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wir veranlasst, an der Freude Anderer theilzunehmen.[1] Ich kann aber nicht einsehen, wie diese Ansicht jene Thatsache erklärt, dass Sympathie in einem unmessbar stärkeren Grade von einer geliebten Person als von einer indifferenten erregt wird. Der blosse Anblick des Leidens, ganz unabhängig von Liebe, würde ja schon hinreichen, lebhafte Erinnerungen und Associationen in uns zu erwecken. Die Erklärung dürfte in der Thatsache zu finden sein, dass bei allen Thieren Sympathie allein auf die Glieder einer und derselben Gemeinschaft, daher auf bekannte und mehr oder weniger geliebte Mitglieder, aber nicht auf alle Individuen einer und derselben Species sich bezieht. Diese Thatsache ist nicht überraschender, als die, dass die Furcht bei vielen Thieren sich nur auf gewisse Feinde bezieht. Arten, welche nicht gesellig leben, wie Löwen und Tiger, fühlen ohne Zweifel Sympathie mit dem Leiden ihrer Jungen, aber nicht mit dem irgend eines anderen Thieres. Beim Menschen verstärkt wahrscheinlich Selbstsucht, Erfahrung, Nachahmung, wie Mr. Bain gezeigt hat, die Kraft der Sympathie; denn die Hoffnung, in Erwiederung Gutes zu erfahren, treibt uns dazu, Handlungen sympathischer Freundlichkeit Andern zu erweisen; und dann wird das Gefühl der Sympathie sehr durch die Gewohnheit verstärkt. Wie complicirt auch die Weise sein mag, in welcher dieses Gefühl zuerst entstanden ist, da es eines der bedeutungsvollsten für alle diejenigen Thiere ist, welche einander helfen und vertheidigen, so wird es durch natürliche Zuchtwahl vergrössert worden sein; denn jene Gemeinschaften, welche die grösste Zahl der sympathischsten Mitglieder umfassen, werden am besten gedeihen und die grösste Anzahl von Nachkommen erzielen.

In vielen Fällen ist es indessen unmöglich, zu entscheiden, ob gewisse sociale Instincte durch natürliche Zuchtwahl erlangt worden sind, oder ob sie das indirecte Resultat anderer Instincte und Fähigkeiten sind, wie der Sympathie, des Verstandes, der Erfahrung und einer


  1. s. das erste wunderbare Capitel in Adam Smith, Theory of Moral Sentiments, auch Bain's Mental and Moral Science. 1868, p. 244 und 275—282. Mr. Bain führt an, dass „Sympathie indirect eine Quelle des Vergnügens für den sie empfindenden sei“; und erklärt dies als eine Folge der Reciprocität. Er bemerkt, dass „die Person, welche Wohlthaten empfieng, oder andere an ihrer Stelle, durch Sympathie oder gute Dienste für das Opfer sich erkenntlich zeigen können“. Wenn indessen Sympathie, wie es der Fall zu sein scheint, streng genommen ein Instinct ist, so würde ihre Ausübung direct Vergnügen machen, in derselben Weise wie die Ausübung fast jeden anderen Instinctes oben als solches dargestellt wurde.
Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, I. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 137. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch1.djvu/151&oldid=- (Version vom 31.7.2018)