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allen seinen einzelnen Theilen besonders erschaffen worden sei, daß Organe, welche so deutlich das Gepräge der Nutzlosigkeit an sich tragen, wie diese nie zum Durchbruch gelangenden Schneidezähne des Kalbs oder die verschrumpften Flügel unter den verwachsenen Flügeldecken so mancher Käfer, so häufig vorkommen! Man könnte sagen, die Natur habe Sorge getragen, durch rudimentäre Organe, durch embryonale und homologe Gebilde uns ihren Abänderungsplan zu verrathen, welchen zu erkennen wir aber zu blind sind.


Ich habe jetzt die hauptsächlichsten Thatsachen und Betrachtungen wiederholt, welche mich zur festen Überzeugung geführt haben, daß die Arten während einer langen Descendenzreihe modificirt worden sind. Dies ist hauptsächlich durch die natürliche Zuchtwahl zahlreicher, nach einander auftretender, unbedeutender günstiger Abänderungen bewirkt worden, mit Unterstützung in bedeutungsvoller Weise durch die vererbten Wirkungen des Gebrauchs und Nichtgebrauchs von Theilen, und, in einer unbedeutenden Art, d. h. in Bezug auf Adaptivbildungen, gleichviel ob jetzt oder früher, durch die directe Wirkung äußerer Bedingungen und das unserer Unwissenheit als spontan erscheinende Auftreten von Abänderungen. Es scheint so, als hätte ich früher die Häufigkeit und den Werth dieser letzten Abänderungsformen unterschätzt, als solcher, die zu bleibenden Modificationen der Structur unabhängig von natürlicher Zuchtwahl führen. Da aber meine Folgerungen neuerdings vielfach falsch dargestellt worden sind und behauptet worden ist, ich schreibe die Modification der Species ausschließlich der natürlichen Zuchtwahl zu, so sei mir die Bemerkung gestattet, daß ich in der ersten Ausgabe dieses Werkes, wie später, die folgenden Worte an einer hervorragenden Stelle, nämlich am Schlusse der Einleitung aussprach: „Ich bin überzeugt, daß natürliche Zuchtwahl das hauptsächlichste wenn auch nicht einzige Mittel zur Abänderung der Lebensformen gewesen ist.“ Dies hat nichts genützt. Die Kraft beständiger falscher Darstellung ist zäh; die Geschichte der Wissenschaft lehrt aber, daß diese Kraft glücklicherweise nicht lange anhält.

Es kann kaum vermuthet werden, daß eine falsche Theorie die mancherlei großen Gruppen der oben aufgezählten Thatsachen in so zufriedenstellender Weise erklären würde, wie meine Theorie der natürlichen Zuchtwahl es thut. Es ist neuerdings entgegnet worden,

Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl oder die Erhaltung der begünstigten Rassen im Kampfe um's Dasein. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1876, Seite 567. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinEntstehung1876.djvu/577&oldid=- (Version vom 31.7.2018)