Erinnerungen eines alten Jenensers

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Titel: Erinnerungen eines alten Jenensers
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aus: Die Gartenlaube, Heft 33–34, S. 474–479, 491–496
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1858
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[474]
Erinnerungen eines alten Jenensers.
Zur Vorfeier des Jubelfestes.
Nr. 1.

In dem lieben alten Jena wird viel Freude und Lust sein. Die Hochschule feiert in der zweiten Hälfte des Augustmonats ihr dreihundertjähriges Jubelfest, und tausend ehemalige Burschen werden herbeiströmen, um sich noch einmal jung zu fühlen. Olim meminisse juvabit! Sie kommen aus allen Landen, wo die deutsche Zunge klingt und vaterländische Lieder singt, selbst aus Ungarn und Siebenbürgen haben sie sich angemeldet, und wenn das Gerücht Wahrheit spricht, werden auch alte „Germanen“ nicht vermißt werden, die nun schon seit einem Menschenalter am Mississippi leben. Denn wohin wären nicht alte Jenenser verschlagen worden? Von denen, mit welchen ich einst so manches Kännchen Lichtenhainer oder Ziegenhainer geleert, war Einer längere Zeit Gouverneur der spanischen Provinz Huesca, nachdem er sich durch tapfere Kriegsthaten wacker hervorgethan. Ein Anderer, Gustav Körner, war Vicegouverneur des Staates Illinois und ist angesehener Bürger in der deutschen Stadt Belleville; ein Dritter, Wislicenus, hat die weiten nordamerikanischen Prairien durchzogen und die Felsengebirge überstiegen; ein Vierter Sibirien durchwandert; Andere sind im fernen Texas angesiedelt oder haben den Sand der afrikanischen Wüsten durchmessen, leben am Erie-See, in Australien, am Fuße des feuerspeienden Vesuv, unter allen Zonen. Den Meisten ist freilich ein ruhigeres Loos beschieden worden; sie rückten gemächlich in Amt und Würden ein und sind Pfarrer oder Richter, Advocaten, Professoren oder Aerzte geworden, sie bestellen den Acker ihrer Väter und Einige haben es bis zum Staatsminister gebracht. Aber Alle ohne Ausnahme, wo sie auch sein mögen, tragen warme Anhänglichkeit im Herzen für das liebe Jena, und wo immer alte Jenenser zusammentreffen, sei es irgendwo im deutschen Lande oder in ferner Fremde, — allemal ist bald ein freundschaftliches Einvernehmen gefunden, alte Erinnerungen tauchen auf und der Sinn wird froh. „Auf den Bergen die Burgen, im Thale die Saale und im Städtchen die Mädchen.“

Und diese warme Empfindung wird durch die Zeit nicht abgeschwächt; bei mir wenigstens ist sie noch eben so frisch, innig und lebendig, wie damals, als ich das Lied anstimmen mußte: „Bemooster Bursche zieh ich aus.“ Auf nicht weniger als vier Universitäten habe ich studirt, deren Leben und Eigentümlichkeiten kennen gelernt, auf allen gute Dinge gesehen und sehr heitere Tage in jugendlicher Lust verbracht; ich kenne noch ein halbes Dutzend anderer Hochschulen, aber keine ist mir so lieb gewesen und geblieben, wie Jena. Auch habe ich gefunden, daß bei meinen sämmtlichen Freunden und Bekannten dasselbe der Fall ist. Dieses kleine, auch heute noch von keinem Schienenstrange berührte Jena übt einen ganz eigenthümlichen Zauber. Schon der Anblick des Städtchens macht aus der Ferne einen sehr freundlichen Eindruck, es liegt so ruhig und wohlig hingegossen in dem reizenden Thale, die Umgebungen sind von vornherein so anmuthend und werden einem täglich lieber. Das Ganze ist eine ruhige, freundliche Idylle, die unser Herz erquickt, und in der Stadt selbst fühlt man sich schon nach wenigen Tagen heimisch. Man weiß sich unbehindert, man findet fröhliche Kumpane aus allen Gauen und lebt sich rasch ein. Durch Jena ist, dem Himmel sei es gedankt, nie ein finsterer Geist gegangen, die Bücker und Mucker haben in der reinen Luft keinen Boden gewonnen; das Andenken an jene großen Tage, in denen [475] diese kleine Stadt eine Centralsonne war, von welcher aus belebende und anregende Geistesstrahlen das Leben des gesammten Vaterlandes durchwärmten, dauert noch fort und wird nach Gebühr in Ehren gehalten.

Seit ich Jena zum ersten Male betreten, sind nicht weniger als — vierundsechzig Semesterwellen über die thüringische Hochschule hinweggerauscht und über mein Haupt, auf welchem vereinzelte graue Haare sichtbar werden! Es liegt etwas Wehmüthiges darin, wenn man auf eine so lange Zeit zurückblickt, welche Jedem manche harte Prüfung auferlegt hat. Aber man wird rasch wieder froh, wenn man sich selber sagen kann, daß man sich tapfer und rechtschaffen durch das Leben geschlagen und sich selber freie Bahn gebrochen hat, und wenn man sich frisch und ungebrochen fühlt. Ich wüßte nicht, daß meine Empfindungen weniger warm und lebhaft wären, wie damals, als mir die Kunitzburg und der weltberühmte Fuchsthurm zum ersten Male entgegenwinkten.

Damals war ich eben siebzehn Jahre alt. Sechs Semester hatte ich in der Prima meines vaterstädtischen Gymnasiums zugebracht und war vollreif zur Universität, die ich schon früher hätte beziehen können; allein ich sollte so jung nicht zur Universität, obwohl ich mir einbildete, daß ein eingehender Schnurrbart, der schon für etwas mehr als weichen Flaum gelten wollte, mich zum Abgange berechtigte. Ich konnte die Zeit der Maturitäts-Prüfung kaum erwarten, ich schrieb die lateinische Rede, welche ich vor Ostern beim Abgangsactus zu sprechen hatte, mit einer Art von Inbrunst, denn sobald sie gehalten war, lagen ja nur noch wenige Wochen zwischen dem Pennal und dem Studio, und mit den ersten Frühlingsknospen begann für mich die goldene Zeit.

Damals waren in der Studentenwelt sehr aufgeregte Tage. Die Burschenschaft stand im Geruche der Demagogie, sie hatte an Herrn von Kampz, der 1848 selber eine schwarz-roth-goldne Cocarde und Schleife trug, an Herrn Schmalz, an Herrn von Ahrens in Gießen, überhaupt in Cabineten, auf Thronen und in den Curatorien der Universitäten bittere Feinde. Sie war geächtet und wurde verfolgt. Die Mainzer Untersuchungscommission hatte aufgeräumt, die Verbindungen gesprengt, viele Hunderte von Mitgliedern relegirt. So war es namentlich in Göttingen und Halle geschehen, von wo dann die Fortgeschickten zurückkamen, um in der Heimath ein halb müßiges Leben zu führen. Sie waren zugleich verbittert und enthusiastisch, denn die Sache, für welche sie leiden mußten, wurde ihnen nur noch theurer. Wir Gymnasiasten kamen mit ihnen in mannichfache Berührung und wurden halb und halb in die Mysterien des Studentenlebens und des Verbindungswesens eingeweiht. Bald waren uns alle Burschen bekannt, die eine Rolle gespielt hatten; diese Haupthähne wurden uns lieb und wir sehnten uns, sie von Angesicht zu Angesicht vor uns zu haben. Auch von den Vorträgen und Eigenthümlichkeiten der Professoren wurde uns viel erzählt, überhaupt unsere junge Phantasie lebhaft beschäftigt.

Allmählich ließ die Verfolgung von Seiten der Behörden etwas nach. Zwar lag noch immer auf der Burschenschaft ein schwerer Druck und die eigentliche Verbindung war und blieb gesprengt. Allein es bildeten sich wieder Ansätze, die dann freilich nicht öffentlich hervortraten, an welche sich aber Hunderte anschlossen und die sogenannte weitere Verbindung bildeten. Man trug wieder die alten lieben Farben des deutschen Reiches und sang dabei Spottlieder, deren Text zu jeder Melodie paßte, z. B.:

„Auch Barette sind verboten,
Und zumal die schwarz und rothen,
Denn den Farben schwarz-roth-gold
Ist man in Berlin nicht hold.
     Auf die neue Mode.“

Von meinen speciellen Landsleuten studirten zu jener Zeit viele in Halle, wo die Meisten eifrige Mitglieder der Burschenschaft waren. Zu Ostern und Michaelis kamen sie in die Ferien, in welche sie gewöhnlich Commilitonen aus ferneren Gegenden, namentlich aus Schlesien, Pommern und Westphalen mitbrachten. Es waren kräftige, sehr gebildete Menschen unter ihnen, die uns imponirten. Sie trugen altdeutsche Röcke, langes Haar, gestickte Hemdkragen und steckten Federn auf die Barette, wenn mit uns Gymnasiasten ein Feriencommers veranstaltet wurde. Ein paar blanke Glockenschläger fehlten nicht, der Präses hielt eine Rede, in welcher er begeistert die vaterländischen Bestrebungen der Burschenschaft hervorhob, vom alten Kaiser Rothbart im Kyffhäuser sprach und entwickelte, welchen Verfolgungen die gute Sache ausgesetzt sei.

„Habt Ihr Muth? Fürchtet Ihr Euch vor Verfolgungen? Dann werdet keine Burschenschafter, dann tragt nicht diese deutschen Farben, sondern geht unter die Landsmannschafter, die Schooßkinder des Curators, die nur an Pauken und Kneipen denken und sich um’s Vaterland nicht bekümmern.“

Der Präses setzte sich, klopfte mit dem Schläger auf die Tafel und begann das „Brause, Du Freiheitsdrang, brause wie Wogendrang aus Felsenbrust.“

Ein solcher Präses gab mir Jahn’s „Volksthum.“ Er hatte den „Alten“ mehrmals in dessen Verbannung in Freiburg an der Unstrut besucht und trug mir Grüße auf, da ich, wie sich von selbst verstehe, ihn doch einmal besuchen werde. Das Buch machte auf mich einen tiefen Eindruck und noch heute weiß ich viele Stellen desselben auswendig.

