Thlr. (6 fl. 30 kr. ö.); A. M. in Frankfurt a. M. 2 Thlr.; Karl Doß in Auerbach 4 Thlr.; G. K. in Leisnig 1 Thlr.; preisgekröntes Carnevallied 2 Thlr.; Ida Jeßnitz 1 Thlr.; Elise S. in Dresden: nach überstandener Gefahr 10 Thlr.; Th. H. in Wauwatosa, Wiscons., 10 Dollars; Lotterieergebniß, durch Johanna, Agnes und Helene in Ratibor 33 Thlr.; musikalische Abendunterhaltung in Rehdan 8 Thlr. 21 Ngr.; gesammelt bei einer Wettpartie im Schwan zu Rothenburg a. T. 5 Thlr. 20 Ngr. 5 Pf.; Carnevalsgesellschaft Mr. Sin-nitso in Saarbrücken 12 Thlr.; Kränzchen der Barbiere in Chemnitz 1 Thlr.; von Theodor Steinbach, als erster Reinertrag seines Gedichts: Der Telegraph, der treue Helfer in Deutschlands Heldenkampfe 5 Thlr.; Turnverein in Ober-Cunnersdorf 10 Thlr.; zweite Sendung des Musikkranzes in Biedenkopf 1 Thlr.; Ertrag einer Dilettantenvorstellung durch W. Meck in Constanz 169 Thlr. 6 Ngr.; Lisi Pr. in Seßwegen-Apotheke (Livland) 3 Rubel; die zwei untersten Classen der Schule in Seelon 2 Thlr.; beim Häuerball der dritten Abtheilung der Segen-Gottesgrube in Altwasser 3 Thlr. 17 Ngr. 5 Pf.; Ertrag eines Concerts des Männergesangvereins in Strehlen (Schlesien) 43 Thlr.; Koch, Sons u. Co. in New-York 20 Thlr. mit den Worten:

Ich denke Dein, mein Vaterland, – Auch hier in weiter Ferne,
Vom Rheine bis zum Ostseestrand, – Ich denke Dein so gerne.

Anna Sack in South Bend, Ind., 2 Dollars; Avancirten-Verein der 3. Feldabtheilung Magdeburgischen Feld-Artillerie-Regiments Nr. 4 4 Thlr. 10 Ngr.; Lotterie von Arbeiten der Damen in Löcknitz und Umgegend 30 Thlr. 22 Ngr. mit den Worten:

Ihr Armen an der Ostsee Strand,
Nehmt hin die kleinen Gaben,
Die wir mit reger, fleiß’ger Hand
Für Euch bereitet haben!
Und mög’s auch nur ein Herz erfreun,
Soll unser Werk gesegnet sein!

A.

A. Herdyck in Wiesbaden, Honorar eines Gartenlaubenbeitrags 20 Thlr.; Keßler in Elbing 1 Thlr.; Ertrag eines Concerts zu Elge, durch C. Meyer 24 Thlr.; Schule in Pulsnitz 1 Thlr. 46 Ngr.; Gemeinde Schönborn 8 Thlr. 13 Ngr. 5 Pf.; ein ungenannter Deutscher in Tiflis 44 Thlr. 8 Ngr. 5 Pf.; zwei deutsche Jungfrauen in Altböddeken 2 Thlr.; Schule in Elstertrebnitz 2 Thlr. 12 Ngr. 5 Pf.; G. v. L. in S. G. 12 Thlr. 10 Ngr.; E. St. in Coburg 1 Thlr.; Pfarrer N. N. in Rheinbaiern 7 fl. rh.; Concert des Turngesangvereins in Lommatzsch 52 Thlr. 7 Ngr. 5 Pf; Ertrag des Liebhabertheaters in Buck (Posen) 53 Thlr. 5 Ngr.; F. in Herlasgrün 1 Thlr.; Verwaltungsrath des Spar- und Vorschußvereins in Lindenau-Plagwitz, von gewährter Gratification 30 Thlr.

