Entstehung der Arten/Drittes Kapitel

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Zweites Kapitel Entstehung der Arten (1860)
von Charles Darwin, übersetzt von Heinrich Georg Bronn
Viertes Kapitel
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Drittes Kapitel.


Der Kampf um's Daseyn.


Stützt sich auf natürliche Züchtung. Der Ausdruck im weitern Sinne gebraucht. Geometrische Zunahme. Rasche Vermehrung naturalisirter Pflanzen und Thiere. Natur der Hindernisse der Zunahme. Allgemeine Mitbewerbung. Wirkungen des Klimas. Schutz durch die Zahl der Individuen. Verwickelte Beziehungen aller Thiere und Pflanzen in der ganzen Natur. Kampf auf Leben und Tod zwischen Einzelwesen und Varietäten einer Art, oft auch zwischen Arten einer Sippe. Beziehung von Organismus zu Organismus die wichtigste aller Beziehungen.

     Ehe wir auf den Gegenstand dieses Kapitels eingehen, muss ich einige Bemerkungen voraussenden, um zu zeigen, wie das Ringen um das Daseyn sich auf natürliche Züchtung stütze. Es ist im letzten Kapitel nachgewiesen worden, dass die Organismen im Natur-Zustande eine individuelle Variabilität besitzen, und ich wüsste in der That nicht, dass Diess je bestritten worden wäre. Es ist für uns unwesentlich, ob eine Menge von zweifelhaften Formen [66] Art, Unterart oder Varietät genannt werde; welchen Rang z. B. die 200—300 zweifelhaften Formen Britischer Pflanzen einzunehmen berechtigt sind, wenn die Existenz ausgeprägter Varietäten zulässig ist. Aber das blosse Daseyn einer individuellen Veränderlichkeit und einiger wohl-bezeichneter Varietäten, wenn auch nothwendig zur Begründung[WS 1] dieses Werkes, hilft uns nicht viel, um zu begreifen, wie Arten in der Natur entstehen. Wie sind alle diese vortrefflichen Anpassungen von einem Theile der Organisation an den andern und an die äusseren Lebensbedingungen, und von einem organischen Wesen an ein anderes bewirkt worden? Wir sehen diese schöne Anpassung am klarsten bei dem Specht und der Mistelpflanze und nur wenig minder deutlich am niedersten Parasiten, welcher sich an das Haar eines Säugthieres oder die Federn eines Vogels anklammert; am Bau des Käfers, welcher ins Wasser untertaucht; am befiederten Saamen, der vom leichtesten Lüftchen getragen wird; kurz wir sehen schöne Anpassungen überall und in jedem Theile der organischen Welt.

     Dagegen kann man fragen, wie kommt es, dass die Varietäten, die ich beginnende Spezies genannt habe, sich zuletzt in gute und abweichende Spezies verwandeln, welche meistens[WS 2] unter sich viel mehr, als die Varitäten der nämlichen Art verschieden sind? Wie entstehen diese Gruppen von Arten, welche als verschiedene Genera bezeichnet werden und mehr als die Arten dieser Genera von einander abweichen? Alle diese Wirkungen erfolgen unvermeidlich, wie wir im nächsten Abschnitte sehen werden, aus dem Ringen um’s Daseyn. In diesem Wettkampfe wird jede Abänderung, wie gering und auf welche Weise immer sie entstanden seyn mag, wenn sie nur einigermaassen vortheilhaft für das Individuum einer Spezies ist, in dessen unendlich verwickelten Beziehungen zu anderen Wesen und zur äusseren Natur mehr zur Erhaltung dieses Individuums mitwirken und sich gewöhnlich auf dessen Nachkommen übertragen. Ebenso wird der Nachkömmling mehr Aussicht haben, die vielen anderen Einzelwesen dieser Art, welche von Zeit zu Zeit geboren werden, von denen aber nur eine kleinere Zahl am Leben bleibt, [67] zu überdauern. Ich habe dieses Prinzip, wodurch jede solche geringe, wenn nützliche Abänderung erhalten wird, mit dem Namen »Natürliche Züchtung« belegt, um dessen Beziehung zur Züchtung des Menschen zu bezeichnen. Wir haben gesehen, dass der Mensch durch Auswahl zum Zwecke der Nachzucht grosse Erfolge sicher zu erzielen und organische Wesen seinen eignen Bedürfnissen anzupassen im Stande ist durch die Häufung kleiner aber nützlicher Abweichungen, die ihm durch die Hand der Natur dargeboten werden. Aber die Natürliche Auswahl ist, wie wir nachher sehen werden, unaufhörlich thätig und des Menschen schwachen Bemühungen so unvergleichbar überlegen, wie es die Werke der Natur überhaupt denen der Kunst sind.

     Wir wollen nun den Kampf um’s Daseyn etwas mehr ins Einzelne erörtern. In meinem späteren Werke über diesen Gegenstand soll er, wie er es verdient, in grösserem Umfang besprochen werden. Der ältere DeCandolle und Lyell haben reichlich und in philosophischer Weise nachgewiesen, dass alle organischen Wesen im Verhältnisse der Mitbewerbung zu einander stehen. In Bezug auf die Pflanzen hat Niemand diesen Gegenstand mit mehr Geist und Geschicklichkeit behandelt als W. Herbert, der Dechant von Manchester, offenbar in Folge seiner ausgezeichneten Gartenbau-Kenntnisse. Nichts ist leichter als in Worten die Wahrheit des allgemeinen Wettkampfes um’s Daseyn zuzugestehen, und nichts schwerer, als — wie ich wenigstens gefunden habe — dieselbe im Sinne zu behalten. Und bevor wir solche nicht dem Geiste tief eingeprägt, bin ich überzeugt, dass wir den ganzen Haushalt der Natur, die Vertheilungs-Weise, die Seltenheit und den Überfluss, das Erlöschen und Abändern in derselben nur dunkel oder ganz unrichtig begreifen werden. Wir sehen die Natur äusserlich in Heiterkeit strahlen, wir sehen blos Überfluss an Nahrung; aber wir sehen nicht oder vergessen, dass die Vögel, welche um uns her sorglos ihren Gesang erschallen lassen, meistens von Insekten oder Saamen leben und mithin beständig Leben vertilgen; oder wir vergessen, wie viele dieser Sänger oder ihrer Eier oder ihrer Nestlinge unaufhörlich von Raubvögeln u. a. Feinden zerstört werden; wir [68] behalten nicht immer im Sinne, dass, wenn auch das Futter jetzt im Überfluss vorhanden, Diess doch nicht zu allen Zeiten im Umlaufe des Jahres der Fall ist.