Die Zeit, in welcher die Collegia begannen, rückte heran. Ich hatte mich entschlossen, zunächst einige Semester in Jena zu studiren und dort in die Burschenschaft zu treten. Mein Vater wollte den einzigen noch blutjungen Sohn nicht allein ziehen lassen, sondern ihn an Ort und Stelle bringen und sehen, wie er es dort haben werde und wo er bleibe. Der Onkel gab seine Pferde, Wagen und Kutscher; die mehr als dreißig Meilen sollten in drei Tagen zurückgelegt werden. Eine so lange Fahrt galt damals für eine erklecklich weite Reise und kostete der Mutter viele Thränen. An einem Montage oder Freitage sollte sie um keinen Preis angetreten werden und so wurde ein Sonnabend gewählt. Einige Schulfreunde fuhren mit bis zur nächsten Stadt; sie wollten am folgenden Tage nach Göttingen abgehen. Nachdem sie uns verlassen, blickte ich munter vorwärts und hörte, ich will es aufrichtig gestehen, nicht viel auf die guten Regeln und Mahnungen des Vaters, weil ich dieselben schon so oft vernommen und seit langer Zeit mir eingeprägt hatte. Ob ich sie alle befolgt habe? Alle nicht, insbesondere habe ich es im Punkte der Sparsamkeit nicht so genau genommen, wie er wollte, viel mehr Kännchen und Gläser geleert, als er für zuträglich hielt, ich bin auch nicht ohne Paukereien davon gekommen und habe etliche Schulden gemacht. Der Student pflegt seinen eigenen Weg zu gehen; habe ich weiland Jenenser Burschenschafter doch das Herzeleid erleben müssen, daß mein Sohn ein Corpsbursche geworden ist, obwohl ich ihm für einen solchen Fall Entziehung aller Subsidien in Aussicht gestellt hatte. Ich muß mich damit trösten, daß einer wahren Säule der Jenaischen Burschenschaft, einem geistlichen Herrn in hohen Würden, mir damals sehr befreundet und von uns allen der „kleine Jahn“ benannt, dasselbe Schicksal begegnet ist. Unsere Herren Söhne tragen 1858 „der bunten Farben herbstliches Spiel“, während von den Vätern 1826 meine Person die Burschenfarben trug, der „kleine Jahn“ aber, der „Abhärtung wegen“, jede Kopfbedeckung verschmähete und jede Bekleidung, außer Leinwandhosen, altdeutschem Rock und kurzen Stiefeln, für durchaus überflüssig hielt. Kein Student kann behaupten, daß er ihn jemals, gleichviel ob im Winter oder Sommer, bei Schnee oder Sonnenbrand, in einer Mütze gesehen habe. Der alte Jahn hatte an dem kleinen Jahn seine wahre Freude; noch jetzt legt dieser Letztere in einem Tage mit Bequemlichkeit sechzehn Wegstunden zurück und liest eifrig die — Kreuzzeitung!

Ich mochte die Landsmannschafter nicht leiden und war von vornherein gegen sie eingenommen, weil nach unsern Ansichten ihnen der Patriotismus fehlte und weil sie von den Curatorien begünstigt wurden, während meine Freunde nur auf Ungunst zu rechnen hatten. In Alsleben an der Saale fuhr ein Wagen an uns vorüber, in welchem Hallesche Märker saßen. Den „schönen Fritz“, ihren Senior, kannte ich von Ansehen; seine Heimath war nur wenige Stunden von der meinigen. Es ließ sich nicht abstreiten, daß Premper aus Oelber am weißen Wege ein „forscher Kerl“ war; er sah in seiner orangegelben Mütze stattlich aus und unter ihm zählte die Marchia mehr als sechzig Köpfe. Jetzt soll der schöne Fritz im Staate Wisconsin sein, aber nicht als Seelenhirt, sondern als wohlhabender Landwirth. Während ich meinem Vater von den Halleschen Landsmanschaften allerlei erzählte, fuhr meines Onkels Kutscher, der ein Herrnhuter war, uns drei Mal um die Kirche herum, aus welcher Gesang und Orgelton zu uns drangen. Der Papa wurde gerührt und hielt das für eine gute Vorbedeutung.

An jenem Sonntage war das Wetter warm und klar und wir saßen so recht gemüthlich in der Halbchaise. Da sprengten mittwegs zwischen Halle und Könnern Studenten in Lederhosen [476] und Kanonenstiefeln heran, um „Füchse abzufangen“. Das war zu jener Zeit Sitte; man ritt auf den Straßen den neu Ankommenden entgegen, um sie möglicherweise für die Verbindung zu „keilen“. Jene Reiter trugen blau-weiße Cerevismützen, nur einer hatte eine Bärenmütze, von welcher ein blausammetner Sack oder Beutel mit silberner Quaste bis nahe zur Hüfte hinabhing. Sie machten vor unserem Wagen Halt und sahen hinein, es war aber für sie keine Beute darin. Ich hielt ihnen meine Pfeife mit den schwarz-roth-goldnen Quasten entgegen und sie ritten mit einem „Guten Morgen“, den ich eben so lakonisch und in dem obligaten langen und gezogenen Studententone erwiderte, weiter gen Könnern, wo ihnen dann der schöne Fritz mit den übrigen Märkern begegnet sein muß. Mein Vater schlug plötzlich die Hände zusammen, zeigte nach dem Chausseegraben, und ich begriff im Augenblick, weshalb er so entsetzt war. Da lag in jenem Graben neben einer Pappel ein Bruder Studio, auch mit Lederhosen und Kanonen angethan, und schlief in der Sonne den Schlaf der Gerechten, die ja auch manchmal von einem Rausche heimgesucht werden. Die blauweiße Mütze war ihm vom Kopfe gefallen, der Philistergaul graste in aller Gemüthlichkeit. Das Ganze war ein Bild, das meinem Vater großen Kummer machte. Er meinte, es sei schändlich, daß die Cameraden diesen Menschen so im Graben liegen ließen, denn der Boden sei feucht und der Student könne sich erkälten; schändlich sei es von dem Studenten, daß er sich, noch dazu an einem Sonntage, so betrunken habe; dergleichen verstoße gegen alle „Conduite“, und wenn nun das seine Eltern erführen! Und ob wir ihn nicht aufwecken sollten, da ja ein Vorübergehender ihm leicht Uhr und Geld aus der Tasche nehmen könne? In dieser letztern Beziehung suchte ich meinen Vater zu beruhigen, indem ich meinte, ein Bruder Studio könne vor Anfang des Semesters gar kein Geld haben, und was die Uhr angehe, so wollte ich wetten, daß der Pommer im Graben eine solche nicht habe, da sie sicherlich im Versatzamte Gevatter stehe.

„Aber du lieber Himmel, wenn diese Menschen kein Geld haben, wie können sie denn solche Suiten machen?“

„Auf Pump, lieber Vater,“ antwortete ich lakonisch.

Er wurde sehr nachdenklich und sprach dann:

„Gott, unter solche Menschen sollst Du gerathen, unter so rüde Menschen!“

Ich suchte ihn damit zu beruhigen, daß jene Reiter nur Landsmannschafter seien, und daß dergleichen bei „uns“ Burschenschaftern gar nicht vorkomme. Es ist aber auch unter uns Ähnliches vorgekommen. Zum Beispiel. Wir waren einmal in Ziegenhain bei Jena und traten Abends den Rückweg an. Der Schnee lag hoch. Wir nahmen Kienfackeln und zogen in langer Reihe oben am Hohlwege hin. Es wäre kühn, zu behaupten, daß wir, wir Burschenschafter, bei klarem Verstande gewesen wären; auch waren unsere Schritte und Tritte nicht sicher. Einer nach dem Andern sank in den Ziegenhainer Hohlweg, fiel ab und lag im Schnee, wie jener Pommer im Graben bei Könnern. Zum Glück hatten wir keine Pferde und sprengten nicht fort, sondern halfen einander empor, so gut es eben ging. Auch der „lange Itze“ erhob sich und zog wohlgemuth mit auf den Burgkeller, wo er dann nach einer Stunde verspürte, daß eine Schraube los sei; er hatte sich nämlich den Arm verrenkt. Dieses wurde kund gemacht, der lange Itze auf den Tisch gelegt, und nachdem ein Dutzend angehender Aesculape ihn grenzenlos mißhandelt hatten, war der Arm wieder eingerenkt. Der Patient hörte nun auf zu schreien und das Erste, was er wieder sprach, waren die unvergeßlichen Worte:

„Ich trinke Euch schlechten Medicinern Allen und Jedem Einen vor!“

Und so geschah es.

Mit der Dämmerung fuhren wir in Halle ein und fanden noch Zeit, durch die Straßen und über den Markt zu gehen. Wir standen vor dem Roland, als uns abermals Pommern ein Lebensbild vorführten. Zwei von ihnen schleiften einen Dritten, der nur mühsam gehen konnte, mit sich, um ihn irgendwo auf ein Bett oder Sopha zu bringen, denn der volle Jüngling bedurfte der Ruhe. Mein Vater war außer sich; am Sonnabend hatten wir in Halberstadt einen Westphalen gesehen, der sich aus Renommage die Pfeife mit einem preußischen Thalerscheine ansteckte, am Sonntage Pommern im Graben und auf dem Halleschen Markte, und Abends erzählte uns im Gasthause ein Philister beiläufig, daß ein Märker (der nachher unter die Frommen im Lande gegangen ist) binnen fünf Minuten fünfundvierzig Gläschen Kümmel getrunken und doch an demselben Abende von Kröllwitz seinen Weg zurückgefunden habe. Nun wollen wir es mit der Zahl 45 in 5 Minuten nicht so genau nehmen, denn Philister auf Universitäten schneiden manchmal auf, als wären sie Berliner; gewiß ist aber, daß damals auf den norddeutschen Universitäten viel Branntwein getrunken wurde. In Göttingen habe ich selbst gesehen, daß namentlich die Ostfriesen dem „Gandihl’schen Bittern“ alle Ehre anthaten, und auch in Halle ging jene Unsitte im Schwange; in Jena kannte man sie nicht.

Es war mir nicht recht, daß ich keinen Studenten mit schwarz-roth-goldner Mütze sah, denn ich hätte ihn ohne Weiteres angeredet und wäre mit ihm auf das Burschenhaus gegangen. Aber beim Drechsler Madut war der Laden offen und ich konnte mir einige Pfeifen mit Quasten kaufen. Mein Vater blieb inzwischen im Gasthofe und ich fand ihn, als ich zurückkam, sehr schweigsam. Diese Halleschen Studentengeschichten machten auf ihn einen unangenehmen Eindruck und wir wurden erst wieder gesprächig, als wir bei Dornburg einen Blick in das schöne Thal der Saale gewannen. Ein paar Stunden später waren wir in Jena, machten am Dienstag einige Ausflüge in die Umgegend, mietheten eine Wohnung und Mittwoch in aller Frühe fuhr der Herr Papa wieder heim; ich begleitete ihn bis Zwäzen und erhielt zum Abschied noch einmal die obligaten guten Lehren und obendrein scharfe Warnungen, an denen offenbar die Halleschen Pommern schuld waren.

In Jena kannte ich Niemand; meine Landsleute wollten erst acht Tage später aus den Ferien zurückkommen und zu Anfang der Collegia eintreffen. Es waren nur erst einige Studenten da, die Straßen sehr still. Etwa um acht Uhr früh kam ich von Zwäzen zurück. Gestern hatte ich von Jena selbst nicht viel gesehen, heute konnte ich es mir in aller Muße betrachten und war ein freier Mann. Ich ging um den Graben und lenkte dann meine Schritte unwillkürlich nach dem Burgkeller, der im Leben der deutschen Jugend eine so große Bedeutung gehabt hat. Wie viele Tausende haben in jenem Eckzimmer gesessen, getrunken und gesungen und sich unbeschreiblich glücklich gefühlt! Mir galt Jena für eine Art Mekka der Burschenschaft und der Burgkeller für die Kaaba, die ich mit einer Art von frommer Scheu betrat. Es war noch kein Student da, aber die „Frau Vettern“, welche viele Jahre als Wirthin dem Burschenhause rühmlich vorgestanden und nie mit doppelter Kreide an die schwarze Tafel geschrieben hat, erschien bald und sah mit geübtem Kennerblicke, daß sie in dem jungen Blut aus Niedersachsen einen Fuchs vor sich hatte. Das Gespräch der erfahrenen kleinen Frau mit den schlauen Augen, von der ich schon Manches hatte erzählen hören, war ermunternd, und an jenem Morgen wurde zwischen uns eine Freundschaft geschlossen, die niemals wankte. Frau Vettern hat mich nur ein einziges Mal sanft „getreten“, und damals wies sie mir überzeugend unter vier Augen nach, daß sie wirklich Geld nöthig habe und daß ihre Ausstände eine sehr beträchtliche Höhe erreicht hätten. Wie gern hätte ich sie damals bezahlt, aber war nicht kurz vorher, ich weiß nicht mehr, ob in Kahla oder Eisenberg, Vogelschießen gewesen? Ich demonstrirte ihr, was Unmöglichkeit sei, und als ich einige Zeit nachher mit ihr Nachmittags eine Tasse Kaffee trank, borgte sie mir mit Vergnügen dreißig Kopfstücke. Sie war eine sehr wohlhabende Frau mit trefflichen Eigenschaften, hatte große Menschenkenntnis und wußte jeden Studenten richtig zu nehmen. Schon nach einer halben Stunde hatte sie mich gut orientirt und mir nebenbei manchen praktischen Wink gegeben.

