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Thietmar von Merseburg: Die Chronik des Thietmar von Merseburg


selbst wegen in großer Angst, den Decan [Meinrich] um Urlaub und ermahnte denselben zugleich, sich vorzusehen. Ich kam auf mein Gut Retmerslevo [Rotmersleben] und bat Gott flehentlich, er möchte doch etwas gewisses über mein Schicksal zu eröffnen die Gnade haben. Beim ersten Anbruch des folgenden Tages d. h. am Tage vor St. Martini [Nov. 10], als ich ein wenig der Ruhe pflegte, erschien mir, so glaubte ich, Walterd, unser damaliger Propst, und sagte zu mir: „Willst du wissen, was dir frommt?“ Und als er dann meine Zustimmung erfahren hatte, blickte er aufmerksam in einen Band eines Martyrologiums[1], und ließ schweigend ein Senkblei, womit eine Mauer gemessen und gerichtet wird, auf dasselbe hinabhängen und es erst nach einer geraumen Weile ruhen. Ich fragte ihn darauf: „Was bedeutet das?“ Er antwortete: „Fünf,“ und ich sah deutlich diese Zahl mit schwarzer Dinte bezeichnet, wobei ich nur ungewiß war, ob sie Tage, Wochen, Monate oder Jahre bedeute. Und ich entgegnete wieder mit der Frage, ob das den vorher schon verkündigten, oder einen späteren Zeitpunkt bedeute? Er aber ging schweigend hinaus. Ich nun merkte mir die geschenkte Frist zwar auf das sorgfältigste, kam aber dennoch in meiner Sündhaftigkeit durch gute Werke meinem Ende durchaus nicht zuvor. Als nun der fünfte Monat darnach herannahte und ich mehr den Tod, als etwas anderes erwartete, gingen dadurch, daß ich Bischof wurde, meine beiden Träume in Erfüllung, indem ich damit sowohl Gottes Willen, als auch die bezeichnete Zahl erfüllte[2]. Da es mir nun unpassend schien, diese Kirche zu Walbeck, der ich bisher vorgestanden hatte, ohne einen besonderen Vorsteher zu lassen, so setzte ich Willigis, meinen Bruder von Seiten meines Vaters, einen Diener dieses Altars, nach gemeinsamen Rathe der Mitglieder des Klosters demselben

  1. Ein Kalender, in welchem die Märtyrer und anderen Heiligen zu ihren Gedächtnißtagen verzeichnet sind, und häufig auf der Gegenseite auch die Todestage derer, für welche die betreffende Kirche zu Fürbitten verpflichtet ist; in diesem Falle also das Buch, in welches auch Thietmars Name zum Datum seines Todes eingetragen war.
  2. Vom 10. November 1008, wo er den Traum hatte, bis zu der zweiten Hälfte des Aprils 1009, wo er gesalbt ward, sind fünf Monate.
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Thietmar von Merseburg: Die Chronik des Thietmar von Merseburg. Verlag von Franz Duncker, Leipzig 1879, Seite 222. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Chronik_des_Thietmar_von_Merseburg.pdf/248&oldid=- (Version vom 30.9.2023)