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Walther Kabel: Der überlistete Einbrecher. In: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1911, Bd. 7, S. 234–237

um eine große Summe gebracht hatte, leugnete der schlaue Verbrecher jede Täterschaft ab, und dabei war gerade dieser zweite Fall den Herren von der Polizei deswegen so interessant, weil dabei ein Geldschrank in einer Weise geöffnet worden war, die keinerlei Zeichen einer äußeren Gewaltanwendung zurückließ. Die bestohlene Genossenschaft hatte außerdem eine große Belohnung auf Ergreifung des Täters ausgesetzt, um dann gegen den Fabrikanten des betreffenden Geldschrankes, der diesen als absolut diebessicher verkauft hatte, vorgehen zu können. Doch, wie gesagt, Divinaux blieb dabei, er habe nur den einen Diebstahl auf dem Gewissen, und so mußte man sich vorläufig damit zufrieden geben.

Der bereits mehrfach vorbestrafte Einbrecher wurde zu mehrjähriger Zuchthausstrafe verurteilt und verbüßte seine Strafzeit in der bei Paris gelegenen Anstalt Etampes.

Nach etwa einem Jahre wurde Divinaux eines Vormittags in das Zimmer des Zuchthausdirektors gerufen, wo ihm dieser einen Herrn zeigte, der ein besonderes Anliegen an ihn hatte.

„Ich bin der Gutsbesitzer Melville,“ begann der Fremde. „Meine Besitzung liegt dort drüben jenseits der Seine. Ich führe zurzeit mit einem Nachbarn einen Prozeß um ein Wiesengrundstück und habe in dieser Sache heute nachmittag in Paris auf dem Gericht einen Termin, in dem ich wichtige Dokumente vorlegen soll, die mein Anrecht auf das wertvolle Wiesenland beweisen. Als ich nun vor einer halben Stunde diese Dokumente aus meinem Geldschrank herausnehmen will, kann ich mein Schlüsselbund nicht finden. Es ist spurlos verschwunden. Da höchste Eile not tut – ich verliere den Prozeß, falls ich die Papiere heute nicht dem Gericht überreiche –, bitte ich Sie, den Versuch zu machen, meinen Geldschrank auf irgend eine Art zu öffnen. Der Herr Direktor hier, ein alter Bekannter von mir, hat mir nämlich unlängst erzählt, daß seine Anstalt einen Spezialisten auf dem Gebiete des Einbrechertums beherbergt. In meiner argen Verlegenheit fiel mir dies ein. So bin ich auf Ihre Person gekommen. Vielleicht gelingt es Ihnen, mir zu helfen. Es soll Ihr Schade nicht sein.“

Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Der überlistete Einbrecher. In: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1911, Bd. 7, S. 234–237. Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart, Berlin, Leipzig 1911, Seite 235. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_%C3%BCberlistete_Einbrecher.pdf/3&oldid=- (Version vom 31.7.2018)