Dann ging ich auf den Markt und rauchte meine Pfeife, an welcher natürlich Hallesche Quasten prangten. Aus der Netzei an der Ecke kamen einige Studenten, aber sie trugen grün-roth-gold, waren also Franken, Landsmannschafter, und folglich nicht meine Leute. Sie hatten Rappiere und fochten, was damals in Jena allgemeiner Brauch war; man trug das Floret in der Hand oder steckte es in die Mappe querüber, und traf man einen Bekannten, mit dem man einen Gang machen wollte, so geschah es gleich an Ort und Stelle, auf dem Markte, auf dem Eichplatze oder auf dem Graben. Nachher steckte man das Rappier wieder in die Mappe und ging weiter. Ich sah den Franken zu und ergötzte mich an ihrem Stoßen, bis ich drei Burschenschafter um die Karlei biegen sah. Endlich! Vor der Weinschenke des Stadthauses sah ich einen behäbigen Philister, der sollte mir Rede stehen.

„Können Sie mir nicht sagen, wie die drei Burschen da heißen?“

[477] „Ei ja, die Herren kenne ich. Der Große da ist der Herr Stülpnagel, der Kleine mit dem rothen Barte der Herr Pamel und der Dritte, das ist der Herr Kaptein.“

Wie doch der Zufall spielt! Gerade an den Ersten und den Dritten hatte mir mein Landsmann P. ganz besondere Grüße aufgetragen; zu ihnen sollte ich gehen, um mich einzuführen. Alle Drei waren forsche Leute aus Mecklenburg. Damals spielten die Mecklenburger in Jena in der Burschenschaft eine große Rolle; sie waren meist Juristen, welche den „Staats-Schmidt“ und den „alten Martin“ hören wollten; sie hatten gute Wechsel und stießen eine rechtschaffene Klinge. Niemals habe ich Jemand „patenter“ stoßen sehen, als den Mecklenburger Buschmann; es war eine rechte Freude, zu sehen, mit welcher Kraft und Gewandtheit er die Waffe handhabte. Mehr oder weniger waren alle sehr brave Leute, aber geistige Regsamkeit in höherem Grade war nicht bei vielen; in dieser Beziehung waren sie durchschnittlich Mittelgut, ohne erheblichen Schwung, aber mit einem gewissen praktischen Treffer. Davon machten nur Wenige eine Ausnahme, so viel ich weiß, sind auch nur ein Paar in späteren Zeiten rühmlich aufgetaucht; die Andern haben sich begnügt, in engeren Kreisen zu wirken, was ja auch nicht Unrühmlich ist, wenn man nur seine Pflicht thut; es wäre ja auch nicht gut, wenn Jeder berühmt würde. Ein ganz prächtiger Mensch und liebenswürdig, wie wenige, war Kurt Besendahl, wenn ich nicht irre, aus der Gegend von Rostock; wir Alle hatten ihn herzlich lieb und das Auge der Frau Vettern leuchtete, wenn sie ihn nur sah. Leider ist er früh gestorben, aber tief betrauert von Allen, die ihn gekannt haben.

Auf Kleiderluxus gab zu jener Zeit der Student in Halle und Jena nicht viel; namentlich die Burschenschafter trieben die urthümliche Einfachheit sehr weit, und was ich oben vom Anzuge des kleinen Jahn gesagt habe, paßte noch auf manchen Anderen. Ein als Schriftsteller und Dramatiker berühmt gewordener Hallenser besaß für Winter und Sommer nur einen grünen Flausrock, der kaum bis an die Knie reichte; er hatte ihn schon auf seinem schlesischen Gymnasium getragen und half mit diesem unschätzbaren Kleidungsstücke gern seinem Stubenburschen aus, der auch nur einen einzigen Rock besaß.

Ein ausgezeichneter deutscher Sprachforscher, der seit lange in der Schweiz lebt, brachte 1822 einen altdeutschen Rock von Zittau mit nach Leipzig und dann nach Jena. Daß er etwas fadenscheinig aussah, will ich nicht in Abrede stellen, aber er hielt doch 1830 noch zusammen. Dann aber erhob sich eine Schwierigkeit. Inhaber des Rockes wollte promoviren und bedurfte zu diesem Behufe eines Frackes. Gab es in der Jenaischen Burschenschaft ein solches Kleidungsstück, das von uns so gründlich verachtet wurde? Die Antwort war schwierig; endlich wurde ermittelt, daß die sorgsame Mutter des langen Itze den schwarzen Einsegnungs-Frack mit in den Koffer des Sohnes gepackt hatte. Nun war aller Noth Ende, denn der Confirmationsfrack paßte dem damals äußerst schmächtigen, heute freilich sehr wohlbeleibten Doctorandus, als wäre er angegossen gewesen. Wer sich „patent“ trug, wurde von Vielen mit einer Art Ungunst betrachtet, und man bezweifelte, ob er correcte burschenschaftliche Grundsätze haben könne. Die eigentliche Herrschaft des sogenannten altdeutschen Rockes war freilich zu meiner Zeit schon vorüber; im Sommer konnte er mit blauen oder grauen Fuhrmannskitteln keinen Wettbewerb halten und in der Winterzeit wurde er vom Flausrock überflügelt. Die Landsmannschafter ihrerseits suchten etwas darin, möglichst patent zu sein und sich „herauszuschnipeln“, dafür ernteten sie aber von Seiten urwüchsiger Burschenschafter nur eine unaussprechliche Summe von Verachtung ein. Ich für meinen Theil, der ich in dieser Beziehung im Stillen mit den verruchten Landsmannschaftern sympathisirte, hatte anfangs mit allerlei Widerwärtigkeiten zu kämpfen, die mir mein blauer Schnürenrock zuzog. Außerdem trug ich, horrible dictu! Vatermörder und wollte doch Burschenschafter werden! Gleich am ersten Tage kam ich schön an, wie der geneigte Leser sogleich erfahren soll.

Die drei obengenannten Mecklenburger schlenderten den Markt hinab. Ich faßte mir ein Herz, ging gerade auf sie zu, brachte meinen Gruß von P., und man gab mir die Hand, ohne gerade zuvorkommend zu sein. „Stülpnagel“ war ein schlanker Mensch mit goldblonden Locken und sehr einfachem Anzuge, die Brust trug er bloß; „Pamel“ war kleiner und breitschultriger, der „Kaptein“ eine jener Figuren, die man nie wieder vergißt. Er mochte damals reichlich 26 Jahre alt sein, und die Züge seines breiten und knochigen Gesichts waren so scharf ausgeprägt, ich möchte sagen ausgewirkt, wie bei einem Fünfziger, den Stürme des Lebens und der Leidenschaften vielfach umhergewettert haben. Er trug sich stets einfach schwarz, und ich habe ihn nie mit einer farbigen Mütze gesehen, außer wenn er im Bierstaate zu Zwäzen auf dem Kaiserthrone saß. Er war eigentlich der wahre Haupthahn in der Burschenschaft, und es haftete etwas Mysteriöses in ihm. Von seiner Vaterstadt Rostock aus war er mit seinem Schwager, einem Schiffsführer, zur See gegangen, und 1822 zur Zeit des gelben Fiebers in Barcelona gewesen. Er kannte viele Häfen des Mittelmeeres, war dem Seeleben eifrig zugethan, und erklärte uns alle seemännischen Ausdrücke in Coopers Lootsen, den wir während des Sommers 1826 in kleinerm Kreise mit großem Eifer lasen. Den Spitznamen „Kaptein“ erhielt er eben seiner Seefahrten wegen, von denen er übrigens nur selten sprach; er war überhaupt schweigsam und verschlossen und verkehrte nicht mit Vielen. Seine Haut war tief gebräunt, sein Auge scharf und stechend, seine Ausdrucksweise kurz und bestimmt, und nicht selten mischte er ihr eine eigenthümliche Ironie bei. Die „Landeskinder“, d. h. die thüringischen Studenten, sahen im Kaptein einen seltsamen Menschen; es ging unter Einigen die Sage, er möge wohl Seeräuber gewesen sein, während Anderen „der Zaun aufgebunden“ wurde, er sei in Algier Galeerensclave gewesen, und durch eine schöne Türkin befreit worden. Sein oft nachdenkliches Wesen und seine Schweigsamkeit habe sich erst eingestellt, als er erfahren, daß sein eifersüchtiger türkischer Gebieter jener Lebensretterin den Kopf abgeschlagen habe. Eine andere Lesart behauptete dagegen, sie sei in einen Sack gesteckt und elendiglich ersäuft worden. Der Kaptein lebt noch als Arzt irgendwo in den westlichen Staaten Nordamerikas.

Mit dem Kaptein und den beiden andern Mecklenburgern ging ich an’s schwarze Bret, um zu sehen, welche Professoren bereits ihre Collegia angeschlagen hatten, und las ein Relegat, dergleichen der alte Eichstädt so viele in seinem Leben verfaßte, alle im zierlichsten Latein, mit durchaus ciceronianischer Redeweise. Der alte Römer selbst oder Muretus hätten sie nicht in eleganterm Styl schreiben können, auch wußte sich der alte Professor der Eloquenz viel damit, daß man auf keiner andern Universität so schöne und correcte Relegate zu verfassen im Stande sei. Ich weiß nicht mehr, wer der so zierlich abgethane Sünder war, noch was für Unfug er angestellt hatte, ob er z. B. mit dem Pedell Dorschel in unsanfte Berührung gerathen war; denn wir gingen nach dem Burgkeller, um einen Morgentrank einzunehmen, ein Glas Wöllnitzer Bier, das mit dem obligaten: „Frau Vettern, ein Glas Knotenwuchs!“ bestellt wurde. Ich war sehr glücklich, als ich das strohgelbe Naß vor mir hatte. Dabei wurde ich ausgefragt: „Was willst Du studiren, welche Collegia willst Du hören?“ Ich stand Rede und gab Antwort, vernahm auch Urtheile über die Professoren. Plötzlich sah mich der Kaptein mit einem ironischen Blicke an, und sprach im besten mecklenburger Plattdeutsch:

„Kiek mal, Vos, war häst Du denn da för Dinger? De moßt Du afleggen, de passet nich for Jena; wenn Du Burschenschafter syn wult, so do de Jammerlappen weg.“

Nun hatte ich als krasser Fuchs alle mögliche Hochachtung vor so forschen Kerlen und Haupthähnen, mir wollte aber doch die Logik nicht einleuchten, welche meine Vatermörder mit der löblichen Burschenschaft in Zusammenhang brachte. Was hatten steife Hemdenkragen mit vaterländischen Bestrebungen zu thun? Mich verdroß jene Frage sammt der apodiktischen Zuthat, und ich antwortete keck, daß ich meine Vatermörder nicht ablegen würde; ich habe übrigens gar nichts dagegen, wenn Andere umgeklappte Hemdkragen trügen. Das sagte ich ganz resolut; der Kaptein lächelte beifällig, und Stülpnagel, dessen Lachen allzeit olympisch war, rief laut:

„Kiek mal, wat de Vos for eene Snute hät.“

„Wir haben eben ein Eichstädt’sches Relegat gelesen, wie würdest Du das, was Du eben sagst, in classischem Latein ausdrücken?“

Das war eine kühne Frage, welche unbeantwortet blieb.