     Ich will voraussenden, dass ich den Ausdruck »Ringen um’s Daseyn« in einem weiten und metaphorischen Sinne gebrauche, in sich begreifend die Abhängigkeit der Wesen von einander und, was wichtiger ist, nicht allein das Leben des Individuums, sondern auch die Sicherung seiner Nachkommenschaft. Man kann mit Recht sagen, dass zwei Hunde in Zeiten des Mangels um Nahrung und Leben miteinander kämpfen. Aber man kann auch sagen, eine Pflanze ringe am Rande der Wüste um ihr Daseyn mit der Trockniss, obwohl es angemessener wäre zu sagen, sie seye von Feuchtigkeit abhängig. Von einer Pflanze, welche alljährlich tausend Saamen erzeugt, unter welchen im Durchschnitte nur einer zur Entwicklung kommt, kann man noch richtiger sagen, sie ringe um’s Daseyn mit andern Pflanzen derselben oder anderer Arten, welche bereits den Boden bekleiden. Die Mistel ist abhängig vom Apfelbaum und einigen andern Baum-Arten; doch kann man nur in einem weit-ausholenden Sinne sagen, sie ringe mit diesen Bäumen; denn wenn zu viele dieser Schmarotzer auf demselben Stamme wachsen, so wird er verkümmern und sterben. Wachsen aber mehre Sämlinge derselben dicht auf einem Aste beisammen, so kann man in Wahrheit sagen, sie ringen miteinander. Da die Samen der Mistel von Vögeln ausgestreut werden, so hängt ihr Daseyn mit von dem der Vögel ab, und man kann metaphorisch sagen, sie ringen mit andern Beeren-tragenden Pflanzen, damit die Vögel eher ihre Früchte verzehren und ihre Saamen ausstreuen, als die der andern. In diesen mancherlei Bedeutungen, welche ineinander übergehen, gebrauche ich der Bequemlichkeit halber den Ausdruck »um’s Daseyn ringen«.

     Ein Kampf um’s Daseyn folgt unvermeidlich aus der Neigung aller Organismen, sich in starkem Verhältnisse zu vermehren. Jedes Wesen, das während seiner natürlichen Lebenszeit mehre Eier oder Saamen hervorbringt, muss während einer Periode seines Lebens oder zu gewisser Jahreszeit oder in einem [69] zufälligen Jahre Zerstörung erfahren; sonst würde seine Zahl in geometrischer Progression rasch zu so ausserordentlicher Grösse anwachsen, dass keine Gegend das Erzeugniss zu ernähren im Stande wäre. Wenn daher mehr Individuen erzeugt werden, als möglicher Weise fortbestehen können, so muss jedenfalls ein Kampf um das Daseyn entstehen, entweder zwischen den Individuen einer Art oder zwischen denen verschiedener Arten, oder zwischen ihnen und den äusseren Lebens-Bedingungen. Es ist die Lehre von Malthus, in verstärkter Kraft übertragen auf das gesammte Thier- und Pflanzen-Reich; denn in diesem Falle ist keine künstliche Vermehrung der Nahrungsmittel und keine vorsichtige Enthaltung vom Heirathen möglich. Obwohl daher einige Arten jetzt in mehr oder weniger rascher Zunahme begriffen seyn mögen: alle können es nicht zugleich, denn die Welt würde sie nicht fassen.

     Es gibt keine Ausnahme von der Regel, dass jedes organische Wesen sich auf natürliche Weise in dem Grade vermehre, dass, wenn es nicht durch Zerstörung litte, die Erde bald von der Nachkommenschaft[WS 3] eines einzigen Paares bedeckt seyn würde. Selbst der Mensch, welcher sich doch nur langsam vermehrt, verdoppelt seine Anzahl in fünfundzwanzig Jahren, und bei so fortschreitender Vervielfältigung würde die Welt schon nach einigen Tausend Jahren keinen Raum mehr für seine Nachkommenschaft haben. Linné hat berechnet, dass, wenn eine einjährige Pflanze nur zwei Saamen erzeugte (und es gibt keine Pflanze, die so wenig produktiv wäre) und ihre Sämlinge gäben im nächsten Jahre wieder zwei u. s. w., sie in zwanzig Jahren schon eine Million Pflanzen liefern würde. Man sieht den Elephanten als das sich am langsamsten vermehrende von allen bekannten Thieren an. Ich habe das wahrscheinliche Minimum seiner natürlichen Vermehrung zu berechnen gesucht, unter der Voraussetzung, dass seine Fortpflanzung erst mit dreissig Jahren beginne und bis zum neunzigsten Jahre währe, und dass er in dieser Zeit nur drei Paar Junge zur Welt bringe. In diesem Falle würden nach fünfhundert Jahren schon fünfzehn Millionen Elephanten von dem ersten Paare vorhanden seyn. [70]

