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auf der nämlichen Pflanze entstehen, wurden sie sofort als Varietäten betrachtet; es ist mir nun aber möglich geworden zu zeigen, daß sie die männliche, weibliche und Zwitterform der nämlichen Art bilden. Der Naturforscher schließt in eine Species die verschiedenen Larvenzustände des nämlichen Individuums ein, wie weit dieselben auch unter sich und von dem erwachsenen Thiere verschieden sein mögen, wie er auch den von Steenstrup so genannten Generationswechsel mit einbegreift, den man nur in einem technischen Sinne noch als an einem Individuum verlaufend betrachten kann. Er schließt Misgeburten und Varietäten mit ein, nicht sowohl weil sie der elterlichen Form nahezu gleichen, sondern weil sie von derselben abstammen.

Da die Abstammung bei Classification der Individuen einer Art trotz der oft außerordentlichen Verschiedenheit zwischen Männchen, Weibchen und Larven, allgemein benutzt worden ist, und da dieselbe bei Classification von Varietäten, welche ein gewisses und mitunter ansehnliches Maß von Abänderung erfahren haben, in Betracht gezogen wird: sollte es nicht der Fall gewesen sein, daß man das nämliche Element ganz unbewußt bei Zusammenstellung der Arten in Gattungen und der Gattungen in höhere Gruppen und aller dieser im sogenannten natürlichen System angewendet hat? Ich glaube, daß es allerdings so geschehen ist; und nur so vermag ich die verschiedenen Regeln und Vorschriften zu verstehen, welche von unsern besten Systematikern befolgt worden sind. Wir haben keine geschriebenen Stammbäume, sondern sind genöthigt, die gemeinschaftliche Abstammung nur vermittelst der Ähnlichkeiten jedweder Art zu ermitteln. Daher wählen wir diejenigen Charactere aus, welche, so viel wir beurtheilen können, am wenigsten in Beziehung zu den äußeren Lebensbedingungen, welchen jede Art neuerdings ausgesetzt gewesen ist, modificirt worden sind. Rudimentäre Gebilde sind in dieser Hinsicht eben so gut und zuweilen noch besser, als andere Theile der Organisation. Mag ein Character noch so unwesentlich erscheinen, sei es ein eingebogener Unterkieferwinkel, oder die Faltungsweise eines Insectenflügels, sei es das Haar- oder Federgewand des Körpers: wenn sich derselbe durch viele und verschiedene Species erhält, durch solche zumal, welche sehr ungleiche Lebensweisen haben, so erhält er einen hohen Werth; denn wir können seine Anwesenheit in so vielerlei Formen mit so mannichfaltigen Lebensweisen nur durch seine Ererbung

Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl oder die Erhaltung der begünstigten Rassen im Kampfe um's Dasein. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1876, Seite 504. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinEntstehung1876.djvu/514&oldid=- (Version vom 31.7.2018)