„Sieh mal, der krasse Fuchs will uns examiniren! Wie würdest Du denn lateinisch ausdrücken, daß Du ein so vorlautes Maul hast? Kiek mal!“ Man war verwundert über eine solche Keckheit.

Ich hatte meinen Tacitus gelesen, und mir war die prächtige Schilderung gegenwärtig, welche der „erste Priester der Wahrheit, den Rom hervorgebracht,“ (so nennt Luden ihn) von dem Aufstande [478] der pannonischen Legionen entwirft, und die Portraitzeichnung des vormaligen Schauspieldirectors Percennius.

„Ich würde sagen, ich sei lingua procax gewesen.“

Damit war meine philologische Gelehrsamkeit über allen Zweifel festgestellt, und mir des Kapteins Wohlwollen gesichert. Ich war aber kein Philolog von Profession und, gottlob, auch kein Theolog.

Es ist merkwürdig, wie lebhaft dergleichen an sich so unbedeutende Dinge dem Gedächtnisse sich einprägen. Heute, nach 32 Jahren, ist es mir, als sei das Alles erst gestern geschehen.

Die Ferien waren zu Ende, die Immatriculation hatte stattgefunden, die Collegia begannen. Jena konnte mit seinen beschränkten Geldmitteln nicht gegen reichbegabte Hochschulen, wie Berlin oder Göttingen ankommen, und auch heute noch erhalten die besten Professoren ein geringeres Gehalt, als in den Hansestädten ein erster oder zweiter Handlungsdiener, oder ein Musterzeichner in Elberfeld oder ein Maschinenbauer. Doch haben günstige Umstände es gefügt, daß die kleine Universität an der Saale stets sehr bedeutender wissenschaftlicher Kräfte sich erfreute. Zu meiner Zeit war freilich der große Glanz aus den Tagen, da Fichte, Paulus und die übrigen Heroen in frischer Jugendkraft dort gewirkt, längst vorüber; auch zählte die Hochschule nicht anderthalbtausend Studenten, wie in den ersten Jahren der Burschenschaft; aber wir waren immer noch mehr als sechstehalbhundert Studenten, und unter den Professoren befanden sich Gelehrte ersten Ranges in allen Facultäten, Jena zeichnete sich namentlich durch die Anregungen aus, welche der kleine Ort in reichlicher Fülle gab; man fühlte sich gepackt, erhielt eine gewisse Weihe, sah sich getragen und gehoben; das alles Guten fähige Gemüth der Jünglinge bekam schöne Eindrücke, und manche Professoren waren Männer, zu denen man mit wahrhafter Verehrung hinaufblickte. Die Collegia wurden fleißig besucht, und ich glaube nicht, daß ich einen von Luden's Vorträgen anders als gezwungen versäumt habe.

Luden war als Docent von ganz ungemeiner Bedeutung. Der feine Mann von Welt mit der saubern Kleidung, dem freundlichen Gesicht und dem sehr gemessenen und würdigen Wesen, gewann uns Alle. In früheren Zeiten, bevor man ihn als „Demagogen“ verdächtigt hatte, stand seine Persönlichkeit den Studenten näher, und er empfing sie gern in seinem Hause. Es war geradezu lächerlich, einen so besonnenen, umsichtigen und weltklugen Mann als einen Jugendverderber zu bezeichnen. Gewiß hat nie ein Jüngling aus Luden's Munde etwas Anderes vernommen, als Gutes und Edles, und wohl dem, welcher dem Rathe eines solchen Lehrers gefolgt ist. Luden war ein gebildeter Kopf, und begreiflicherweise freisinnig, wie denn ein Historiker mit fünf gefunden Sinnen und rechtschaffenem Charakter nicht anders sein kann. Karl August von Weimar und Goethe wußten ihn zu schätzen, und würdigten sehr wohl, was er für Jena war. Seine große Bedeutung lag nicht sowohl in dem Wissen und der Gelehrsamkeit, sondern im Vortrage, in der anregenden und gewinnenden Weise desselben, in dem edlen Pathos, mit welchem er geschwängert war. Manche haben vielleicht die wissenschaftliche Anlage seiner Vortrage anders gewünscht, aber Jeder wird sagen, daß Luden's Collegia eine erhebende Wirkung auf ihn gemacht haben, und von bleibendem Eindrucke gewesen sind.

Luden war im besten Sinne patriotisch, und er verstand es, uns zu erwärmen und zu begeistern. Ich vergesse den Winterabend nicht, an welchem er das Leben des Arminius schilderte. Er that es in einfacher ungeschmückter Weise, mit Kraft und Klarheit. Mit gespannter Aufmerksamkeit lauschten wir seinen Worten, wir waren ergriffen und der Redner packte uns immer mächtiger. Die Federn ruheten, Niemand mochte oder konnte ferner nachschreiben; der Vortrag war nicht lediglich auf den Kopf berechnet, sondern ging an's Herz. Luden führte die Stelle des Tacitus an, mit welcher der Römer vom germanischen Heerführer scheidet, nahm dann sein eigenes Geschichtswerk zur Hand und las, was er selber über den Sieger im teutoburger Walde geschrieben. Wir hingen an seinen Lippen, und als er die Worte gesprochen: „Dann aber wird Deutschlands letzte Stunde schlagen, wenn unter seinem Volke Niemand mehr gefunden wird, der wünscht, wie Armin zu leben und zu sterben,“ da war Todtenstille im großen, auf allen Bänken gefüllten Hörsaal; wir athmeten kaum. Es hatte noch lange nicht drei Viertel auf sechs geschlagen, aber es war, als ob ein elektrischer Strom durch uns Alle gegangen sei, wir bliesen unwillkürlich die Lichter aus; wir hätten nichts Anderes mehr hören können. Luden trat von seiner Lehrbühne herab, und wir gingen schweigend aus dem Auditorium.

Solche geweihte Stunden vergißt man nie, ihr Ton klingt und hallt durch das ganze Leben nach, und das Gemüth bleibt dankbar für den Mann, welcher in des Jünglings Herz so edle Antriebe flößt.

Der Philosoph Fries wohnte in Luden's Hause, und hatte einen Kreis um sich versammelt, der ihm schwärmerisch zugethan war. Mit vollem Rechte konnte er ein gütiger und edler Mensch genannt werden, durch dessen ganzes Wesen ein Strom des schönsten Wohlwollens, der lautersten Humanität floß. Er rückte seinen Zuhörern die höchsten Probleme nahe, sein heller Verstand wagte sich besonnen, aber energisch an Alles; er wollte Freiheit und Klarheit im Denken, und meinte es von Grund auf redlich mit sich, mit seinen Schülern und dem Vaterlande. Seine Schüler blickten zu ihm hinauf, wie zu einem Weisen, sie verglichen ihn gern mit Sokrates, auch liebte er es manchmal, gleich dem alten Athener, die heuristische Methode bei ihnen anzuwenden, und die Wahrheit durch Fragen hervorzulocken oder auffinden zu lassen. Fries war mild, wohlwollend und kindlich; aber auch ihn hatte die bleierne Faust der Demagogenriecher gepackt und für verdächtig, für einen Jugendverderber erklärt. Natürlich, er war ja Patriot im edelsten Sinne des Wortes.

Noch ein anderer leuchtender Stern am Firmamente der Wissenschaft sollte wo möglich ausgelöscht werden, aber wenn er auch keine Vorträge halten durfte, so strahlte er doch fort in unvermindertem Glänze. Ich meine Oken, dem man heute Denkmäler setzt. Er lebte still und zurückgezogen, und ich habe ihn nur in einsamen Seitengründen des Saalthales gesehen, fernab von den Straßen, denn er war gern allein und suchte Käfer oder Gewürm, und achtete auf den Flug der Libellen an den grünen Stromwiesen. Concentrirte Leidenschaft, starkes Wollen und unbeugsamer Nachdruck sprachen damals aus den Zügen Oken's, dessen Gesicht mir einen etwas finstern Ausdruck zu haben schien. Er mochte wohl gegenüber den Verfolgern, welche ihn so viel geärgert und ihm so schwere Tage bereitet hatten, nicht wenig verbittert sein. Herr von Kamptz konnte dem Naturforscher nicht vergessen und vergeben, daß dieser einst gesagt hatte, die Ohren des bekannten grauen Thieres, welche ein Zerrbildner dem Portrait des Oberdemagogenverfolgers beigegefügt hatte, seien — Arabesken, Schmuckverzierungen!

Luden hatte in früheren Zeiten ein Collegium über Politik gelesen; aber schon seit Jahren mußte dasselbe ausfallen. Karl August hatte ihm diese Vorträge nicht gerade verbieten wollen, er soll aber den Wunsch ausgesprochen haben, daß sie bis auf bessere Zeiten ausgesetzt blieben. Dagegen waren die staatsrechtlichen Vorträge des Geheimenrathes Schmidt sehr besucht, und dieser gelehrte und einsichtsvolle Mann verdiente Beifall und Dank der Zuhörer durch seine Gründlichkeit und Klarheit und seine fesselnde Darstellung. Auch der alte Criminalist Martin stand damals auf seiner Höhe. Er war ein seltsamer, ganz eigenthümlicher Mensch, der es zu sehr hohen Jahren gebracht hat, grundgescheidt, scharfsinnig in hohem Grade, oft spitzfindig, sehr dialektisch und äußerst redegewandt. Bei ihm lernten die Studenten viel, uns er wußte sie ungemein zu fesseln. Auf dem Burgkeller verging kaum ein Abend, an welchem nicht über irgend etwas hin und her geredet wurde, wozu der alte Martin am Morgen im Colleg die Anregung gegeben hatte. Ich erinnere mich des Tages noch sehr genau, an welchem ungemein lebhaft über die Zweckmäßigkeit der Geschwornengerichte debattirt wurde. Man zog eine Menge von Fällen und Beweisen für und gegen herbei, die Erörterung erregte allgemeine Theilnahme, und dauerte bis gegen elf Uhr Nachts. Auch Theologen mischten sich ein, aber zu einem Ergebniß kam man lange nicht. Da bat einer um's Wort und sprach etwa:

„Ihr seid Juristen, und klaubt an euren Rechtsprincipien und dergleichen herum. Nun will ich einmal den gesunden Menschenverstand zu Hülfe rufen. Sagt mir, wie kommt es, daß alle Völker, welche die Schwurgerichte haben, mit denselben zufrieden sind, und sie trotz aller Mängel, die der alte Martin an ihnen findet und nachweist, nicht fahren lassen wollen? Sagt mir ferner, weshalb andere Völker sie sich wünschen und ihr jetziges Proceßverfahren los sein möchten? Weshalb sind jene zufrieden und diese nicht? Und sagt mir endlich noch: sind die Schwurgerichte nicht echt deutsch und ist der Inquisitionsproceß mit verschlossenen Gerichtssälen nicht in den traurigsten Zeiten unserer Geschichte [479] bei uns eingeführt worden? Auf alle Euere juristischen Spitzfindigkeiten und Principienklaubereien gebe ich kein Kopfstück (24 Kreuzer). Nun antwortet, Ihr Juristen, ich vertheidige den gesunden Menschenverstand. Dixi!

