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Nachkommen überliefert und später nicht wieder eliminirt werden würde. Wenn während der aufeinanderfolgenden Jahre in Folge der gleichen Zahl der Geschlechter jedes Männchen überall im Stande wäre, sich ein Weibchen zu verschaffen, so würden die kräftigeren oder anziehenderen Männchen, welche früher erzeugt wurden, mindestens ebensoviel Wahrscheinlichkeit haben, Nachkommen zu hinterlassen, als die weniger kräftigen und weniger anziehenden.

Polygamie. – Die Gewohnheit der Polygamie führt zu denselben Resultaten, welche aus einer factischen Ungleichheit in der Zahl der Geschlechter sich ergeben würden. Denn wenn jedes Männchen sich zwei oder mehrere Weibchen verschafft, so werden viele Männchen nicht im Stande sein, sich zu paaren; und zuverlässig werden diese letzteren die schwächeren oder weniger anziehenden Individuen sein. Viele Säugethiere und einige wenige Vögel sind polygam; bei Thieren indessen, welche zu den niederen Classen gehören, habe ich keine Zeugnisse hierfür gefunden. Die intellectuellen Kräfte solcher Thiere sind vielleicht nicht hinreichend gross, um sie dazu zu führen, einen Harem von Weibchen um sich zu sammeln und zu bewachen. Dass irgend eine Beziehung zwischen Polygamie und der Entwickelung secundärer Sexualcharactere existirt, scheint ziemlich sicher zu sein; und dies unterstützt die Ansicht, dass ein numerisches Uebergewicht der Männchen der Thätigkeit geschlechtlicher Zuchtwahl ganz ausserordentlich günstig sein würde. Nichtsdestoweniger bieten viele Thiere, besonders Vögel, welche ganz streng monogam leben, scharf ausgesprochene secundäre Sexualcharactere dar, während andrerseits einige wenige Thiere, welche polygam leben, nicht in dieser Weise ausgezeichnet sind.

Wir wollen zuerst schnell die Classe der Säugethiere durchlaufen und uns dann zu den Vögeln wenden. Der Gorilla scheint ein Polygamist zu sein, und das Männchen weicht beträchtlich vom Weibchen ab. Dasselbe gilt für einige Paviane, welche in Heerden leben, die zweimal so viele erwachsene Weibchen als Männchen enthalten. In Südamerica bietet der Mycetes caraya gut ausgesprochene geschlechtliche Verschiedenheiten in der Färbung, dem Barte und den Stimmorganen dar; und das Männchen lebt meist mit zwei oder drei Weibchen. Das Männchen des Cebus capucinus weicht etwas von dem Weibchen ab und scheint auch polygam zu sein.[1] In Bezug auf die meisten andern


  1. Ueber den Gorilla s. Savage und Wyman in: Boston Journ. of Natur. Hist. Vol. V. 1845–47, p. 423. Ueber Cynocephalus s. Brehm, Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. 1864, S. 77. Ueber Mycetes s. Rengger, Naturgesch. d. Säugethiere von Paraguay. 1830, S. 14, 20. Ueber Cebus s. Brehm, a. a. O. S. 108.
Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, I. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 284. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch1.djvu/298&oldid=- (Version vom 31.7.2018)