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Thietmar von Merseburg: Die Chronik des Thietmar von Merseburg

35. Weil ich aber alles, was die Gesammtheit dieses Werkes mit umfassen muß, doch nicht der Reihe nach aufführen kann, so schäme ich mich nicht, im nachfolgenden manches allmählich nachzuholen. Ich bediene mich, wie ein Wanderer, der die gerade Straße bald wegen zu großer Mühseligkeit, bald aus Unkunde des Wegs mit den sich windenden Krümmungen der Beiwege vertauscht, mannigfacher Abwechselung. So will ich denn jetzt den Rest der Thaten des ruhmgekrönten Polenherzogs Miseco erzählen, dessen Leben ich in den vorigen Büchern bereits zum großen Theile geschildert habe. Er hatte eine edle Böhmin, eine Schwester Herzog Bolizlavs, heimgeführt, welche ihren Namen durch die That 965 bewährte. Denn sie hieß auf slavisch Dobrawa, d. h. auf deutsch die Gute. Denn sie, eine Christin, sann, da sie sah, daß ihr Gemahl noch im vielgestaltigen Irrwahne des Heidenthums befangen war, darauf, wie sie ihn zu ihrem Genossen im Glauben machen könnte, und suchte unablässig auf alle Weise seinen wilden Sinn zu zähmen, nicht wegen des dreiartigen[1] Trachtens dieser bösen Welt, sondern vielmehr wegen des herrlichen und von allen Gläubigen sehr ersehnten Lohnes im Jenseits. Diese that zeitweilig Uebles, um nachher lange Gutes wirken zu können. Denn in den Fasten, welche unmittelbar auf ihre Vermählung folgten, ward sie, da sie bemüht war, durch Enthaltsamkeit des Fleisches und durch Kasteiung ihres Körpers Gott einen wohlgefälligen Zehnten darzubringen, mit süßen Versprechungen von ihrem Gemahl angegangen, ihren Vorsatz aufzugeben. Sie nun willigte deshalb ein, um ein ander Mal von ihm um so leichter erhört zu werden. Nach Einigen nun aß sie nur an einem, nach Anderen aber an dreien Tagen in den Fasten Fleisch. Jetzt hast du also, mein Leser, ihre Vergehen gehört; nun vernimm, welche schöne Frucht ihre Frömmigkeit trug. Sie arbeitete an der Bekehrung ihres Gemahls, und ward darin erhört von der Allgüte ihres Schöpfers,

  1. Eine Anspielung auf St. Johannis, Epist. I. 2, 16: „Denn alles was in der Welt ist (nämlich des Fleisches Lust und der Augen Lust und hoffärtiges Leben) ist nicht vom Vater, sondern von der Welt.“
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Thietmar von Merseburg: Die Chronik des Thietmar von Merseburg. Verlag von Franz Duncker, Leipzig 1879, Seite 125. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Chronik_des_Thietmar_von_Merseburg.pdf/151&oldid=- (Version vom 25.9.2023)