Sehr lebhaft wurde auch über die Griechen hin und her disputirt und Wilhelm Müller’s Griechenlieder waren ein sehr beliebtes Buch. Zur Burschenschaft hielt sich ein kleiner Grieche, wenn ich nicht irre, hieß er er Pagon, der recht flott turnte. Die Füchse betrachteten diesen angeblichen Nachkommen der alten Hellenen mit großem Interesse; wenn ich mir aber heute seine Physiognomie vergegenwärtige und an seine entschieden arnautische Nase denke, so zweifle ich keinen Augenblick, daß dieser Mann, gleich der Hälfte seiner „hellenischen“ Landsleute, albanesischer Abkunft war. Er las eifrig die Augsburger Allgemeine Zeitung, die einzige, welche außer der Dorfzeitung und der Neckarzeitung gehalten wurde; daneben hatten wir dann noch den Eremiten von Gleich. Man sieht, wie harmlos unsere Lecture war; auch befanden sich in der Burschenbibliothek keine Werke, welche man heutzutage verbieten würde.

Es war viel neuer Zuwachs aus allen Theilen Deutschlands eingetroffen und für den Neuling war es von hohem Interesse, zu sehen, wie sich Alles so rasch ein- und zusammenlebte, und wie in der Burschenschaft, die mit Allem, was darum und daran hing, mehr als dreihundert Köpfe zählte, ein Geist die Gesammtheit durchdrang. Und dieser Geist war deutsch, gesund und patriotisch, er war derselbe bei denen, welche von der Donau kamen, wie bei jenen, welche das Licht der Welt in den Marschen von Schleswig-Holstein erblickt hatten. Wir Niederdeutschen waren damals stark vertreten und mochten wohl ein Viertel der ganzen Studentenschaft ausmachen. Deswegen hörte man auch auf dem Burgkeller viel Plattdeutsch in allen Mundarten reden, namentlich ließen sich die Mecklenburger ihr süßes Obotritisch nicht nehmen und Stülpnagel war stets bereit, zu behaupten, daß man für das hochdeutsche Pferd nicht Pärd, sondern Pierd sagen müsse. Am Ende entschied der alte Jahn, daß er Unrecht habe. Das Zusammentreffen so vieler Jünglinge mit ganz verschiedenen Anlagen und Begabungen, so vieler Leute aus ganz verschiedenen Gegenden, erzeugte eine eigenthümliche und frische Geistesatmosphäre, in der man sich ungemein wohl und frei fühlte.



[491]
II.


Mit den Landsmannschaftern standen wir Burschenschafter damals eigentlich in gar keinem Verhältnisse; beide Theile gingen neben einander her. Die leidige „Paulfrage“ spielte schon dieselbe Rolle, wie noch heute. Wie hielten am Ehrengerichte fest und gingen nicht los, ohne daß ein solches zuvor den betreffenden Fall untersucht hätte, wozu die Landsmannschafter sich nicht verstehen wollten. Unter uns selbst waren aber die Ansichten darüber verschieden, ob das Ehrengericht unbedingt entscheiden dürfe oder nicht. Viele, und zwar auch solche, die eine tüchtige Klinge stießen, waren grundsätzlich gegen jeden Zweikampf, in welchem sie unter allen Umständen eine rohe Unsittlichkeit, eine völlige Barbarei erblickten. Sie meinten, ein Bursch habe Besseres zu thun, als sich von früh bis spät über unnütze Paukereien zu unterhalten und die Zeit mit platten Nichtigkeiten zu vergeuden. Während meines zweiten Aufenthaltes in Jena hatten sich in dieser Beziehung die Ansichten einigermaßen geändert: man war pauklustiger geworden.

[493] Zwischen beiden Theilen waltete ein Verrufsverhältniß ob, das dann und wann recht unangenehme Auftritte herbeiführte, im Allgemeinen gingen aber die Dinge ziemlich glatt ab; man hatte gelernt, sich gegenseitig zu dulden, und unter der Hand verkehrten auch Hausburschen der feindlichen Parteien ganz gemüthlich miteinander. Mir persönlich haben die Extreme niemals zugesagt und so nahm ich denn auch keinen Anstand, mit einigen „netten Kerlen“ Umgang zu pflegen, obwohl sie andere Farben trugen. Ihre Versuche, mich zu „keilen“ und der Burschenschaft abwendig zu machen, scheiterten an der starken Neigung zu meiner Farbe.

Unter den Landsmannschaften, gab es ganz vortreffliche Burschen, ich fand sie gar nicht so „verrucht“, wie mir die Hallenser gesagt hatten, auch waren sie nicht so abgestumpft gegen vaterländische Dinge, wie ich mir eingebildet. Zwar blieb ich ein strenger Burschenschafter, aber ich legte einige Vorurtheile ab und sprach dann und wann mit Leuten, die blau-blau weiße, grün-roth-goldne oder schwarz-roth-weiße Mützen trugen. Unter diesen war auch der Thüringersenior, welcher auf der Johannisstraße dem Eichplatze gegenüber wohnte und den ich auch manchmal besuchte. Bei ihm ereignete sich Nachstehendes.

Ein Hallescher Märker, aus Potsdam gebürtig, war nach Jena gekommen und dort, ich habe vergessen, mit welchem Burschenschafter, auf krumme Säbel losgegangen. Sein Gegner hatte ihm einen fürchterlichen „Schmiß“ über die Nase gegeben, die nur mit großer Mühe wieder angeheilt wurde. Nun standen zwar die Halleschen Märker mit den Jenensischen Franken im Cartell, aber der Verwundete wurde der Sicherheit wegen in die Behausung jenes Thüringers gebracht und sah dort seiner Heilung entgegen. Sie war ihm langweilig, zum Zeitvertreib griff er oft an seine Nase, die dadurch viel schlimmer wurde, trank auch insgeheim, weil ihm alles Bier verboten war, Spiritus mit Wasser verdünnt, auch zum „Zeitvertreib“, wie er sagte; am Ende droheten seine Freunde, ihm die Hände an den Bettpfosten festzubinden, und nun wurde er folgsam. Als er mit der Jenaischen Hieroglyphe im Gesicht nach Halle kam, mußte er manche spitzen Worte hören, man sagte ihm zum Beispiel, daß eigentlich nicht mit dem Gesichte parirt werden müsse, sondern mit dem Schläger. Darüber fielen dann viele „dumme Jungen“ und jene Paukerei hatte in Halle ein halbes oder ganzes Dutzend Nachfolger. Dieser nun verstorbene Märker brachte es bis zum königlich preußischen Zeitungscensor und hat als solcher in Köln am Rhein viele Angriffe erfahren müssen.

Die Fremden, welche in Jena erschienen, um „Gastrollen“ zu geben, hatten, wenigstens zu meiner Zeit, schlechtes Glück. Ich erinnere mich sehr genau zweier Fälle, die uns viel zu lachen gaben. Um Pfingsten war damals, wie noch heute, der Zusammenfluß auswärtiger Studenten sehr stark; sie kamen von Halle, Göttingen, Leipzig, auch manchmal von Würzburg und Erlangen, und Alle wurden gastlich aufgenommen. Da fremden Landsmannschaften, gegenüber kein Verrufsverhältniß bestand, so freuten sich auch manche Burschenschafter auf Pfingsten, um sich dann einmal recht „ausleben“ zu können, und Paukereien blieben nicht aus. Die Einen wollten es den „Büchsiers“, die Anderen den „Landsknoten“ eintränken. Mit den Jenensern hatte freilich das Losgehen einen kleinen Haken, denn es galt der Stoßcomment, während die Hallenser und Göttinger nur mit Hiebschlägern umzugehen wußten. Deshalb suchten bei „Scandälen“ die Fremden es so einzurichten, daß sie die Reihenfolge der Waffen zu bestimmen hatten, und sie wählten natürlich immer die Hieber zuerst, in der Hoffnung, während der ersten sechs Gänge den Jenenser „abzuführen“. Gelang das nicht, und ich habe nie gehört und gesehen, daß es gelungen wäre, dann kamen freilich die spitzigen Dinger, die „Pariser“, Stoßschläger mit kleinen vergoldeten Glocken, daran, und der Fremde wußte schon, was ihm bevorstand. Sein Secundant mochte es noch so geschickt anstellen, um den Gegenpaukanten zu „geniren,“ es half nichts, der Pariser „saß“ und der Fremde konnte daheim nicht von gelungenen Thaten erzählen, er hatte in Jena Blut gelassen.

Während die Landsmannschafter, die sich untereinander immer in den Haaren und täglich auf der Mensur lagen, der gewöhnlichen Schläger mit großen Tellern sich bedienten und nur ausnahmsweise zu den ungleich gefährlicheren Parisern griffen, gingen die Burschenschafter mit anderen Burschenschaftern gewöhnlich, mit Landsmannschaften aber nur auf Pariser los, und niemals unter vierundzwanzig Gängen. Wir hatten aber auch viele tüchtige Schläger unter uns, die sich auf den Hieb verstanden, namentlich vormalige Rostocker, Kieler und Göttinger. Wenn nun die fremden Renommisten mit solchen anrannten, die beider Waffengattungen mächtig waren, dann waren sie doppelt im Nachtheil.

Zu Pfingsten 1830 war ein kleiner dicker Neoborusse aus Leipzig nach Jena gekommen, ein munterer, quirliger Kerl, dem man es ansah, daß er ohne ein paar Scandäle nicht zufrieden sein werde. Am ersten Festtag-Morgen war er mit einer Menge anderer Landsmannschafter mitten auf dem Markte; sie schlugen mit Glockenrappieren, und dieser kleine Leipziger B. „löffelte“ sich dabei ganz erklecklich. Etwa ein Dutzend von uns Burschenschaftern standen ein paar Schritte abseits und sahen dem munteren Spiele zu. Da wuchs dem quirligen Dicken der Kamm, er kam auf uns zu, suchte sich den Größten heraus und sprach zu dem langen M. aus Mecklenburg:

Willst Du vielleicht einen Gang mit mir schlagen?

Nun war der lange M., ein bildschöner, großer, breitschulteriger Bursch, die personificirte Ruhe, welche aber mit einer sehr nachhaltigen Kraft gepaart war. In seiner lakonischen Weise entgegnete er dem kleinen Neoborussen:

Mit Vergnügen,“ rückte seine Mütze zurecht, sagte leise zu uns auf Plattdeutsch: „den will ich dreschen,“ und nahm das Glockenrappier. Da der Lange dem Kleinen schon eine Viertelstunde lang seine obligaten Fechterstreiche abgesehen hatte, so war er darauf vorbereitet und sie konnten ihm nichts anhaben. Er ließ jenen erst recht in’s Zeug gehen, nahm dann seine Zeit wahr und gab ihm einen Schmiß über Schulter und Rücken, daß der kleine Quirl in die Kniee sank. Aber er hielt sich tapfer und verzog keine Miene. Es kam wieder ein Gang; schwapp! derselbe Hieb; und so ging es ein halbes Dutzend Mal hinter einander, bis der kleine üppige Neoborusse förmlich zermürbt war. Der lange M., welcher während dieser eisernen Drescherei auch nicht eine Sylbe gesprochen hatte, sagte dann mit äußerster Gelassenheit und ohne eine Miene zu verziehen:

Willst Du vielleicht noch einige Gänge mit mir machen?