     Doch wir haben bessre Belege für diese Sache, als blos theoretische Berechnungen, namentlich in den oft berichteten Fällen von erstaunlich rascher Vermehrung verschiedener Thier-Arten im Natur-Zustande, wenn die natürlichen Bedingungen zwei oder drei Jahre lang dafür günstig gewesen sind. Noch schlagender sind die von unseren in verschiedenen Weltgegenden verwilderten Hausthier-Arten hergenommenen Beweise, so dass, wenn die Behauptungen von der Zunahme der sich doch nur langsam vermehrenden Rinder und Pferde in Süd-Amerika und neuerlich in Australien nicht sehr wohl bestätigt wären, sie ganz unglaublich erscheinen müssten. Eben so ist es mit den Pflanzen. Es lassen sich Fälle von eingeführten Pflanzen aufzählen, welche auf ganzen Inseln gemein geworden sind in weniger als zehn Jahren. Einige der Pflanzen, welche jetzt in solcher Zahl über die weiten Ebenen von la Plata verbreitet sind, dass sie alle anderen Pflanzen daselbst ausschliessen, sind aus Europa eingebracht worden: und eben so gibt es, wie ich von Dr. Falconer gehört, in Ostindien Pflanzen, welche jetzt vom Cap Comorin bis zum Himalaya reichen und seit der Entdeckung von Amerika von dorther eingeführt worden sind. In Fällen dieser Art, von welchen endlose Beispiele angeführt werden könnten, wird Niemand unterstellen, dass die Fruchtbarkeit solcher Pflanzen und Thiere plötzlich und zeitweise in einem bemerklichen Grade zugenommen habe. Die handgreifliche Erklärung ist, dass die äussern Lebens-Bedingungen sehr günstig, dass in dessen Folge die Zerstörung von Jung und[WS 4] Alt geringer und mithin fast alle Abkömmlinge im Stande gewesen sind, sich fortzupflanzen. In solchen Fällen genügt schon das geometrische Verhältniss der Zahlen-Vermehrung, dessen Resultat nie verfehlt Erstaunen zu erregen, um einfach das ausserordentliche Wachsthum und die weite Verbreitung eingeführter Natur-Produkte in ihrer neuen Heimath zu erklären. Im Natur-Zustande bringen fast alle Pflanzen jährlich Saamen hervor, und unter den Thieren sind nur sehr wenige, die sich nicht jährlich paarten. Wir können daher mit Sicherheit behaupten, dass alle Pflanzen und Thiere sich in geometrischem Verhätnisse vermehren, dass [71] sie jede zu ihrer Ansiedelung geeignete Gegend sehr rasch zu bevölkern im Stande seyen, und dass das Streben zur geometrischen Vermehrung zu irgend einer Zeit ihres Lebens beschränkt werden muss. Unsre genaue Bekanntschaft mit den grösseren Hausthieren könnte zwar unsre Meinung in dieser Beziehung irre leiten, da wir keine grosse Störung unter ihnen eintreten sehen; aber wir vergessen, dass Tausende jährlich zu unsrer Nahrung geschlachtet werden, und dass im Natur-Zustande wohl eben so viele irgendwie beseitigt werden würden.

     Der einzige Unterschied zwischen den Organismen, welche jährlich Tausende von Eiern oder Saamen hervorbringen, und jenen welche deren nur sehr wenige liefern, besteht darin, dass diese unter günstigen Verhältnissen ein paar Jahre länger als jene zur Bevölkerung eines Bezirkes nöthig haben, seye derselbe auch noch so gross. Der Condor legt zwei Eier und der Strauss deren zwanzig, und doch dürfte in einer und derselben Gegend der Condor leicht der häufigere von beiden werden. Der Eis-Sturmvogel (Procellaria glacialis) legt nur ein Ei, und doch glaubt man er seye der zahlreichste Vogel in der Welt. Die eine Fliege legt hundert Eier und die andre wie z. B. Hippobosca deren nur eines; Diess bedingt aber nicht die Menge der Individuen, die in einem Bezirk ihren Unterhalt finden können. Eine grosse Anzahl von Eiern ist von einiger Wichtigkeit für eine Art, deren Futter-Vorräthe raschen Schwankungen unterworfen sind; denn diese muss ihre Vermehrung in kurzer Frist bewirken. Aber wesentliche Wichtigkeit erlangt eine grosse Zahl von Eiern oder Samen der Grösse der Zerstörung gegenüber, welche zu irgend einer Lebens-Zeit erfolgt, und diese Zeit des Lebens ist in der grossen Mehrheit der Fälle eine sehr frühe. Kann ein Thier in irgend einer Weise seine eignen Eier und Junge schützen, so wird es deren eine geringere Anzahl erzeugen und diese ganze durchschnittliche Anzahl aufbringen; werden aber viele Eier oder Junge zerstört, so müssen deren viele erzeugt werden, wenn die Art nicht untergehen soll. Wird eine Baum-Art durchschnittlich tausend Jahre alt, so würde es zur Erhaltung ihrer vollen Anzahl genügen, wenn sie in tausend Jahren nur einen [72] Saamen hervorbrächte, vorausgesetzt dass dieser eine nie zerstört würde und auf einen sicheren für die Keimung geeigneten Platz gelangen könnte. So hängt in allen Fallen die mittle Anzahl von Individuen einer Pflanzen- oder Thier-Art nur indirekt von der Zahl der Saamen oder Eier ab, die sie liefert.

     Bei Betrachtung der Natur ist es nöthig, diese Ergebnisse immer im Sinne zu behalten und nie zu vergessen, dass man von jedem einzelnen Organismus unsrer Umgebung sagen kann, er strebe nach der äussersten Vermehrung seiner Anzahl, dass aber jeder in irgend einem Zeit-Abschnitte seines Lebens in einem Kampfe mit feindlichen Bedingungen begriffen seye, und dass grosse Zerstörung unvermeidlich über Jung oder Alt ergehe in jeder Generation oder in wiederkehrenden Perioden. Wird irgend ein Hinderniss beseitigt oder die Zerstörung noch so wenig gemindert, so wird in der Regel augenblicklich die Zahl der Individuen stärker anwachsen.

