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hat, wovon du gesprochen; siegt er aber, so empfängt er, was ich dir ’verkündet‘[1]. 129 Denn das ist der Weg, von dem schon Mose, als er noch lebte, zum Volke gesagt hat: Wähle dir das Leben, daß du Leben habest[2]! 130 Sie glaubten ihm aber nicht, noch den Propheten nach ihm, noch auch mir selber, der ich zu ihnen gesprochen[3]. 131 Deshalb ’wird‘[4] keine Trauer sein über ihren Untergang, sowie Freude herrschen wird über ’das Heil der Gläubigen‘[5].


Bedenken gegen die Verdammnis so vieler, vom Gottesbegriff aus.
Wie verträgt sich die Verdammnis so vieler Menschen mit Gottes Erbarmen?

132 Ich antwortete und sprach: Herr, ich weiß doch, daß der Höchste gegenwärtig der Barmherzige heißt, weil er sich derer erbarmt, die noch nicht in die Welt gekommen sind, 133 der Gütige, weil er gegen die, die nach seinem Gesetze wandeln[6], gütig ist; 134 der Langmütige, weil er den Sündern als seinen Geschöpfen Langmut erweist; 135 der Mildthätige, weil er lieber schenken als fordern will; 136 der Gnadenreiche, weil er gegen Lebende, Vergangene und Zukünftige an Gnaden so reich[7] ist; 137 und wäre er es nicht, so käme die Welt samt ihren Bewohnern niemals zum Leben[8]; 138 der Freundliche, denn wenn er nicht freundlich verstattete, daß die Sünder ihrer Sünden los und ledig würden, so könnte nicht der zehntausendste Teil der Menschen zum Leben[9] gelangen; 139 und der ’Verzeihende‘[10], ’denn‘[11] wenn er nicht den Geschöpfen seines Wortes verziehe und die Fülle ihrer Übertretungen[12] tilgte, so würden vielleicht aus der unzählbaren Menge überbleiben nur ganz wenige!

8 1 Er antwortete mir und sprach: Diese Welt hat der Höchste um vieler willen geschaffen, aber die zukünftige nur für wenige. 2 Ich will dir ein Gleichnis sagen, Esra. Wenn[13] du die Erde fragst, so wird sie dir sagen, daß sie viel mehr Thon hervorbringt, woraus man Geschirr macht, aber ganz wenig Staub, woraus Gold wird. So ist auch diese Welt geordnet: 3 viele sind geschaffen, wenige aber gerettet[14]!

Wie kann Gott sein so mühsam gebildetes Geschöpf dem Verderben preisgeben?

4 Ich antwortete und sprach[15]:

Meine Seele schlürfe Vernunft,
’mein Herz‘[16] schlinge Verstand[17]!
5 Du bist ’ungefragt‘[18] gekommen
und ’mußt‘[19] wider Willen scheiden,

  1. Ar¹ Syr dixi. Esra redet im Vorhergehenden beständig vom Schicksal der Sünder, der Engel dagegen von dem der Gerechten.
  2. Dt. 30,19. — Man beachte, wie das Judentum solche Worte in tieferem Sinne auffaßt. Die antike Betrachtung hätte vom Leben als der Güter höchstem gesprochen; die Apokalyptik versteht unter dem „Leben“ das ewige, unsterbliche, selige Leben im Himmel. Vgl. V. 137f.
  3. Nachgeahmt in Ap. Sedrach 14.
  4. Syr erit.
  5. Lat super eos quibus persuasa est salus, Syr de salute eorum qui credunt, Aeth in eorurn vita qui credunt = ἐπὶ τῶν πεισθέντων σωτερίᾳ (Hilg.).
  6. τοῖς ἀναστροφὴν ποιουμένοις ἐν τῷ νόμῳ αὐτοῦ (Volkmar) oder τοῖς ἐπιστρεφομένοις εἰς τὸν νόμον αὐτοῦ (die sich zu seinem Gesetz bekehren) Hilg.
  7. ἐπειδὴ πλέον αὔξει τοῖς ἐλέους τοῖς παροῦσι κτλ. — πλέον verstärkt das Verbum, v. Wilamowitz.
  8. D. h. zu wahrem (ewigem) Leben; anders Ar².
  9. Vgl. die vorige Anm.
  10. Lat Syr Aeth Ar¹ Arm iudex. Dies Wort ist sicher falsch: vielmehr ist nach Analogie sämtlicher vorhergegangener Sätze ein Nomen zu erwarten, das dem Verbum ignoverit entspricht; iudex = שׁׂפֵט; man lese שׁׂמֵט der „Erlassende“.
  11. Syr Aeth quoniam.
  12. ἀθετήματα (Hilg.).
  13. כַּאֲשֶׁר.
  14. Matth. 22,14. 20,16.
  15. Man bemerke die Verzweiflung des Verfassers, dem das Problem immer unergründlicher wird.
  16. Syr cor meum.
  17. Syr intellegentiam = τὸ φρονοῦν (Hilg.).
  18. Syr sine voluntate tua = ἄκουσα. Lat Aeth haben ἀκοῦσαι gelesen (vgl. Hilg.).
  19. Syr (Aeth) abis.
Empfohlene Zitierweise:
Hermann Gunkel (Übersetzer): Das vierte Buch Esra. Mohr Siebeck, Tübingen 1900, Seite 378. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DasVierteBuchEsraGermanGunkelKautzsch2.djvu/48&oldid=- (Version vom 30.6.2018)