Der Leipziger hatte indessen für jene Pfingstferien genug, wir aber erfreuten uns am zweiten Pfingsttage wieder eines gemächlichen Schauspiels. Wöllnitz bei Jena ist ein Dorf, das sich durch sein Bier und seine hübsche Lage empfiehlt; es war auch Sitz zweier Herzogtümer, die freilich im gothaischen Kalender nicht mit aufgeführt werden; es scheint, als ob sie bei anderen Potentaten nicht für legitim galten, wiewohl sie von den Fürstenthümern in Lichtenhain anerkannt wurden. Das eine Herzogthum war jenes der Franken, das andere wurde von den Burschenschaftern gebildet, und diesem letzteren hat viele Jahre lang der starkbärtige Morba, nun längst Hauptgewaltiger auf der lustigen Schmücke im Thüringerwalde, rühmlich vorgestanden. Er ist zwar Unterthan des Herzogs Ernst von Gotha, aber Se. Hoheit versteht, mit seiner bekannten Liebenswürdigkeit Talente und Größen zu würdigen und mag sie nicht fallen lassen. Deswegen hat der prächtige Mann auch den weiland Herzog Morba von Wöllnitz, ohne Zweifel in Anerkennung für dessen Regentenverdienste im Bierstaate Wöllnitz, auf die Schmücke erhoben und mit dieser belehnt. Seit der alte Joel dort das Zeitliche gesegnet, darf Morba sich oben als Alleinherrscher fühlen. Es muß nicht übel sein: als Student Herzog von Wöllnitz im Thale und als Philister Gebieter der Wolken auf der Schmücke!

Auf den Bergen bei Wöllnitz ist ein hübscher grüner Platz. Die Studenten sind der teleologischen Ansicht, daß derselbe von der Natur nur deshalb geschaffen sei, damit sie dort ihre Paukereien in aller Gemüthlichkeit, am liebsten Sonntag Morgens, abmachen können. Wenn ein gewisser Hofrath oder ein beliebiger Pastor die Ansicht hegt, das Gras sei nicht roth, sondern grün, damit der von Gott geschaffene Mensch sich die Augen nicht verderbe, so sehe ich nicht ab, welcher Mangel an Logik darin steckt, wenn der Jenenser Student meint, die Wöllnitzer Berge seien zum Pauken da. Gewiß sind sie bequem auch für die Zuschauer, denn die niedrigen Halden über der kleinen Tafelebene steigen langsam an und man kann das Schlachtfeld in aller Bequemlichkeit überschauen; auch fehlt es natürlich nicht an Platz für Kännchen und Stübchen, aus welchen man stärkende Züge nach Belieben trank; ohne dieses Letztere wäre jene Zweckmäßigkeitsansicht keineswegs gerechtfertigt.

Ein Hallescher Märker aus Hamburg hatte mit einem Burschenschafter aus dem braunschweiger Lande, der früher in Göttingen [494] studirte, contrahirt und man wollte auf Hieb losgehen. Wir hatten von den Göttinger Teutonen ein paar sehr schöne Korbschläger zum Geschenk erhalten und diese kamen am zweiten Pfingsttage zum ersten Male auf die Mensur. Sie wurde auf dem ebenen Platze genommen; wir Zuschauer lagen auf der grünen Halde und rauchten unsere Pfeife Tabak. Solch’ eine Paukerei im Freien sieht malerisch aus. Der Himmel war blau, die Schläger blitzten, der Unparteiische trat vor, die Secundanten stellten sich neben ihre Paukanten, die Zeugen standen abseit, wir Uebrigen bildeten das Publicum. „Auf die Mensur; bindet die Klingen; gebunden ist; los!“ Und dann klirrten die Schläger, bis die Secundanten einsprangen. „Nichts gesessen!“ So wurden einige Gänge gemacht, bis dann wirklich etwas saß oder vielmehr fiel, nämlich ein Ohr des Hallensers. Das war im Jahre 1830. Sieben Jahre nachher kam ich eines Abends nach einer stürmischen Fahrt von Helgoland in Hamburg an. Gegen Mitternacht befand ich mich in Unbescheiden’s Austern- und Delicatessenkeller. Nach einiger Zeit traten mehrere Männer ein; unter ihnen erkannte ich jenen zu Wöllnitz am Ohr beschädigten Hallenser wieder. Wir haben damals einige vergnügte Stunden verplaudert.

Freilich nehmen die Paukereien nicht alle Mal einen so harmlosen Ausgang. An einem abgehauenen Ohre oder einer zerklüfteten Nase oder einem Quartenschmiß durch’s Gesicht liegt am Ende nicht viel; Inhaber und Empfänger muß sich mit der lieben Eitelkeit abzufinden suchen, falls er nicht etwa nur eine kokette, gut geheilte Narbe hat, denn eine solche gilt bei Mädchen und Frauen als Empfehlungsbrief. Aber ein „Lungenfuchser“ war ein böses Ding und ich kenne aus der Zeit meines zweijährigen Aufenthaltes in Jena mehr als einen, der daran zu Grunde gegangen ist. Einen Mann habe ich auf dem Flecke erstechen sehen.

Es gab in Jena eine Teutonia, die zumeist aus solchen Mitgliedern bestand, welche früher zur Burschenschaft gehört hatten, wegen allerlei Irrungen ausgetreten waren und eine eigene Verbindung bildeten. Sie trugen schwarz, roth, gold und grün und hatten anfangs burschenschaftliche Ansichten und Bestrebungen festgehalten; es geht aber allen solchen abgezweigten Vereinen so, daß bald das landsmannschaftliche oder Corpswesen bei ihnen die Oberhand gewinnt. Das war auch 1826 mit den Constantisten der Fall, welche sich vom Burgkeller trennten und bald zu „Vandalen“ wurden. Unter jenen Teutonen waren sehr begabte und tüchtige Leute, namentlich ein durch seine Schweigsamkeit und seine gute Klinge ausgezeichneter Koburger; sodann ein Bremer oder Hannoveraner (ich weiß nicht, ob ich den alten Rups als Calaber au Apulus bezeichnen soll), der als Kenner der Geschichte und der schönen Literatur bedeutend geworden ist und dessen poetische Muse manches schöne und correcte Kind erzeugt. Ein Hallenser hatte dem kleinen Menschen, der auch im Sommer einen grauen Mantel mit langem Kragen und Pelz trug, eine Bärenmütze geschenkt, deren ellenlang herabhängender Sammetbeutel einst orangegelb gewesen sein soll; doch hat wohl in Jena kein Sterblicher gelebt, der beschwören könnte, welche Grundfarbe er eigentlich gehabt. „Rups“ hat die Mütze später am Weserstrande einem Auswanderer geschenkt und so wird jene unvergleichliche Hallisch-Jenensische Kopfzier wohl das Erstaunen der Indianer am Missouri oder Plattefluß erregt haben. Mein wackerer und poetischer Freund von der weiland Teutonia ist friedlich, jovial und grundgutmüthig, aber war auf das Pauken wie versessen. Als er etwa vierzig Mal auf der Mensur gewesen war, gerieth er an einen Burschenschafter, S. aus Weimar, der ihm den rechten Arm von unten bis oben zerstieß und denselben für das ganze Leben unbrauchbar machte. Aber Rups war nicht der Mann, der sich durch solch ein Pech hätte niederschlagen lassen; noch ehe der rechte Arm gänzlich geheilt war, fing er an, mit der linken Hand schreiben und stoßen zu lernen und er ist dann wohl noch zwanzig bis dreißig Mal links losgegangen, Bei manchen Landsmannschaftern war der rechte Arm mit Dreiecken von Stichwunden förmlich übersät, wie eine Forelle mit rothen Flecken. In der Mäderei habe ich gesehen, wie ein Paukant durch Hemd und Haut an die Thür gespießt wurde.

Manche Duelle wurden im Rauthal abgemacht; ich habe aber dasselbe nur zwei Mal betreten. Burschenschafter und Teutonen neckten sich zuweilen, namentlich jene, die noch zusammen in einer Verbindung gewesen waren. Der Gothaer B., neben dem Mecklenburger Buschmann der beste Stößer, war eines Tages, im August 1826, nach Lichtenhain gegangen. Er wollte zu Michaelis sein theologisches Examen machen. Der Teutone G–g aus Oldenburg fing an, ihn zu hänseln; er nannte ihn „einen Mann von Kunitz mit ’nem dicken Koppe,“ suchte ihn auch sonst zu reizen, und das Ende war ein Duell auf Pariser, bei welchem der Teutone L. jenem G. secundirte. B., der mich einstieß, hatte mir gesagt: „ich will ihm nichts thun;“ auch sah man, daß er seinen Gegner schonte. Zum Unglück kam aber auf der Mensur etwas vor, das ich mit Schweigen übergehen will; B. wurde gereizt, drängte den Secundanten zur Seite und rannte eine Querquart durch Brust und Hals G.’s. Das Blut strömte, der Getroffene sank zu Boden und war binnen wenigen Minuten eine Leiche. B. war außer sich; wir brachten ihn sammt seinem treuen weißen Pudel fort und ich habe ihn auch später während der Ferien in meiner Heimath beherbergt und weitergeschafft. Er war ein guter und friedfertiger Mensch. Vier Jahre später sah ich in demselben Rauthale, wie ein Göttinger einem Burschenschafter aus Erfurt den Dickmuskel des Oberarmes mit einem krummen Säbel gleichsam herausschälte, als hätte ein Fleischer ihn handwerksgerecht abgelöst.

Doch genug und übergenug von diesen Paukereien, von denen unsere akademische Jugend leider nicht lassen will und welchen sie durch ihre Sophistereien keine vernünftige Seite abgewinnen wird. Wenn man mit Studenten von Paukereien redet, hört zwar nicht die Gemüthlichkeit auf, wohl aber die Logik; das wollen sie freilich nicht zugeben.

Abgesehen von solchen blutigen Zwischenfällen hatte das Studentenleben in Jena eine sehr heitere Seite, und es war außerdem in der That ganz geeignet, den wechselseitigen Unterricht zu fördern. Das geschah vor Allem in den Kränzchen, in welchen ältere Burschenschafter mit den Neulingen allwöchentlich zusammen kamen. Es gab Fuchs-, Renoncen- und Verbindungskränzchen und in allen ging es sehr ernst und angeregt zu. Der Vorsitzende brachte irgend einen Gegenstand von allgemeinem Belang auf das Tapet, über welchen dann eine Erörterung stattfand. Es wurde darauf gesehen, daß die acht bis zehn Mitglieder eines Kränzchens aus ganz verschiedenen Theilen Deutschlands gebürtig waren, damit der Gedankenaustausch recht mannichfach sei. Das war dann auch durchgängig der Fall und wir Alle denken jetzt noch mit Genuß an jene schönen Stunden zurück, in welchen über Angelegenheiten des vaterländischen Lebens und die Herrlichkeit von Kaiser und Reich und von deutscher Größe warme Worte gesprochen wurden. Diese Kränzchen waren Bildungsanstalten der besten Art und nichts weniger als „demagogisch“. War es etwa eine Sünde, daß die Karlsbader Beschlüsse bei einer gesunden Jugend keine Gunst erfuhren und daß sie zornig darüber war, zu sehen, wie die Befreiungskriege für das große Gesammtvaterland, das Allen so theuer war, keine anderen Früchte gebracht hatte, als Reaction und Demagogenverfolgung? Diese Ansicht war aber, wie die Folge gezeigt hat, nicht auf die Burschenschafter und die Studenten überhaupt beschränkt, sondern durchschwängerte längst die ganze Nation. In der Jenensischen Burschenschaft dachte Niemand an „Anzettelung von Umtrieben“, wie man damals sich auszudrücken pflegte, auch in der sogenannten engern Verbindung nicht.

