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nur die Männchen lauterzeugende Organe in einem wirksamen Zustande. Dieselben werden während der Brunstzeit unaufhörlich gebraucht, nicht bloss um das Weibchen zu rufen, sondern auch um dieses anzuregen und zu bezaubern im Wettkampfe mit andern Männchen. Niemand, welcher die Wirksamkeit von Zuchtwahl irgend welcher Art zugibt, wird, nachdem er die obige Erörterung gelesen hat, bestreiten, dass diese musikalischen Instrumente durch geschlechtliche Zuchtwahl erlangt worden sind. In vier andern Ordnungen sind die Individuen eines Geschlechts oder häufiger noch beider Geschlechter mit Organen zur Hervorbringung verschiedener Laute versehen, welche dem Anscheine nach bloss als Locktöne gebraucht werden. Wenn beide Geschlechter in dieser Weise ausgerüstet sind, werden diejenigen Individuen, welche im Stande sind, das lauteste oder anhaltendste Geräusch zu machen, vor denjenigen Individuen Genossen erhalten, welche weniger lärmend sind, so dass ihre Organe wahrscheinlich durch geschlechtliche Zuchtwahl erlangt worden sind. Es ist belehrend, über die wunderbare Mannichfaltigkeit der Mittel nachzudenken, durch welche Laute hervorgebracht werden: Einrichtungen, welche entweder die Männchen allein oder beide Geschlechter in nicht weniger als sechs Ordnungen besitzen. Wir lernen daraus, wie wirksam geschlechtliche Zuchtwahl gewesen ist bei der Hervorbringung von Modificationen, welche sich zuweilen, wie bei den Homoptern, auf bedeutungsvolle Theile der Organisation beziehen.

Nach den im letzten Capitel beigebrachten Gründen ist es wahrscheinlich, dass die grossen Hörner der Männchen vieler Lamellicornier und einiger anderer Käfer als Zierathen erlangt worden sind. Wegen der unbedeutenden Grösse der Insecten sind wir geneigt, ihre äussere Erscheinung zu unterschätzen. Wenn wir uns aber ein männliches Chalcosoma (Fig. 16) mit seinem polirten, bronzefarbigen Panzer, seinen ungeheuren, complicirten Hörnern zur Grösse eines Pferdes oder selbst nur eines Hundes vergrössert vorstellen könnten, so würde es eines der imponirendsten Thiere der Welt sein.

Die Färbung der Insecten ist ein complicirter und dunkler Gegenstand. Wenn das Männchen unbedeutend vom Weibchen abweicht und keines der beiden Geschlechter brillant gefärbt ist, so haben wahrscheinlich beide Geschlechter in einer unbedeutend verschiedenen Art und Weise variirt, wobei dann die Abweichungen von jedem Geschlechte auf das gleichnamige vererbt wurden, ohne dass daraus irgend ein


Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, I. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 428. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch1.djvu/442&oldid=- (Version vom 31.7.2018)