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Walther Kabel: Das Zigarettenetui (Das Buch für Alle, Illustrierte Familienzeitung, Heft 17)

den Wiederbringer des Zigarettenetuis noch erhöht und außerdem versprochen hat, gegen den so Vielgeschmähten, der sich das Wertstück anzueignen wußte, nicht weiter vorzugehen. Wie eine Erlösung waren diese Zeilen für mich. Inzwischen hatte ich nun auch erfahren, daß Sie, Herr Benkens, zu der Dame in näheren Beziehungen stehen. Weil mir nun die Mittel fehlten, nach Dresden zu fahren und Fräulein Matero persönlich ihr Eigentum zurückzustellen, habe ich mich zu Ihnen gewagt, in der Hoffnung, Sie werden Mitleid mit mir haben und mich nicht den Behörden ausliefern. Hier ist das Etui. Ich danke Gott, daß ich’s auf diese Weise wieder loswerde.“

Damit reichte er dem Fabrikbesitzer einen vielfach in Seidenpapier gewickelten Gegenstand hin.

Ungeduldig riß Benkens die Hülle auseinander. Kein Zweifel – es war das gesuchte Etui, aus dem Lola Matero dem glücklichsten ihrer Verehrer früher so manche Zigarette angeboten hatte.

In seiner Freude besann sich Heinz Benkens auch nicht einen Augenblick, dem reuigen Sünder die ausgesetzte Summe von zweitausendfünfhundert Mark auszuzahlen. Nur ein Gedanke beherrschte ihn: Welch eine Überraschung für Lola, wenn ich ihr das Etui übergeben werde, an dem ihr kleines, eitles Frauenherzchen so sehr hängt!

Um diese Überraschung möglichst bald zu genießen, beschloß er, sofort mit dem nächsten Zuge die kaum dreistündige Bahnfahrt nach der sächsischen Residenz anzutreten. Den sich in Danksagungen erschöpfenden Musiker aber entließ er mit den ehrlichst gemeinten, besten Wünschen für dessen Zukunft. –

Am Nachmittag desselben Tages klingelte Benkens an der Tür des vornehmen Fremdenpensionats, in dem Lola Matero mit ihrer Mutter für die Dauer ihres Dresdener Aufenthaltes drei elegant möblierte Zimmer bewohnte. Und wenige Minuten später hielt der überselige Heinz sein Bräutchen in den Armen.

Nachdem die erste Wiedersehensfreude sich etwas gelegt hatte, begann Benkens in gemacht ernstem Tone: „Und nun, Schatz, setz’ dich, bitte, mal dort in den Sessel. – Bitte, gehorsam sein! So … – Es soll vorkommen, daß zartbesaitete Damen vor freudiger Überraschung umsinken, und das möchte ich verhüten. Ich habe nämlich eine Überraschung für dich, eine große, große Überraschung sogar.“

„Wie, du auch, Heinz? – Denk’ dir, heute morgen habe ich dir einen Brief geschickt und um dein schleuniges Kommen gebeten. Ich wollte dich nämlich auch mit etwas überraschen. Und nun hat dich genau derselbe Grund hergeführt! Ist das nicht komisch?“

„Allerdings! Aber, süße Lola, glaube mir, das, was ich dir zu eröffnen habe, dürfte doch das Wertvollere sein. Sieh doch, bitte, einmal nach, was dieses Päckchen enthält!“

„Einen Moment!“ – Lola Mateo eilte ins Nebenzimmer, um dann mit einem ziemlich gleich großen, in Papier eingewickelten Gegenstand zurückzukommen. „So, Heinz,“ meinte sie lachend, „nun zähle ich bis drei. Auf ‚drei‘ enthüllen wir gemeinsam unsere Überraschungen. Eins – zwei – drei!“

Mit verblüffteren Gesichtern hat sich wohl selten ein Liebespaar angesehen. Beide hielten zwei sich völlig gleichende Zigarettenetuis in den Händen, die beide auf dem Deckel den Namenszug der Varietédiva in Brillanten trugen.