Diese letztere war eigentlich geheim oder sollte es doch sein. Die Burschenschaft war streng verboten, sie lag aber in den Gemüthern und war nicht auszurotten, deshalb bestand sie fort, nicht öffentlich constituirt, sondern halb und halb geduldet. Aus den mehr als Dreihunderten, welche in Jena unsere Farben trugen, hatten sich etliche dreißig der Tüchtigsten enger aneinander geschlossen und die alte Verfassung angenommen; sie bildeten einen festen Kern, an welchen die Uebrigen gleichsam als Krystalle anschossen. Diese munkelten wohl davon, daß eine engere Verbindung bestehe, und vermutheten auch ganz richtig die einzelnen Mitglieder, aber Gewisses wußten sie nicht. Im Grunde gab es gar nichts, das zu verheimlichen gewesen wäre, allein in jenen Zeiten konnten die Verfolgungen leicht in jedem Augenblicke wieder beginnen und man wollte auch der humanen weimarischen Regierung Verlegenheit ersparen. Sie drückte ein Auge zu, weil sie recht gut wußte, wie es sich mit dem angeblichen Demagogenthum verhielt. Für uns hatte aber der Nimbus des Geheimnißvollen einen großen Reiz und ich erinnere mich sehr gut, wie angeregt ich wurde, als der Anhaltiner L. mir auf einem Morgengange im Paradiese Eröffnungen machte, die dann weiter führten. Die engere Verbindung wählte sich die, welche sie zur Mitgliedschaft geeignet hielt, selbst aus, denn wie und bei wem hätte Jemand sich zum Eintritt melden können? [495] Aeußerlich bestand nur eine „Allgemeinheit“, deren Angehörige auf den Burschenbrauch verpflichtet wurden.

Man theilte mir mit, daß ich mit noch einem andern Fuchs, einem Lübecker, aufgenommen werden solle, und die Nacht wurde anberaumt. Die Versammlung fand in der Wohnung eines Burschen statt, der nachher in einem thüringer Staate eine Zierde unter den höheren Staatsdienern geworden ist. Nach zehn Uhr wurden wir eingeführt und sahen jene Dreißig bis Sechsunddreißig dasitzen; der Sprecher des Vorstandes hielt eine treffliche Rede und verpflichtete uns durch Handschlag auf die Verfassung der deutschen Burschenschaft. Diese feierliche Stunde habe ich nie vergessen, wie ich es denn auch nie bereuen werde, ein Mitglied jener Verbindung gewesen zu sein. Daß ich späterhin dadurch in manche Widerwärtigkeiten gerathen bin, die meinem Lebenslauf eine eigenthümliche Richtung gaben, hat sie mir um so lieber gemacht. Ich verdanke ihr viele wohlthätige Anregungen und herrliche Stunden und will ihr meine Anhänglichkeit bis an mein Lebensende bewahren. Heute freilich sind andere Zeiten; die Gemüther der akademischen Jugend haben, wie es scheint, einen andern Strich und eine andere Richtung, als wir vor drei Jahrzehnten; die Romantik ist ihr abhanden gekommen und ich will sie deshalb nicht schelten. Es kann nicht schaden, daß Deutschland, sammt seiner Jugend, endlich angefangen hat, praktisch zu sein. Aber schwungloser und prosaischer kommen die heutigen Studenten mir vor. Oder wäre ich etwa ein laudator temporis acti? Ich glaube kaum.

Wir durchlebten in Jena eine schöne Idylle. Wie reizend war es im Griesbach’schen Garten! Dort erzählten wir uns von Karl August, Amalie, Goethe, Schiller, Herder und den anderen Heroen jener weimarischen Tafelrunde des Geistes; dorthin ging, wer in schöner Einsamkeit Tieck, Novalis oder Jean Paul genießen wollte; dort las er auf einem Denksteine die vielbekannten Worte

Zierlich denken und süß erinnern,
Ist das Leben im tiefsten Innern,

deren Sinn er zu enträthseln suchte. Sie schienen Manchem dunkel, wie das bekannte: „Des Lebens Unverstand mit Wehmuth zu ertragen, ist Tugend, ist Begriff; Geduld und Wachsamkeit sind mehr denn Gold und Jugend Werth.“

Man bestieg den Landgrafenberg, den Fuchsthurm und die Kunitzburg, von welcher der Wanderer in der That einen wahren Prachtblick auf das reizende Thal der Saale hat. Nach Süden hin schloß in demselben die Leuchtenburg die Aussicht; sie stand wie ein Memento da, denn auf ihr hatte mehr als ein Burschenschafter seine Strafe abgebüßt. Aber das hinderte uns nicht, nach Kahla zu fahren, das am Fuße jener Burg liegt, und dort ein lustiges Vogelschießen mitzumachen. Die thüringer Mädchen fanden wir lieb und frisch und mancher Studio aus Süd und Nord hat dort oder in Eisenberg und den anderen Orten, wo flott getanzt wurde, sein Herz wenigstens auf einige Zeit verloren. Diese munteren Gesichter machten einen gar lieblichen Eindruck; Alle waren so ungeziert und dabei so sittsam und anständig; und wie mir ein Freund aus Schlesien, der Besitzer des schönen Hundes Scheck-Munni, sagte: „Es ist mit diesen thüringer Mädeln zum Schwerenothkriegen!“

Es ging ihm nämlich wie Buridans Esel; er glaubte in zwei schmucke Dirnen verliebt zu sein, in zwei verschiedenen Städtchen, und wußte doch nicht recht, welche eigentlich es ihm angethan habe. Darüber hatte der „Spektakel“ große Qual, und ich glaube, er ist auch von Jena fortgegangen, ohne in’s Klare zu kommen, welche denn eigentlich die hübscheste und angenehmste gewesen. Ich meinerseits hatte ein Stück Jugendherz in Rudolstadt, wo mir, wie jenem Schweizer im Tell, ein Mägdlein im Schlosse hold war. Keine Seele erfuhr davon; ich ritt Nachmittags fort, war Abends an Ort und Stelle und stieg bergan. Es fehlte nicht an buschigen Stellen und lauschigen Plätzen, wo Hand in Hand traulich gekoset wurde. Gegen Mitternacht sprengte ich wieder heim. Das waren schöne und reine Stunden, an welche ich in ungetrübter Stimmung zurückdenken kann. Um mit der Jobsiade zu sprechen:

Wir tranken des Mondes Silberschein
Und das Flimmern der lieben Sternelein.

Doch das ist nun schon lange, lange her, und die Hand, welche damals der romantische Bruder Studio drückte, auch schon lange, lange kalt!

Die Bierstaaten sind seit langen lieben Jahren ein sehr wichtiges und charakteristisches Item in dem Jenaischen Studentenleben. Die Landsmannschaften hatten ihre „Burgen“ und Herzogthümer in Lichtenhain, mit Ausnahme der Franken, deren Staat, wie schon bemerkt, in Wöllnitz war. Bei jenen hieß der Fürst immer Thus oder Tus, wie in Schwarzburg der Fürst allemal Günther heißt. Die Reihenfolge der Tusse ist länger als jene der reußischen Fürsten älterer oder jüngerer Linie. Ich darf kühn behaupten, daß Jena und die Dörfer, welche um das Städtchen herumliegen, die wackersten Zecher gesehen hat, die je in deutschen Landen das gelbe oder braune Naß getrunken haben. O, was ist da Alles geleistet worden! Wir waren klüger, wie der König von Thule, und warfen die Becher nicht in’s Meer, sondern wir behielten Kännchen und Stübchen, Aebte und Lanzen, wir ließen sie nicht, sondern machten es wie der lustige Zecher, den Robert Prutz so schön geschildert hat. „Wir zechten und zechten mit durstigem Mund“ ohne Unterschied der Facultas, und trotzdem hofften auch die Theologen, dermaleinst selig zu werden. Ob ihnen der liebe Gott so gnädig ist, wie dem Zecher von Prutz, weiß ich nicht, wünsche es aber aus vollem Herzen; so viel aber weiß ich, daß manche von ihnen helle Kirchenlichter geworden sind, welche ihre Gemeinden erleuchten.

Wir Burschenschafter hatten auch in Bezug auf unsere Bierstaaten Mannichfaltigkelt in der Einheit, denn unser waren zu Viele, als daß wir uns an einem einzigen Staate hätten genügen lassen; keine Dorfkneipe war geräumig genug, uns Alle zu fassen. In Zwäzen, der Kunitzburg gegenüber, hatten wir 1826 ein Kaiserthnm, auf dessen Throne, wie ich schon früher sagte, der „Kaptein“ in hoher Würde prangte. Die Zahl seiner Unterthanen, zu welchen ich gehört habe, mochte gegen siebenzig betragen. Die Reichsämter waren mit tüchtigen Zechern besetzt; es wurde aber in Zwäzen nicht selten ein hoher Sinn in das kindische Spiel gelegt, indem der „Bierwitz“ als Folie für patriotische Anmahnungen und Bestrebungen diente. In Ammerbach hatte sich ein Vasall des Kaisers als Herzog festgesetzt, in der Person des „Schnick“, eines pudelnärrischen Kerls aus Meiningen, der eine ausgezeichnete Klinge führte und in trockenen Späßen unübertrefflich war. Dieserhalb will ich es ihm auch vergeben, daß er einmal, als er mir bei einer Paukerei auf Pariser secundirte, nicht zu rechter Zeit die Klinge des von mir verwundeten Gegenpaukanten aufhob, wodurch ich in empfindlicher Weise zu Schaden kam. Schnick hatte „Landeskinder“ um sich versammelt, zumeist Thüringer, und sein Staat war in guter Ordnung. Auch wurde in Ammerbach, wo es sicher war, manchmal gepaukt. Wir stellten auf den Bergen und in den Schluchten Füchse als Späher auf, und wenn der schlaue Pedell Dorschel kam, fand er allemal Alles in bester Ordnung, und — wir tranken ihm vor. In Wöllnitz thronte der schon erwähnte Morba in unnachahmlicher Hoheit; nie aber habe ich ihn größer und majestätischer gesehen, als eines Tages im Sommer 1830, da er im Hermelinmantel, mit Herzogshut, Schwert, behängt mit Orden, zu Esel, gefolgt von Vasallen, in Ziegenhain einritt. Dort hatte sich, nach Verfall des Kaiserthums Zwäzen, welches nach des Kaptein’s Abgang hinsiechte, wie weiland das heilige römische Reich deutscher Nation, ein blühender Freistaat erhoben, der zu Anfang eines jeden Halbjahres seinen Landammann wählte; dieser führte die höchst wohlklingende Benennung „Ulk“, und trug als Zeichen seiner Würde eine hohe Pelzkappe. Zwischen der Republik Ziegenhain, deren Wahlspruch: Bier, Freiheit, Gleichheit, auf dem Wappen und den Pfeifenköpfen prangte, und dem Herzogthum Wöllnitz waren einige Irrungen ausgebrochen, wie denn das bei Nachbarn wohl zu geschehen pflegt. Es handelte sich natürlich um Bierstreitigkeiten, und ob bei einem Wettkampfe die Unterthanen oder die freien Bürger mehr und rascher getrunken hätten. Der Zwist war jedoch in Güte beigelegt worden, und zum Beweise, daß aller Zank und Span verschwunden, die Streitaxt begraben sei, ließen Seine Durchlaucht dem Herrn Landammann Ulk melden, daß Allerhöchst Sie dem befreundeten Staate einen Besuch zugedacht hätten. Der große Tag erschien. Herzog Morba wurde auf der Grenze der beiden souverainen Staaten Ziegenhain und Wöllnitz von freien Bürgern festlich begrüßt; sie hielten ihm den berühmten Birkenmaier entgegen, jenen kolossalen hölzernen Humpen, auf welchen Jena stolz sein kann. Durchlaucht tranken mit Würde auf das Wohl der befreundeten Republik einen Zug, der wirklich sehr tief und also rechtschaffen war. Wir nahmen daraus ab, daß aller Groll verschwunden sei, denn so wacker konnte nur ein gutes, friedsames Gemüth Bescheid thun. Sämmtliche Wöllnitzer Unterthanen hatten ihren Potentaten begleitet. Ich will die Einzelnheiten jenes großen Tages nicht näher schildern, sondern nur [496] hervorheben, daß die Verbrüderung sehr innig war, denn ich sah Republikaner und Monarchisten umschlungen oder neben einander im grünen Grase liegen, guten Bieres voll. Der Wetteifer zwischen beiden Theilen ließ in der That nichts zu wünschen übrig, jeder blieb unbesiegt. Palmam, qui meruit, ferat.