     Was für Hindernisse es sind, welche das natürliche Streben jeder Art nach Vermehrung ihrer Anzahl beschränken, ist meistens unklar. Betrachtet man die am kräftigsten gedeihenden Arten, so wird man finden dass, je grösser ihre Zahl wird, desto mehr ihr Streben nach weitrer Vermehrung zunimmt. Wir wissen nicht einmal in einem einzelnen Falle genau, welches die Hindernisse der Vermehrung sind. Diess wird jedoch niemanden in Verwunderung setzen, der sich erinnert, wie unwissend wir in dieser Beziehung bei dem Menschen selbst sind, welcher doch ohne Vergleich besser bekannt ist als irgend eine andre Thier-Art. Doch ist dieser Gegenstand von mehren Schriftstellern vortrefflich erörtert worden; ich werde in meinem späteren Werke über mehre der Hindernisse mit einiger Ausführlichkeit handeln und insbesondre auf die Raubthiere Südamerikas etwas näher eingehen. Hier mögen nur einige wenige Bemerkungen Raum finden, nur um dem Leser einige Hauptpunkte ins Gedächtniss zu rufen. Eier und ganz junge Thiere scheinen am meisten zu leiden, doch ist Diess nicht ganz ohne Ausnahme. Den Pflanzen wird zwar eine gewaltige Menge von Saamen zerstört; aber nach einigen Beobachtungen scheint es mir, als litten [73] die Sämlinge am meisten, wenn sie auf einem schon mit andern Pflanzen dicht bestockten Boden wachsen. Auch die Sämlinge werden noch in grosser Menge durch verschiedene Feinde vernichtet. So beobachtete ich auf einer locker umgegrabenen Boden-Fläche von 3' Länge und 2' Breite 357 Sämlinge unsrer verschiedenen Holz-Arten, wovon nicht weniger als 295 hauptsächlich durch Schnecken und Insekten zerstört wurden. Wenn man einen Rasen, der lang abgemähet wurde (und der Fall wird der nämliche bleiben, wenn er durch Säugthiere kurz abgeweidet worden), wachsen lässt, so werden die kräftigeren Pflanzen allmählich die minder kräftigen wenn auch voll ausgewachsenen tödten; und in einem solchen Falle hat man von zwanzig auf einem nur 3' auf 4' grossen Fleck beisammen wachsenden Arten neun zwischen den anderen nun üppiger aufwachsenden zu Grunde gehen sehen.

     Die für eine jede Art vorhandene Nahrungs-Menge bestimmt die äusserste Grenze, bis zu welcher sie sich vermehren kann; aber in vielen Fällen wird die Vermehrung einer Thier-Art schon weit unter dieser Grenze dadurch gehemmt, dass sie selbst wieder einer andern zur Beute wird. Es scheint daher wenig Zweifel unterworfen zu seyn, dass der Bestand an Feld- und Hasel-Hühnern, Hasen u. s. w. grossentheils hauptsächlich von der Zerstörung der kleinen Raubthiere abhängig ist. Wenn in England in den nächsten zwanzig Jahren kein Stück Wildpret geschossen, aber auch keine solche Raubthiere zerstört würden, so würde nach aller Wahrscheinlichkeit der Wild-Stand nachher geringer seyn als jetzt, obwohl jetzt Hunderte und Tausende von Stücken Wildes erlegt werden. Anderseits gibt es aber auch einige Fälle wo, wie bei Elephant und Nashorn, eine Zerstörung durch Raubthiere gar nicht stattfindet, und selbst der Indische Tiger wagt es nur sehr selten einen jungen von seiner Mutter geschützten Elephanten anzugreifen.

     Das Klima hat ferner einen wesentlichen Antheil an Bestimmung der durchschnittlichen Individuen-Zahl einer Art, und ich glaube dass ein periodischer Eintritt von äusserst kalter oder trockener Jahreszeit zu den wirksamsten aller Hemmnisse gehört. [74] Ich schätze, dass der Winter 1854—55 auf meinen eignen Jagd-Gründen vier Fünftheile aller Vögel zerstört hat; und Diess ist eine furchtbare Zerstörung, wenn wir berücksichtigen, dass bei dem Menschen eine durch Seuchen verursachte Sterblichkeit von zehn Prozent schon ganz ausserordentlich stark ist. Die Wirkung des Klimas scheint beim ersten Anblick ganz unabhängig von dem Kampfe um die Existenz zu seyn; wenn aber das Klima hauptsächlich die Nahrung vermindert, veranlasst es den heftigsten Kampf zwischen den Einzelwesen seye es nur einer oder seye es verschiedener Arten, welche von derselben Nahrung leben. Selbst wenn ein, z. B. äusserst kaltes, Klima unmittelbar wirkt, sind es die mindest kräftigen oder diejenigen Individuen, die beim vorrückenden Winter am wenigsten Futter bekommen haben, welche am meisten leiden. Wenn wir von Süden nach Norden oder aus einer feuchten in eine trockne Gegend wandern, werden wir stets einige Arten immer seltener und seltener werden und zuletzt gänzlich verschwinden sehen; und da der Wechsel des Klima’s zu Tage liegt, so werden wir am ehesten versucht seyn den ganzen Erfolg seiner direkten Einwirkung zuzuschreiben. Und doch ist Diess eine falsche Ansicht; wir vergessen dabei, dass jede Art selbst da, wo sie am häufigsten ist, in irgend einer Zeit ihres Lebens durch Feinde oder durch Mitbewerber um ihre Nahrung oder ihre Wohnstelle ungeheure Zerstörung erfährt; und wenn diese Feinde oder Mitbewerber nur im Mindesten durch irgend einen Wechsel des Klima’s begünstigt werden, so wachsen sie an Zahl, und da jede Fläche bereits vollständig mit Bewohnern besetzt ist, so muss die andre Art zurückweichen. Wenn wir auf dem Wege nach Süden eine Art in Abnahme begriffen sehen, so fühlen wir gewiss, dass die Ursache mehr in anderen begünstigten Arten liegt, als in dieser einen benachtheiligten. Eben so, wenn wir nordwärts gehen, obgleich in einem etwas geringeren Grade, weil die Zahl aller Arten und somit aller Mitbewerber gegen Norden hin abnimmt. Daher kömmt es, dass, wenn wir nach Norden oder einen Berg hinauf gehen, wir weit öfters verkümmerten Formen begegnen, welche von unmittelbar schädlichen Einflüssen des Klima’s herrühren, als wenn wir nach [75] Süden oder bergab gehen. Erreichen wir endlich die arktischen Regionen oder die Schnee-bedeckten Berg-Spitzen oder vollkommene Wüsten, so findet das Ringen ums Daseyn hauptsächlich gegen die Elemente statt.

