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Thietmar von Merseburg: Die Chronik des Thietmar von Merseburg

1005 dem Herrn wohlgefällige Frucht der Tugend besteht in einem guten Herzen: aber dies gute Herz ist bisweilen bei manchen wahrhaft Frommen unter schönem Kleide verborgen und trotz mäßigen Lebensgenusses vorhanden. Was nun aber denen, welche nach Anordnung ihrer Oberen ungewöhnliche Enthaltsamkeit üben und in grober Kutte einhergehen müssen, entzogen wird, wem kommt das zu Gute? Wird es zum Vortheile der betreffenden Kirchen verwandt, so nützt es doppelt, sowohl den Seelen der Brüder, weil sie jene Entbehrungen um Gottes willen leiden, als auch dem Besitzthum und Vermögen der Kirche, welches durch ihre guten Werke gewinnt. Wenn aber alles der Außenwelt zufließt, mit welcher Sicherheit gedeiht dann dasjenige, wegen dessen Zunahme viele über Verkümmerung und Entziehung seufzen müssen? Gewiß wird so etwas nicht fest begründet und in die Höhe gebracht, sondern es wird einmal auf eine traurige Weise verfallen und herunterkommen. Verschweigt man auch die Wahrheit, welche Christus selbst ist, und öffnen auch alle Verkündiger seines Wortes nicht ihre Lippen, so ist doch dadurch eine solche Einrichtung noch nicht in jeder Beziehung gerechtfertigt. Die Posaune des Evangeliums tönt: Es ist nichts verborgen, was nicht offenbar werde [Matth. 10, 26]. Nachdem wir unserm Willen in jeglichem Genüge gethan haben, so haben wir gar oft durch Verhehlung der Missethat unsägliches Leid zu erdulden gehabt. Wir Sterblichen sind allesammt hinfälliger Natur und wissen gar wohl, das alle Gewichte vermöge ihrer Schwere sich der Erde zuneigen. Lasset uns besseren Entschlüssen uns zuwenden, guten Rath nicht verachten, und die allen Gläubigen verheißenen Belohnungen durch Befolgung der göttlichen Gebote erwerben. Lasset uns uns nicht besser dünken, als unsre Vorgänger, denn wir greifen ohne Unterschied bei mannigfachem Scheine des Rechts häufig fehl und sind ihnen nur allzu unähnlich. Niemand zürne, wenn er um Gottes willen vertraulich von jemand eines Fehlers geziehen wird. Solche Beweise der Liebe nehme ein Jeder gütig auf und ertrage auch die reine Wahrheit um himmlischer Vergeltung willen. Auf ihren Knieen flehe die

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Thietmar von Merseburg: Die Chronik des Thietmar von Merseburg. Verlag von Franz Duncker, Leipzig 1879, Seite 198. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Chronik_des_Thietmar_von_Merseburg.pdf/224&oldid=- (Version vom 30.9.2023)