Aber wem hätte man die Palme zuerkennen sollen, wo Alle und Einer und Einer und Alle gleich tapfer waren? Wie kühn strahlte Dein Blick, „schöner E–s“, als Du der Durchlaucht gegenüberstandest und Deine Kräfte mit ihm maßest; wie stottertest Du kecke Worte, „langer Itzig“, als Du den Wöllnitzern beweisen wolltest, sie seien „Kameele“! Und wie lebhaft declamirte der Philolog H. aus Anhalt, der längst in griechischer Erde den ewigen Schlaf schläft, ein Gedicht Anakreons nach dem andern, während der „Burggeist“ aus der Lausitz vom Kunec Luarin, der Völuspa und der Gudrun erzählte und Verse aus den Nibelungen sprach! War nicht auch die „Bierlatte“, jener ewige Student, der heute, Anno 1858, noch die Mappe trägt und Jena’s Pflaster tritt, schon damals seit sechs Jahren ein sehr durstiger Bursch? Und wer könnte es je vergessen, daß Z. aus Rudolstadt und Hobelmann aus Westfalen, diese zwei unverwüstlichen Kämpen, deren Einer den Andern nie in hundertfachem Wettkampf besiegt hat, damals beide zu gleicher Zeit „abfielen“ und dermaßen von der Bank heruntersanken, daß von Keinem etwas zu sehen war? Der Herzog sagte gemessen: „Schafft man diese Mannen nicht ins Burgverließ?“ worauf ein dienender Knappe, ein Ziegenhainer Bäuerlein, naseweis erwiderte: „Nä, ich will die beeden Herren lieber uf’s Stroh bringen.“ Was denn auch geschah, weil es sehr nöthig war.

Es war Sitte, daß man sich häufig auf den Stuben besuchte, und daß vier bis sechs nähere Bekannte zu Kaffee oder Chocolade kamen, um gemeinschaftlich gute Bücher zu lesen. Auf solche Weise bin ich z. B. mit Menzel’s Geschichte der deutschen Literatur bekannt geworden, welche damals manche von uns sehr beschäftigte. Gleich nachher wurde des Disputirens über Justinus Kerner’s Seherin von Prevorst kein Ende, welche der „kluge Mann“ aus Altenburg auf’s Tapet gebracht hatte. Andere wollten von dem „Geisterkram“ nichts hören und spielten lieber Schlauch; es machte ihnen mehr Vergnügen, wenn der „Consistor“, gerade weil er ein sehr solider und uns Allen äußerst werther Bruder Studio war, auf dem Burgkeller den Masaniello zum Besten gab. Er warf den Rock ab, streifte die Hemdärmel zurück, setzte eine rothe Mütze auf, schlang einen rothen Shawl um den Leib, und der leibhaftige neapolitanische Fischer stand vor uns auf dem Tische. Er stimmte das: „O seht, wie herrlich strahlt der Morgen!“ an, schwang dabei einmal sogar das große Tischmesser der Frau Vettern, und spielte seine Rolle ganz ausgezeichnet; deshalb erntete er auch allemal wohlverdienten Beifall. Dieser Consistor war der gewissenhafteste Mensch, den man sich denken kann, dabei ein durchaus reines, mildjoviales Gemüth. Als Seelsorger wirkt er seit vielen Jahren sehr wohlihätig und gehört zu jenen Predigern, die getrost ihrer Gemeinde sagen können: „Thut nach meinen Worten und nach meinen Werken.“

Im Jahre 1830 war durch ganz Europa große Aufregung in den Gemüthern, von welcher auch die Studentenwelt berührt wurde. In einem so zahlreichen Gemeinwesen, wie die Burschenschaft, wo so viele verschieden begabte junge Männer mit mannichfachen klaren oder verworrenen Anschauungen und oft abweichenden Bestrebungen mit einander in täglicher Berührung lebten, mußten nothwendig die Geister aufeinander platzen. Die Trennungen, von welchen die Geschichte der Burschenschaft Manches zu erzählen hat, liefern, meiner Ansicht zufolge, einen Beweis für den Ernst, der in den Bestrebungen selbst lag. Gewiß haben bei denselben nicht selten Eitelkeit und selbstsüchtige Beweggründe Einzelner in verhängnißvoller Weise mit hineingespielt; im Allgemeinen darf aber behauptet werden, daß geistige Gegensätze und Hinneigung zu verschiedenen Richtungen den Aufschlag gaben. So verhielt es sich auch mit der Arminia und Germania. In Erlangen, wo stets ein sehr reges, burschenschaftliches Treiben herrschte, war die sogenannte christlich-germanische Richtung zur Geltung gekommen, und hatte einzelne sehr rührige und begabte Vertreter nach Jena geschickt. Diese fingen sogleich an, für ihre Ansicht Proselyten zu machen, und einen Kreis von Leuten um sich zu schaaren, mit welchen sie dann eine Opposition zu Stande brachten. Wir hatten bis dahin sehr einträchtig gelebt, und waren vollkommen zufrieden; wir hielten uns für gute Burschenschafter, auch ohne daß man uns aus den jüdischen Büchern des Alten Testamentes den Beweis zu führen suchte, daß die Burschenschaft eine von Jehova angeordnete Einrichtung sei. Wir meinten, es sei genug, daß sie als eine Verbindung dastehe, deren Mitglieder darnach strebten, den Staaten des deutschen Vaterlandes einmal tüchtige und patriotische Bürger zu liefern. Da auch Katholiken und zeitweilig auch Israeliten zu uns gehörten, und die Protestanten theils lutherisch, theils reformirt waren, so wollten wir von einer specifischen sogenannt christlichen Auffassung als Burschenschafter nichts wissen, sondern überließen es getrost jedem Einzelnen, wie er sich mit seinem Gott und seinem Gewissen abfand, wenn er nur im Uebrigen ein ehrenhafter Kerl war. Wir fanden es lächerlich, bei Comment- und Studentensachen Beweise aus der Bibel hernehmen zu wollen. Mit einem Worte, als die „christlich-germanischen“ Erlanger Theologen erschienen, war es mit Frieden und Eintracht vorbei; wir hatten christlich-germanischen Zank. Begreiflicher Weise wurden jene, durch welche der Unfrieden gebracht worden war, verhöhnt; es gab scharfe Worte und die Pariser blitzten, auch wuchs die gegenseitige Verbitterung immer mehr. Diese Erlanger Richtung war die sogenannte „arminanische“, und die Hauptträger derselben mochten es wohl längst auf eine Trennung abgesehen haben, um nicht ferner in ihrem Wesen und Streben Widerspruch zu erfahren. Die andere Richtung war die „germanische“; jene verschwommen und idealistisch, diese realistisch und praktisch. Nachdem die Theologen einmal Pulver angehäuft und den Zunder hineingeworfen hatten, flog die alte Burschenschaft auf, und trennte sich in Arminia und Germania.

Ich lasse die Arminianer, unter denen ich übrigens einige liebe Freunde hatte, bei Seite. Nicht alle waren „verbohrt“, da außer jenen „christlichen“ Motiven manche Umstände mitwirkten, welche den Einen oder Andern veranlaßten, mit jenen zu gehen. Der trübselige „Wingolf“ kann als ein extremer Ausläufer der Arminia betrachtet werden.

Die Germanen waren vielleicht die merkwürdigste Verbindung, welche je auf einer deutschen Hochschule geblühet hat. Mindestens zwei Drittel waren bedeutende Menschen und sie sind, gleichviel, welchen Berufskreisen sie später angehörten, weit über die Gewöhnlichkeit emporgetaucht; die Uebrigen waren wenigstens „forsche“ Leute. Ihre Gesammtzahl betrug einige siebenzig Köpfe, sie hielten zusammen wie Pech und Schwefel, und wurden von den Landsmannschaften als die Hälfte der Universität anerkannt, hatten auch in den Conventen allein so viele Stimmen abzugeben, wie die übrigen Verbindungen zusammen. Sie konnten in der That für eine wahre flos juventutis gelten. Welche Freude für diese alten „Germanen“, so viel ihrer noch übrig sind, sich nun in Jena wieder zusammenzufinden post tot discrimina rerum! Ueber jene alten Zerwürfnisse ist mehr als ein Vierteljahrhundert hinweggezogen, und so werden denn auch Manchen Becher zugetrunken werden, mit denen man früher Stiche gewechselt hat.

Die Nachrichten von der Julirevolution hatten die Gemüther noch mehr aufgeregt; sie waren wie ein Blitz aus heiterm Himmel gekommen. Auf dem Markte standen, wenn ich mich recht erinnere, am 1. August, viele Studenten in verschiedenen Gruppen wie gewöhnlich, plauderten und rappierten. Da kam plötzlich A–ee, ein Burschenschafter aus Braunschweig, der ein eifriger Schüler Luden’s war, und diesen Professor eben besucht hatte, aus der Leutragasse und hielt einen großen Zeitungsbogen in der Hand. Nachdem er mit Einigen ein paar Worte gewechselt, verbreitete sich plötzlich die Kunde, daß in Frankreich eine Revolution ausgebrochen und König Karl der Zehnte aus Paris verjagt sei. Diese Nachricht ging wie ein Lauffeuer durch die Stadt, Studenten und Philister strömten von allen Seiten herbei, und A. wurde nolens volens gepackt und auf den Marktbrunnen gehoben, von welchem herab er dann einem mit gespannter Aufmerksamkeit horchenden Auditorium, als improvisirter Professor der Politik, eine ganze Nummer des Constitutionnel verdolmetschte. Die Nachricht, daß General Lafayette an die Spitze einer provisorischen Regierung getreten sei, machte einen ungeheuern Eindruck. Diese politischen Mittheilungen wurden dann während der nächsten Tage vor einem stets anschwellenden Zuhörerkreise fortgesetzt, bis es dem von allen Seiten in Anspruch genommenen Professor wider Willen zu viel wurde; er verschwand plötzlich auf einige Tage, und ließ die Commilitonen mit den Pariser Zeitungen zurecht kommen, so gut sie konnten.

Einige Zeit nachher verließ ich die liebe Universität Jena und ging in’s Philisterium.