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Thietmar von Merseburg: Die Chronik des Thietmar von Merseburg

von übelgeleiteter Jugendlust und durch die Ränke hinterlistiger 1014 Frauen, mit wenigen Begleitern an einem Sonntage nach einer Burg, Namens Bichlingi[1] und entführte die Herrin derselben, Reinhilde, um die er früher geworben hatte, wider ihren Willen, indem er die Wachen bestach. Sie hatte nämlich vorher dem Kaiser fest gelobt, daß sie ohne sein Wissen und Wollen niemals einem Manne ihre Hand reichen werde; darum ließ sie sich jetzt nur mit Schreien und Weinen hinwegführen. Da das aber ihre Hörigen und Krieger vernahmen, so eilten sie bewaffnet herbei, und einer von ihnen, Namens Vullerd, wurde schwer verwundet. Da indeß eine von den Mägden Reinhildens auch mit genommen zu werden bat, und auf Befehl seines Führers, des Markgrafen, ein Edler, Alwin, diese aufnehmen wollte, so wurde er von allen Seiten umzingelt und rief meinen Vetter, der schon heraus war, zur Hülfe zurück. Bevor ihm aber dieselbe werden konnte, bekam er leider den Todesstoß. Sein Herr ward, als er herein kam, innerhalb der Burg eingeschlossen, und von einem der Knechte verwundet, den er sofort mit seiner Lanze durchbohrte und an die Wand spießte, wodurch er die Uebrigen abschreckte, daß sie nicht an ihn hinanzukommen wagten. Als er dann gewahr ward, daß die Seinen mit der Dame schon lange voraus waren, er selbst aber keinen Ort zu entkommen habe, ließ er plötzlich sein Pferd zurück und sprang von der Mauer hinab, gelangte auch, wiewohl von Steinwürfen gar hart mitgenommen, dennoch bis zu seinen trauernden Gefährten. Diese schafften ihn bis nach Wi[2] in das Haus eines kaiserlichen Verwalters und ließen ihn daselbst mit Wenigen zurück. Die Dame aber führten sie in großer Eile hinweg, indem sie sich mit ihr bald hier, bald da versteckten, immer in ängstlicher Erwartung ihres Gebieters. Der boshafte Verwalter aber verrieth dem Kaiser seinen kranken Gast, und zwar zu dessen großer Freude. Denn er hoffte, derselbe solle entweder zum abschreckenden Beispiel für Andre, da er nun in seine Hand gefallen

  1. Bichlingi (Bichelingen, Beichlingen) liegt westlich von der Unstrut und von der Stadt Memleben.
  2. Wiehe, westlich von Memleben.
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Thietmar von Merseburg: Die Chronik des Thietmar von Merseburg. Verlag von Franz Duncker, Leipzig 1879, Seite 271. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Chronik_des_Thietmar_von_Merseburg.pdf/297&oldid=- (Version vom 5.10.2023)