     Dass die Wirkung des Klima’s vorzugsweise eine indirekte und durch Begünstigung andrer Arten vermittelt seye, ergibt sich klar aus der wunderbar grossen Menge solcher Pflanzen in unseren Gärten, welche zwar vollkommen im Stande sind unser Klima zu ertragen, aber niemals naturalisirt werden können, weil sie weder den Wettkampf mit anderen Pflanzen aushalten noch der Zerstörung durch unsre einheimischen Thiere widerstehen können.

     Wenn sich eine Art durch sehr günstige Umstände auf einem kleinen Raume zu ausserordentlicher Anzahl vermehrt, so sind Seuchen (so ist es wenigstens bei unseren Hausthieren gewöhnlich der Fall) oft die Folge davon, und hier haben wir ein vom Ringen ums Daseyn unabhängiges Hemmniss. Doch scheint wenigstens ein Theil dieser sogenannten Epidemien von parasitischen Würmern herzurühren, welche durch irgend eine Ursache und vielleicht durch die Leichtigkeit der Verbreitung zwischen gekreutzten Rassen unverhältnissmässig begünstigt worden sind, und so fände hier gewissermaassen ein Ringen zwischen den Würmern und ihren Nährthieren statt.

     Andrerseits ist in vielen Fällen wieder ein grosser Bestand von Individuen derselben Art unumgänglich für ihre Erhaltung nöthig. Man kann daher leicht Getreide, Repssaat u. s. w. in Masse auf unseren Feldern erziehen, weil hier deren Saamen in grossem Übermaasse gegenüber den Vögeln vorhanden sind, welche davon leben; und doch können diese Vögel, wenn sie auch mehr als nöthig Futter in der einen Jahreszeit haben, nicht im Verhältniss zur Menge dieses Futters zunehmen, weil die ganze Anzahl im Winter nicht ihr Fortkommen fände. Dagegen weiss jeder, der es versucht hat, Saamen aus Weitzen oder andern solchen Pflanzen im Garten zu erziehen, wie mühesam Diess ist. Ich habe in solchen Fällen jedes Saamenkorn verloren. Diese Anschauungsweise von der Nothwendigkeit eines grossen Bestandes [76] einer Art für ihre Erhaltung erklärt, wie mir scheint, einige eigenthümliche Fälle in der Natur, wie z. B. dass sehr seltene Pflanzen zuweilen sehr zahlreich auf einem kleinen Fleck beisammen vorkommen; und dass manche gesellige Pflanzen gesellig oder in grosser Zahl beisammen selbst auf der äussersten Grenze ihres Verbreitungs-Bezirkes gefunden werden. In solchen Verhältnissen kann man glauben, eine Pflanzen-Art vermöge nur da zu bestehen, wo die Lebens-Bedingungen so günstig sind, dass ihrer viele beisammen leben und so einander vor äusserster Zerstörung bewahren können. Ich möchte hinzufügen, dass die guten Folgen einer häufigen Kreutzung und die schlimmen einer reinen Inzucht wahrscheinlich in einigen dieser Fälle mit in Betracht kommen; doch will ich mich über diesen verwickelten Gegenstand hier nicht weiter verbreiten.

     Man berichtet viele Beispiele, aus denen sich ergibt, wie zusammengesetzt und wie unerwartet die gegenseitigen Beschränkungen und Beziehungen zwischen organischen Wesen sind, die in einerlei Gegend mit einander zu ringen haben. Ich will nur ein solches Beispiel anführen, das, wenn auch einfach, mich angesprochen hat. In Staffordshire auf einem Gute, über dessen Verhältnisse nachzuforschen ich in günstiger Lage war, befand sich eine grosse äusserst unfruchtbare Haide, die nie von eines Menschen Hand berührt worden. Doch waren einige Hundert Acker derselben von genau gleicher Beschaffenheit mit dem Übrigen fünfundzwanzig Jahre zuvor eingezäunt und mit der Schottischen Kiefer bepflanzt worden. Die Veränderung in der ursprünglichen Vegetation des bepflanzten Theiles war äusserst merkwürdig, mehr als man gewöhnlich wahrnimmt, wenn man auf einen ganz verschiedenen Boden übergeht. Nicht allein erschienen die Zahlen-Verhältnisse zwischen den Haide-Pflanzen gänzlich verändert, sondern es blüheten auch in der Pflanzung noch zwölf solche Arten, Ried- u. a. Gräser ungerechnet, von welchen auf der Haide nichts zu finden war. Die Wirkung auf die Kerbthiere muss noch viel grösser gewesen seyn, da in der Pflanzung sechs Spezies Insekten-fressender Vögel sehr gemein waren, von welchen in der Haide nichts zu sehen gewesen, [77] welche dagegen von zwei bis drei andren Arten derselben besucht wurde. Wir bemerken hier, wie mächtig die Folgen der Einführung einer einzelnen Baum-Art gewesen, indem durchaus nichts sonst geschehen war, ausser der Abhaltung des Wildes durch die Einfriedigung. Was für ein wichtiges Element aber die Einfriedigung seye, habe ich deutlich zu Farnham in Surrey erkannt. Hier waren ausgedehnte Haiden mit ein paar Gruppen alter Schottischer Kiefern auf den Rücken der entfernteren Hügel; in den letzten zehn Jahren waren ansehnliche Strecken eingefriedigt worden, und innerhalb dieser Einfriedigungen schoss in Folge von Selbstbesaamung eine Menge junger Kiefern auf, so dicht beisammen, dass nicht alle fortleben können. Nachdem ich erfahren, dass diese jungen Stämmchen nicht absichtlich gesäet oder gepflanzt worden, war ich um so mehr erstaunt über deren Anzahl, als ich mich sofort nach mehren Seiten wandte um Hunderte von Acres der nicht eingefriedigten Haide zu untersuchen, wo ich jedoch ausser den gepflanzten alten Gruppen buchstäblich genommen auch nicht eine Kiefer zu finden vermochte. Da ich mich jedoch genauer zwischen den Stämmen der freien Haide umsah, fand ich eine Menge Sämlinge und kleiner Bäumchen, welche aber fortwährend von den Rinder-Heerden abgeweidet worden waren. Auf einem eine Elle im Quadrat messenden Fleck mehre Hundert Schritte von den alten Baum-Gruppen entfernt zählte ich 32 solcher abgeweideten Bäumchen, wovon eines nach der Zahl seiner Jahres-Ringe zu schliessen 26 Jahre lang gehindert worden war sich über die Haide-Pflanzen zu erheben und dann zu Grunde gegangen ist. Kein Wunder also, dass, sobald das Land eingefriedigt worden, es dicht von kräftigen jungen Kiefern überzogen wurde. Und doch war die Haide so äusserst unfruchtbar und so ausgedehnt, dass niemand geglaubt hätte, dass das Rindvieh hier so dicht und so erfolgreich nach Futter gesucht habe.

