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Thietmar von Merseburg: Die Chronik des Thietmar von Merseburg


erzogen und jenes Altars Diener war, nach dem, was seine Vorgesetzten ihm erzählt hatten, mitgetheilt hat. Zu Zeiten des obenerwähnten Abts Liudulf[1], dessen Name in allem Guten vorzugsweise zu nennen ist, war ein junger Mann dessen geistlicher Mitbruder und regulirter Mönch. Da dieser in der gewöhnlichen Weise, wie es sein Dienst erforderte, die Reliquien des heiligen Crispinus und Crispinianus irgend wohin führte und nicht sorgfältig damit umging, so gewahrte er an der unmittelbar darauf folgenden Strafe[2], daß er sich an den heiligen Märtyrern versündigt habe. Denn den Tod im Fleische erleidet wer im Geiste den Heiligen Gottes zu dienen versäumt. Und um das dem Abte anzuzeigen, traten sie ihm in der Nacht, als er aus der Kirche kam, an der Thüre entgegen. Als Liudulf sie erblickte, blieb er von großem Schrecken ergriffen stehen und sagte kein Wort. Alsbald fragten sie ihn: „Warum, ehrwürdiger Vater, fragst du nicht, wer wir sind und weshalb wir gekommen sind?“ Als er nun antwortete, er wage es nicht, so vernahm er sofort von ihnen ihre Namen und den Grund, warum sie da seien, und daß jenes Vergehen nicht unbestraft bleiben werde. Als sie dann wieder fort waren, erzählte der Abt das Vorgefallene seinen Mitbrüdern, indem er sagte: „Jener Jüngling, der unserm Orden angehörte, ist gestorben, weil er die Verehrung der Heiligen, deren Gebeine er zu bewahren hatte, vernachlässigt hat. Weh mir, daß ich ihm je dergleichen anvertraut habe!“ Und bald nachher kam ein Bote, welcher die Bestätigung dessen brachte, was der Abt gesagt hatte, und die Anzeige hinzufügte, der Leichnam des Jünglings käme heran. Der hochwürdige Vater aber wollte demselben weder selbst entgegen gehen, noch gestatten, daß die Brüder ihn in gewohnter Weise empfangen sollten, sondern redete zornerfüllt den Todten also an: „Warum hast du Frecher es gewagt, diejenigen, die mit dem eingeborenen Sohne Gottes in hoher Ehre gehalten werden, nachlässig einher zu führen, und wie erkühnst du dich, nach einer

  1. Vgl. II, 12.
  2. Er starb nämlich.
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Thietmar von Merseburg: Die Chronik des Thietmar von Merseburg. Verlag von Franz Duncker, Leipzig 1879, Seite 136. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Chronik_des_Thietmar_von_Merseburg.pdf/162&oldid=- (Version vom 24.9.2023)