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Thietmar von Merseburg: Die Chronik des Thietmar von Merseburg

1015 Selig ist der, der ein gutes Werk durch ununterbrochene Beschleunigung zu Ende führt, und nicht durch langwieriges Verzögern Unterbrechungen verursacht. Der aber wird auf der andern Seite der Zahl der Elenden beigesellt werden, der entweder die Werke ganz mißachtet oder sie mit Absicht verschiebt, damit sie gar nicht vollendet werden. In beiden Beziehungen habe ich mich oft mit Schuld beladen. Dafür zum Belege will ich nur zwei Vorfälle anführen, derentwegen ich mich schwer anklage.


24. Nachdem die Verordnung auf der Synode zu Throtmanni [Dortmund] gegeben war,[1] ward Richari, ein Priester der Magadaburger Kirche und mein geistlicher Bruder, krank, und ich konnte ihn nicht besuchen, da ich nicht da war. Als ich aber den Tag vor seinem Ende dahin kam, ging ich doch nicht zu ihm, sondern verschob dieses auf den nächsten Tag, und so starb er, ohne diese Liebesbezeugung von mir erhalten zu haben. Seine Leiche wurde von unseren Mitbrüdern nach der Kirche hingetragen und, weil ich das Nachtwachen nicht ertragen konnte, von meinem Vicar bewacht. Darum aber erschien mir Richari nicht lange nach seiner Beerdigung im Traume, und sprach: „Warum hast du mich nicht besucht? warum das Psalterinm nicht gesungen? warum die zu Dortmund gestiftete Seelenfeier nicht begangen?“ Als er darauf meine Entschuldigung vernommen hatte, sagte er: „Du hast unrechtermaßen dies unterlassen.“ Darnach fragte ich ihn, wie es ihm ginge, worauf er antwortete: „Wie ich an Einem Sonnabende entschlafen bin, so bin ich auch an einem andern Sonnabende zu den Freuden süßer Ruhe hinübergegangen.“ Und als ich mich bei ihm erkundigte, wie meines Vaters und meiner Mutter Angelegenheiten stünden, erwiederte er: „Gut“, und setzte hinzu: „Deine Mutter läßt dir durch mich anzeigen, daß du an einem Montage oder Donnerstage wieder mit ihr vereinigt werdest.“ Darüber aufseufzend erwachte ich, da ich gewiß wußte, daß eine allgemeine Belehrung der Gerechten in Bezug auf die Zukunft etwas unverwerfliches

  1. Im Jahre 1005; s. oben VI, 13.
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Thietmar von Merseburg: Die Chronik des Thietmar von Merseburg. Verlag von Franz Duncker, Leipzig 1879, Seite 294. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Chronik_des_Thietmar_von_Merseburg.pdf/320&oldid=- (Version vom 6.10.2023)