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Gedächtniss für Personen und Orte haben. Mir hat Sir Andrew Smith mitgetheilt, dass ihn ein Pavian am Cap der guten Hoffnung voller Freude nach einer Abwesenheit von neun Monaten wiedererkannt habe. Ich habe einen Hund gehabt, welcher wild und unwirsch gegen alle Fremden war, und habe absichtlich sein Gedächtniss nach einer Abwesenheit von fünf Jahren und zwei Tagen auf die Probe gestellt. Ich gieng zu dem Stall, wo er war, und rief ihn an in meiner alten Weise; er zeigte keine Freude, aber folgte mir augenblicklich, kam heraus und gehorchte mir so genau, als wenn ich ihn erst vor einer halben Stunde verlassen hätte. Ein Strom alter Ideenverbindungen, welche fünf Jahre lang geschlummert hatten, war hierdurch in seiner Seele augenblicklich angeregt worden. Selbst Ameisen erkannten, wie P. Huber[1] entschieden nachgewiesen hat, ihre Genossen, die demselben Haufen angehörten, nach einer Trennung von vier Monaten wieder. Thiere können sicher durch irgend welche Mittel die Zeitintervalle zwischen wiederkehrenden Ereignissen beurtheilen.

Die Einbildungskraft ist eine der höchsten Prärogativen des Menschen. Durch dieses Vermögen verbindet er unabhängig vom Willen frühere Eindrücke und Ideen und erzeugt damit glänzende und neue Resultate. Jean Paul Friedrich Richter bemerkt:[2] „ein Dichter, welcher erst überlegen muss, ob er einen seiner Charactere Ja oder Nein sagen lassen soll — zum Teufel mit ihm. Er ist nur ein seelenloser Körper“. Das Träumen gibt uns die beste Idee von dieser Fähigkeit, wie ebenfalls Jean Paul sagt: „Der Traum ist eine unwillkürliche Kunst der Dichtung“. Der Werth der Producte unserer Einbildungskraft hängt natürlich von der Zahl, Genauigkeit und Klarheit unserer Eindrücke ab, ferner von dem Urtheil und dem Geschmack bei der Auswahl und dem Zurückweisen der unwillkürlich sich darbietenden Combinationen und in einer gewissen Ausdehnung von unserer Fähigkeit, sie willkürlich zu combiniren. Da Hunde, Katzen, Pferde und wahrscheinlich alle höheren Thiere, selbst Vögel, wie nach gewichtigen Autoritäten[3] angeführt wird, lebhafte Träume haben und sich dies durch ihre Bewegungen und ihre Stimme zeigt, so müssen wir auch zugeben, dass sie eine gewisse Einbildungskraft haben. Es muss etwas Specielles


  1. Les Moeurs des Fourmis. 1810, p. 150.
  2. Citirt in: Maudsley, Physiologe and Pathology of Mind. 1868, p. 19, 220.
  3. Jerdon. Birds of India. Vol. I. 1862, p. XXI. Houzeau erzählt, dass seine Parakitten und Canarienvögel träumten: Facultés Mentales, Tom. II, p. 136.
Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, I. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 96. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch1.djvu/110&oldid=- (Version vom 31.7.2018)