X. Y. in Berlin 1 Thlr. 16 Ngr. 8 Pf.; Kirchengemeinde Tanna, durch Oberpfarrer Braune 15 Thlr.; durch den Stadtrath in Lommatzsch 13 Thlr. 14 Ngr.; zwei Gleichgesinnte und ein Kaufmann in New-York 2 Dollars; Blumenverloosung des landwirthschaftlichen Vereins in Dürrengerbisdorf 4 Thlr.; Theatervorstellung von Dilettanten in Zöblitz 14 Thlr.; G. in B. 1 Thlr.; B. H. in R. 3 Thlr.; Sammlung einiger Bürger in Schäßburg (durch Gleim) 14 fl. ö.; F. in Duisburgs 3 Thlr.; Grimmer in Stettin 5 Thlr.; Emil K. in Darkehmen 5 Thlr.; Theatervorstellung von Dilettanten in Beelig 32 Thlr.; Director Pleßner, zum Andenken der Märztage 1848 12 Thlr.; L. Galline in Breslau 5 Thlr.; vom landwirthschaftlichen Commissar Clement in Erfurt, Herausgeber der Schrift: Grundsätze und Winke, welche beim praktischen Betriebe der Landwirthschaft zu berücksichtigen sind, à 2½ Ngr., 15 Thlr. (laut vorliegender Quittung wurden bereits 60 Thlr. dem Erfurter Comité abgeliefert); Männergesangverein in Bautzen 2 Thlr.; Theatervorstellung des Liebhabertheaters in Nikolaiken (Ostpreußen) 19 Thlr. 10 Ngr.; aus Teplitz 2 fl ö.; Wagner in Thierstein 4 Thlr. 5 Ngr.; O. S. in München 3 Thlr.; Scatclub zu Schwaben 2 Thlr.; Erlös der Geflügellotterie der Geflügelzüchter (11 Thlr.) und Friedrich und Söhne in Beierfeld (6 Thlr.) 17 Thlr.; Pfarrer L. John in Ziegra 5 Thlr.; durch Rentmeister Bydorf in Zierentsy 2 Thlr.; dramatisch-musikalische Vorstellung des Turnvereins in Bolkenheim 22 Thlr.; Lehrer Schmid in Possendorf 1 Thlr.; Faschingssammlung des Männergesangvereins in Werben 4 Thlr. 16 Ngr.; Fortbildungsverein in Planitz, Abendunterhaltung 4 Thlr. 4 Ngr.; Kinder der Schule Deuben-Bennewitz 3 Thlr.; H. K. in N. B. 2 fl ö., einige Schülerinnen in Spremberg 18 Ngr.; bei seinem Hochzeitsmahl, gesammelt vom Schutzmann Ruh in Magdeburg 6 Thlr. 20 Sgr.; bei der Geburtstagsfeier des Kaisers in Birkenfeld (6 Thlr 25 Ngr. 2 Pf.) und der Rest der Verpflegungsstation daselbst (3 Thlr. 4 Ngr. 8 Pf.) 10 Thlr.; Schützenhaus in Markneukirchen 2 Thlr. 15 Ngr.; Strafcasse aus der Arbeitsstube einer Modistin in Coburg 2 Thlr.; Flatau in Neuß (für Fritz Kruse) 1 Thlr. 10 Ngr.; Fritz Ueberschär in Deutmannstedt 25 Ngr.; E. D. in Berlin 2 Thlr.; gesammelt durch Gastwirth Möller in Waldcappel 2 Thlr.; Versteigerung einer Tasse Kaffee in Czczyglicke 1 Thlr.; von der dritten Classe der höheren Töchterschule in Eisenach 3 Thlr.; Gemeinde Eichelsdorf 8 Thlr. 17 Ngr. 1 Pfg.; E. Grohmann jun. in Grimma 2 Thlr.; Ertrage eines Concerts des Adjuvanten-Vereins in Coswig, Anhalt, 23 Thlr.; Casino-Theater-Gesellschaft in San Antonio, Teras, 75 Thlr.; Theatervorstellung von Dilettanten in Grand-Rapid, Michigan, durch Fr. Löttgert 132 Thlr.

Berichtigung. Nr. 1. Zeile 21 v. o. muß es heißen: W. S. am Altenberg in Bad Kissingen 5 Thlr. anstatt W. S. in Altenberg.

Die Gesammtsumme unserer Sammlung beträgt heute

12,289 Thlr. 14 Ngr. 4 Pf.

ein Resultat, wie wir es bei dem verspäteten Erscheinen unseres Aufrufs kaum noch erwarten konnten. Indem wir den freundlichen Gebern im Namen der heimgesuchten Ostseebrüder unsern herzlichsten Dank sagen, bitten wir gleichzeitig

die Sammlung von heute ab als geschlossen anzusehen und weitere Gaben nicht mehr einzusenden.

Durch die von dem preußischen Landtage bewilligten 2½ Millionen dürfte ohnedies jede Noth beseitigt werden. Rechnungsablage in nächster Nummer.

Leipzig, am 30. März 1873.
Die Redaktion der Gartenlaube.
E. Keil.



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

  1. Und Schubert, Schumann und Mendelssohn?
    D. Red.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. a b c d Wort in der Vorlage nicht erkennbar, übernommen von Google