     Wir sehen hier das Vorkommen der Schottischen Kiefer in Abhängigkeit vom Rinde; in andern Weltgegenden ist es von gewissen Insekten abhängig. Vielleicht bietet Paraguay das merkwürdigste Beispiel dar; denn hier sind niemals [78] Rinder, Pferde oder Hunde verwildert, obwohl sie im Süden und Norden davon in verwildertem Zustande umherschwärmen. Azara und Rengger haben gezeigt, dass die Ursache dieser Erscheinung in Paraguay in dem häufigeren Vorkommen einer gewissen Fliege zu finden seye, welche ihre Eier in den Nabel der neu-geborenen Jungen dieser Thier-Arten legt. Die Vermehrung dieser Fliege muss gewöhnlich durch irgend ein Gegengewicht und vermuthlich durch Vögel gehindert werden. Wenn daher gewisse Insekten-fressende Vögel, deren Zahl wieder durch Raubvögel und Fleisch-Fresser geregelt werden mag, in Paraguay zunähme, so würden sich die Fliegen vermindern und Rind und Pferd verwildern, was dann wieder (wie ich in einigen Theilen Südamerika’s wirklich beobachtet habe) eine bedeutende Veränderung in der Pflanzen-Welt veranlassen würde. Diess müsste nun in hohem Grade auf die Insekten und hiedurch, wie wir in Staffordshire gesehen, auf die Insekten-fressenden Vögel wirken, und so fort in immer weiteren und verwickelteren Kreisen. Wir haben diese Belege mit Insekten-fressenden Vögeln begonnen und endigen damit. Doch sind in der Natur die Verhältnisse nicht immer so einfach, wie hier. Kampf um Kampf mit veränderlichem Erfolge muss immer wiederkehren; aber in die Länge halten die Kräfte einander so genau das Gleichgewicht, dass die Natur auf weite Perioden hinaus immer ein gleiches Aussehen behält, obwohl gewiss oft die unbedeutendste Kleinigkeit genügen würde, einem organischen Wesen den Sieg über das andre zu verleihen. Demungeachtet ist unsre Unwissenheit so gross, dass wir uns verwundern, wenn wir von dem Erlöschen eines organischen Wesens vernehmen; und da wir die Ursache nicht sehen, so rufen wir Umwälzungen zu Hilfe um die Welt zu verwüsten, oder erfinden Gesetze über die Dauer der Lebenformen.

     Ich bin versucht durch ein weitres Beispiel nachzuweisen, wie solche Pflanzen und Thiere, welche auf der Stufenleiter der Natur am weitesten von einander entfernt stehen, durch ein Gewebe von verwickelten Beziehungen mit einander verkettet werden. Ich werde nachher Gelegenheit haben zu zeigen, dass die ausländische Lobelia fulgens in diesem Theile von England niemals [79] von Insekten besucht wird und daher nach ihrem eigenthümlichen Blüthen-Bau nie eine Frucht ansetzen kann. Viele unsrer Orchideen-Pflanzen müssen unbedingt von Motten besucht werden, um ihre Pollen-Massen wegzunehmen und sie zu befruchten. Auch habe ich Ursache zu glauben, dass Hummeln zur Befruchtung der Jelängerjelieber (Viola tricolor) nöthig sind, indem andre Insekten sich nie auf dieser Blume einfinden. Durch angestellte Versuche habe ich gefunden, dass der Besuch der Bienen zur Befruchtung von mehren unsrer Klee-Arten nothwendig seye. So lieferten mir hundert Stöcke weissen Klee’s (Trifolium repens) 2290 Saamen, während 20 andre Pflanzen dieser Art, welche den Bienen unzugänglich gemacht waren, nicht einen Saamen zur Entwicklung brachten. Und eben so ergaben hundert Stöcke rothen Klee’s (Trifolium pratense) 2700 Saamen, und die gleiche Anzahl gegen Bienen geschützter Stöcke nicht einen! Hummeln besuchen allein diesen rothen Klee, indem andre Bienen-Arten den Nektar dieser Blume nicht erreichen können. Daher zweifle ich wenig daran, dass, wenn die ganze Sippe der Hummeln in England sehr selten oder ganz vertilgt würde, auch Jelängerjelieber und rother Klee selten werden oder ganz verschwinden müssten. Die Zahl der Hummeln steht grossentheils in einem entgegengesetzten Verhältnisse zu der der Feldmäuse in derselben Gegend, welche deren Nester und Waben aufsuchen. Herr H. Newman, welcher die Lebens-Weise der Hummeln lange beobachtet, glaubt dass über zwei Drittel derselben durch ganz England zerstört werden. Nun findet aber, wie Jedermann weiss, die Zahl der Mäuse ein grosses Gegengewicht in der der Katzen, so dass Newman sagt, in der Nähe von Dörfern und Flecken habe er die Zahl der Hummel-Nester am grössten gefunden, was er der reichlicheren Zerstörung der Mäuse durch die Katzen zuschreibe. Daher ist es denn wohl glaublich, dass die reichliche Anwesenheit eines Katzen-artigen Thieres in irgend einem Bezirke durch Vermittelung von Mäusen und Bienen auf die Menge gewisser Pflanzen daselbst von Einfluss seyn kann!

