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Betrachtet man diesen letzten Fall und nimmt man wie vorhin das Gefieder der Jungen als Ausgangspunkt, so dürfte es scheinen, als wären beide Geschlechter ganz unabhängig schön gemacht worden, und als hätte nicht das eine Geschlecht theilweise seine Schönheit auf das andere übertragen. Das Männchen hat allem Anscheine nach seine glänzenden Farben durch geschlechtliche Zuchtwahl, in derselben Weise wie beispielsweise der Pfauhahn oder der Fasan in unserer ersten Classe von Fällen, und das Weibchen in derselben Weise wie Rhynchaea oder Turnix in unserer zweiten Classe von Fällen erhalten. Aber darin liegt noch eine grosse Schwierigkeit: zu verstehen, wie dies zu ein und derselben Zeit bei beiden Geschlechtern einer und der nämlichen Species bewirkt werden konnte. Mr. Salvin gibt an, wie wir im achten Capitel gesehen haben, dass bei gewissen Colibri's die Männchen den Weibchen bedeutend an Zahl überlegen sind, während bei andern Arten, welche dasselbe Land bewohnen, die Weibchen bedeutend den Männchen überlegen sind. Wenn wir daher annehmen könnten, dass während irgend einer früheren lange dauernden Periode die Männchen der Species von Juan Fernandez die Weibchen bedeutend an Zahl übertroffen hätten, dass aber während einer andern gleichfalls langen Zeit die Weibchen bedeutend den Männchen überlegen gewesen wären, so könnten wir einsehen, wie zu einer Zeit die Männchen und zu einer andern Zeit die Weibchen durch Auswahl der glänzender gefärbten Individuen des andern Geschlechts schön geworden sein könnten, wobei beide Geschlechter ihre Charactere ihren Nachkommen zu einer im Ganzen etwas früheren Periode als gewöhnlich überlieferten. Ob dies die richtige Erklärung ist, will ich nicht zu behaupten wagen; der Fall ist aber zu merkwürdig, um ganz mit Stillschweigen übergangen zu werden.

Wir haben nun in allen sechs Classen gesehen, dass eine sehr nahe Beziehung zwischen dem Gefieder der Jungen und dem der Erwachsenen, und zwar entweder des einen Geschlechts oder beider Geschlechter besteht. Diese Beziehungen werden ziemlich gut durch den Grundsatz erklärt, dass das eine Geschlecht — und dies ist in der grossen Majorität der Fälle das Männchen, — zuerst durch Abänderung und geschlechtliche Zuchtwahl glänzende Farben und andere Ornamente erlangte und dieselben auf verschiedene Weise, in Uebereinstimmung mit den anerkannten Gesetzen der Vererbung, seinen Nachkommen


Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, II. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 205. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch2.djvu/219&oldid=- (Version vom 31.7.2018)