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instinctive Furcht vor unschuldigen Eidechsen und Fröschen. Auch ist beobachtet worden, dass ein Orang von dem ersten Anblick einer Schildkröte sehr beunruhigt wurde.[1]

Das Princip der Nachahmung ist beim Menschen sehr stark und besonders, wie ich selbst beobachtet habe, beim Wilden. Bei gewissen krankhaften Zuständen des Gehirns wird diese Neigung zu einem ausserordentlichen Grade gesteigert; manche hemiplegische Personen und Andere im Anfangsstadium der entzündlichen Gehirnerweichung sprechen unbewusst jedes gehörte Wort aus ihrer eignen oder einer fremden Sprache nach und ahmen auch jede Geberde oder Handlung nach, die in ihrer Gegenwart ausgeführt wird.[2] Desor[3] hat bemerkt, dass kein niederes Thier willkürlich eine vom Menschen verrichtete Handlung nachahmt, bis wir, in der Stufenleiter aufsteigend, zu den Affen kommen, von denen ja sehr bekannt ist, dass sie in lächerlicher Weise nachahmen. Thiere ahmen aber zuweilen ihre Handlungen unter einander nach: so lernten zwei Arten von Wölfen, welche von Hunden aufgezogen worden waren, zu bellen, wie es zuweilen auch der Schakal thut.[4] Ob dies indessen eine willkürliche Nachahmung genannt werden kann, ist eine andere Frage. Vögel ahmen den Gesang ihrer Eltern und zuweilen den andrer Vögel nach; Papageyen sind wegen ihrer Nachahmung jedes, oft von ihnen gehörten Lautes notorisch. Dureau de la Malle[5] theilt den Fall eines von einer Katze aufgezogenen Hündchens mit, welches die so bekannte Gewohnheit der Katzen nachahmen lernte, sich die Füsse zu lecken und sich damit das Gesicht und die Ohren zu reinigen; dasselbe hat auch der bekannte Audouin gesehen. Ich habe noch mehrere bestätigende Berichte erhalten; in einem dieser Fälle wurde ein Hund nicht von der Katze aufgesäugt, wohl aber bei einer solchen in Gesellschaft junger Kätzchen aufgezogen; hierdurch hatte er die erwähnte Gewohnheit erlernt, die er während seines ganzen Lebens von dreizehn Jahren ausübte. Dureau de la Malle's Hund lernte auch von den Kätzchen, mit einem Balle zu spielen, ihn mit den Vorderpfoten zu rollen und danach zu springen.


  1. W. C. L. Martin, Natur. Hist. of Mammalia. 1841, p. 405.
  2. Dr. Bateman, on Aphasia; 1870, p. 110.
  3. Angeführt von C. Vogt, Mémoires sur les Microcéphales. 1867, p. 168.
  4. Variiren der Thiere und Pflanzen im Zustande der Domestication. 2. Aufl. Bd. 1. S. 29.
  5. Annales des Sciences natur. 1. Série, Tom. XXII., 397.
Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, I. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 94. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch1.djvu/108&oldid=- (Version vom 31.7.2018)