     Bei jeder Spezies kommen wahrscheinlich verschiedene Arten Gegengewicht in Betracht, solche die in verschiedenen Perioden [80] des Lebens, und solche die während verschiedener Jahres-Zeiten wirken. Eines oder einige derselben mögen mächtiger als die andern seyn; aber alle zusammen bedingen die Durchschnitts-Zahl der Individuen oder selbst die Existenz der Art. In manchen Fällen lässt sich nachweisen, dass sehr verschiedene Gegengewichte in verschiedenen Gegenden auf eine Spezies einwirken. Wenn wir Büsche und Pflanzen betrachten, welche einen zerfallenen Wall überziehen, so sind wir geneigt, ihre Arten und deren Zahlen-Verhältnisse dem Zufalle zuzuschreiben. Doch wie falsch ist diese Ansicht! Jedermann hat gehört, dass, wenn in Amerika ein Wald niedergehauen wird, eine ganz verschiedene Pflanzenwelt zum Vorschein kommt, und doch ist beobachtet worden, dass die Bäume, welche jetzt auf den alten Indianer-Wällen im Süden der Vereinten Staaten wachsen, deren früherer Baum-Bestand abgetrieben worden, jetzt wieder eben dieselbe bunte Manchfaltigkeit und dasselbe Arten-Verhältniss wie die umgebenden jungfräulichen Haine darbieten. Welch ein Wettringen muss hier Jahrhunderte lang zwischen den verschiedenen Baum-Arten stattgefunden haben, deren jede ihre Samen jährlich zu Tausenden abwirft! Was für ein Kampf zwischen Insekten und Insekten u. a. Gewürm mit Vögeln und Raubthieren, welche alle sich zu vermehren strebten, alle sich von einander oder von den Bäumen und ihren Saamen und Sämlingen, oder von jenen andern Pflanzen nährten, welche anfänglich den Grund überzogen und hiedurch das Aufkommen der Bäume gehindert hatten. Wirft man eine Hand voll Federn in die Lüfte, so müssen alle nach bestimmten Gesetzen zu Boden fallen; aber wie einfach ist dieses Problem in Vergleich zu der Wirkung und Rückwirkung der zahllosen Pflanzen und Thiere, die im Laufe von Jahrhunderten Arten und Zahlen-Verhältniss der Bäume bestimmt haben, welche jetzt auf den alten Indianischen Ruinen wachsen!

     Abhängigkeit eines organischen Wesens von einem andern, wie die des Parasiten von seinem Ernährer, findet in der Regel zwischen solchen Wesen statt, welche auf der Stufenleiter der Natur weit auseinander sind. Diess ist oft bei solchen der Fall, von denen man ganz richtig sagen kann, sie kämpfen miteinander [81] auch um ihr Daseyn, wie Gras-fressende Säugthiere und Heuschrecken. Aber der meistens ununterbrochen-fortdauernde Kampf wird der heftigste seyn, der zwischen den Einzelwesen einer Art stattfindet, welche dieselben Bezirke bewohnen, dasselbe Futter verlangen und denselben Gefahren ausgesetzt sind. Bei Varietäten der nämlichen Art wird der Kampf meistens eben so heftig seyn, und zuweilen sehen wir den Streit schon in kurzer Zeit entschieden. So werden z. B., wenn wir verschiedene Weitzen-Varietäten durcheinander säen und ihren gemischten Saamen-Ertrag wieder säen, einige Varietäten, welche dem Klima und Boden am besten entsprechen oder von Natur die fruchtbarsten sind, die andern überbieten und, indem sie mehr Saamen liefern, schon nach wenigen Jahren gänzlich ersetzen. Um einen gemischten Stock von so äusserst nahe verwandten Varietäten aufzubringen, wie die verschieden-farbigen Zuckererbsen sind, muss man sie jedes Jahr gesondert ärndten und dann die Saamen im erforderlichen Verhältnisse jedesmal auf’s Neue mengen, wenn nicht die schwächeren Sorten von Jahr zu Jahr abnehmen und endlich ganz ausgehen sollen.

     So verhält es sich auch mit den Schaaf-Rassen. Man hat versichert, dass gewisse Gebirgs-Varietäten derselben unter andern Gebirgs-Varietäten aussterben, so dass sie nicht durch einander gehalten werden können. Zu demselben Ergebnisse ist man gelangt, als man versuchte, verschiedene Abänderungen des medizinischen Blutegels durcheinander zu halten. Und ebenso ist zu bezweifeln, dass die Varietäten von irgend einer unsrer Kultur-Pflanzen oder Hausthier-Arten so genau dieselbe Stärke, Gewohnheiten und Konstitution besitzen, dass sich die ursprünglichen Zahlen-Verhältnisse eines gemischten Bestandes derselben auch nur ein halbes Dutzend Generationen hindurch zu erhalten vermöchten, wenn sie wie die organischen Wesen im Natur-Zustande mit einander zu ringen veranlasst wären und der Saamen oder die Jungen nicht alljährlich sortirt würden.

     Da die Arten einer Sippe gewöhnlich, doch keineswegs immer, einige Ähnlichkeit mit einander in Gewohnheiten und Konstitution und immer in der Struktur besitzen, so wird der [82] Kampf zwischen Arten einer Sippe, welche in Mitbewerbung mit einander gerathen, gewöhnlich ein härterer sein, als zwischen Arten verschiedener Sippen. Wir sehen Diess an der neuerlichen Ausbreitung einer Schwalben-Art über einen Theil der Vereinten Staaten, wo sie die Abnahme einer andern Art veranlasst. Die Vermehrung der Misteldrossel in einigen Theilen von Schottland hat daselbst die Abnahme der Singdrossel zur Folge gehabt. Wie oft hören wir, dass eine Ratten-Art den Platz einer andern eingenommen, in den verschiedendsten Klimaten. In Russland hat die kleine asiatische Schabe (Blatta) ihren grösseren [?] Sippen-Genossen überall vor sich hergetrieben. Eine Art Ackersenf ist im Begriffe eine andre zu ersetzen, u. s. w. Wir vermögen undeutlich zu erkennen, warum die Mitbewerbung zwischen den verwandtesten Formen am heftigsten ist, welche nahezu denselben Platz im Haushalte der Natur ausfüllen; aber wahrscheinlich werden wir in keinem einzigen Falle genauer anzugeben im Stande seyn, wie es zugegangen, dass in dem grossen Wettringen um das Daseyn die eine den Sieg über die andre davon getragen hat.