Der erste, der sich so weit faßte, um überhaupt etwas sagen zu können, war Heinz Benkens. Mit dumpfer Stimme und einem trübseligen Blick meinte er kleinlaut: „Ich fürchte, Schatz, ich bin einem Schwindler in die Hände gefallen.“

„Oder ich.“

„Wer hat dir denn das Ding gebracht?“

Lola hatte das Etui von demselben Menschen unter fast denselben Worten am Abend vorher erhalten.

„Jetzt ist mir alles klar,“ meinte der aus allen Himmeln gestürzte Bräutigam ingrimmig. „Der Halunke hat sich irgendwo zwei dem Original täuschend ähnliche Zigarettenetuis, die natürlich fast wertlos sind, anfertigen lassen und dann auf eine günstige Gelegenheit zur Ausführung seines Streiches gewartet. Diese Gelegenheit glaubte er gekommen, als er gestern unsere neue Annonce las. Nun, noch ist der Bursche mit seinem Raube nicht in Sicherheit! Wir haben ja jetzt sein genaues Signalement, und mit dessen Hilfe gelingt es hoffentlich, diesen ebenso erfindungsreichen wie frechen Glücksritter irgendwo aufzustöbern. Ich werde jedenfalls sofort nach dem Polizeipräsidium fahren und Meldung erstatten. Am besten ist, du kommst mit. Wir könnten ja noch schnell bei einem Juwelier vorsprechen und die beiden Etuis untersuchen lassen. Vielleicht ist eines davon doch das echte, wenn ich’s allerdings auch kaum zu glauben wage.“ –

Als das Brautpaar nach einer Stunde recht niedergeschlagen zurückkam – die Untersuchung der Etuis hatte nämlich ergeben, daß es sich bei beiden um äußerst genaue Nachbilduugen handelte, die aus einem goldähnlichen Metall und Similisteinen hergestellt waren – fand Lola Matero eine an sie adressierte lange Depesche aus der süddeutschen Residenzstadt vor, die zum abermaligen Schrecken der schon so hart Geprellten folgenden Inhalt hatte:

„Soeben Ihr Zigarettenetui, das mir von Ihrem letztem Aufenthalt in unserem Hotel wohlbekannt war, von einem armen, reuigen Musiker gegen die ausgesetzte Belohnung zurückerhalten. Glaubte in Ihrem Sinne zu handeln, daß ich den Mann, der mir erzählte, er hätte zunächst Herrn Benkens, der verreist gewesen wäre, aufgesucht und besäße selbst nicht das Geld zur Fahrt nach Dresden, nicht weiter belästigte. War mir außerdem ein Vergnügen, für hochverehrte Künstlerin die Summe auslegen zu dürfen. Schicke Etui durch sichere Person noch heute Ihnen zu. Mit vorzüglichster Hochachtung Ihr ergebenster Mittler, Hoteldirektor, Hotel Bristol.“

„Das dritte!“ stöhnte Heinz Benkens.

„Hoffentlich das letzte, sonst werde ich durch diesen unglaublichen Schwindel noch arm!“ fügte Lolo Matero in komischer Verzweiflung hinzu.

***

Ernesto Carlitta blieb spurlos verschwunden. Anscheinend hatte er das Feld seiner Tätigkeit nach einem anderen Erdteil verlegt.

Lola Mateo aber erhielt von ihrem Gatten am Morgen nach ihrer Hochzeit ein Zigarettenetui als Morgengabe, welches die vierte Nachbildung jenes Andenkens an den persischen Schah darstellte – allerdings mit dem Unterschied, daß diese noch bedeutend wertvoller als das Original war.


Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Das Zigarettenetui (Das Buch für Alle, Illustrierte Familienzeitung, Heft 17). Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 1911, Seite 385. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Zigarettenetui.pdf/4&oldid=- (Version vom 31.7.2018)