     Aus den vorangehenden Bemerkungen lässt sich als Folgesatz von grösster Wichtigkeit ableiten, dass die Struktur eines jeden organischen Wesens auf die innigste aber oft verborgene Weise mit der aller andern organischen Wesen zusammenhängt, mit welchen es in Mitbewerbung um Nahrung oder Wohnung in Beziehung steht, welche es zu vermeiden hat, und von welchen es lebt. — Diess erhellt eben so deutlich im Baue der Zähne und der Klauen des Tigers, wie in der Bildung der Beine und Krallen des Parasiten, welcher an des Tigers Haaren hängt. Zwar an dem zierlich gefiederten Saamen des Löwenzahns wie an den abgeplatteten und gewimperten Beinen des Wasserkäfers scheint anfänglich die Beziehung nur auf das Luft- und Wasser-Element beschränkt. Aber der Vortheil des fiedergrannigen Löwenzahn-Saamens steht ohne Zweifel in der engsten Beziehung zu dem durch andre Pflanzen bereits dicht besetzten Lande, so dass er in der Luft erst weit umhertreiben muss, um auf einen noch freien Boden fallen zu können. Den Wasserkäfer dagegen befähigt die Bildung seiner Beine vortrefflich zum Untertauchen, [83] wodurch er in den Stand gesetzt wird, mit anderen Wasser-Insekten in Mitbewerbung zu treten, indem er nach seiner eignen Beute jagt, und anderen Thieren zu entgehen, welche ihn zu ihrer Ernährung verfolgen.

     Der Vorrath von Nahrungs-Stoff, welcher in den Saamen vieler Pflanzen niedergelegt ist, scheint anfänglich keine Art von Beziehung zu anderen Pflanzen zu haben. Aber aus dem lebhaften Wachsthum der jungen Pflanzen, welche aus solchen Saamen (wie Erbsen, Bohnen u. s. w.) hervorgehen, wenn sie mitten in hohes Gras ausgestreut worden, vermuthe ich, dass jener Nahrungs-Vorrath hauptsächlich dazu bestimmt ist, das Wachsthum des jungen Sämlings zu beschleunigen, welcher mit andern Pflanzen von kräftigem Gedeihen rund um ihn her zu kämpfen hat.

     Warum verdoppelt oder vervierfacht eine Pflanze in der Mitte ihres Verbreitungs-Bezirkes nicht ihre Zahl? Wir wissen, dass sie recht gut etwas mehr oder weniger Hitze und Kälte, Trockne und Feuchtigkeit aushalten kann; denn anderwärts verbreitet sie sich in etwas wärmere oder kältere, feuchtre oder trockenere Bezirke. Wir sehen wohl ein, dass, wenn wir in Gedanken wünschten, der Pflanze das Vermögen noch weiterer Zunahme zu verleihen, wir ihr irgend einen Vortheil über die andern mit ihr werbenden Pflanzen oder über die sich von ihr nährenden Thiere gewähren müssten. An den Grenzen ihrer geographischen Verbreitung würde eine Veränderung ihrer Konstitution in Bezug auf das Klima offenbar von wesentlichem Vortheil für unsre Pflanze seyn. Wir haben jedoch Grund zu glauben, dass nur wenige Pflanzen- oder Thier-Arten sich so weit verbreiten, dass sie durch die Strenge des Klima’s allein zerstört werden. Nur wo wir die äussersten Grenzen des Lebens überhaupt erreichen, in den arktischen Regionen oder am Rande der dürresten Wüste, da hört auch die Mitbewerbung auf. Mag das Land noch so kalt oder trocken seyn, immer werden sich noch einige Arten oder noch die Individuen derselben Art um das wärmste oder feuchteste Fleckchen streiten.

     Daher sehen wir auch, dass, wenn eine Pflanzen- oder eine Thier-Art in eine neue Gegend zwischen neue Mitbewohner [84] versetzt wird, die äusseren Lebens-Bedindungen meistens wesentlich andre sind, wenn auch das Klima genau dasselbe wie in der alten Heimath bliebe. Wünschten wir das durchschnittliche Zahlen-Verhältniss dieser Art in ihrer neuen Heimath zu steigern, so müssten wir ihre Natur in einer andern Weise modifiziren, als es hätte in ihrer alten Heimath geschehen müssen; denn sie bedarf eines Vortheils über eine andre Reihe von Mitbewerbern oder Feinden, als sie dort gehabt hat.

     Versuchten wir in unsrer Einbildungskraft, dieser oder jener Form einen Vortheil über eine andre zu verleihen, so wüssten wir wahrscheinlich in keinem einzigen Falle, was zu thun seye, um zu diesem Ziele zu gelangen. Wir würden die Überzeugung von unsrer Unwissenheit über die Wechselbeziehungen zwischen allen organischen Wesen gewinnen: einer Überzeugung, welche eben so nothwendig ist, als sie schwer zu erlangen scheint. Alles was wir thun können, ist: stets im Sinne behalten, dass jedes organische Wesen nach Zunahme in einem geometrischen Verhältnisse strebt; dass jedes zu irgend einer Zeit seines Lebens oder zu einer gewissen Jahreszeit, während seiner Fortpflanzung oder nach unregelmässigen Zwischenräumen grosse Zerstörung zu erleiden hat. Wenn wir über diesen Kampf um’s Daseyn nachdenken, so mögen wir uns selbst trösten mit dem vollen Glauben, dass der Krieg der Natur nicht ununterbrochen ist, dass keine Furcht gefühlt wird, dass der Tod im Allgemeinen schnell ist, und dass es der Kräftigere, der Gesundere und Geschicktere ist, welcher überlebt und sich vermehrt.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Im Original Begründnng
  2. Im Original mesitens
  3. Im Original Nackommenschaft
  4. Im Original nnd


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