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Thietmar von Merseburg: Die Chronik des Thietmar von Merseburg

1016 ganze anberaumte Zeit verstrichen war, da rief die gierig verschlingende Charybdis jener diebischen Elstern den Diener Gottes auf und forderte drohend von ihm, den ihnen versprochenen Tribut zu zahlen. Jener aber sprach, sanft wie ein Lamm: „Ich bin zu allem bereit, was ihr jetzt an mir zu thun beabsichtigt, und Christi Liebe hat mich in den Stand gesetzt, daß ich ohne Beben und Wanken nunmehr bereit bin zur Erwerbung des Verdienstes, seinen Dienern ein Beispiel zu geben. Daß ich euch als Lügner erscheine, daran ist nicht mein Wille, sondern die harte Nothwendigkeit Schuld. Diesen meinen Leib, den ich in diesem irdischen Elende über die Maßen geliebt habe, den opfere ich euch, schuldvoll wie er ist, und ich erkenne, daß es in eurer Macht steht, damit zu thun, was euch beliebt; meine sündige Seele aber empfehle ich demüthig flehend dem Schöpfer unser aller, an ihr habt ihr keinen Theil.“ Während er so sprach, umringte ihn die Schaar der Heiden und brachte verschiedenerlei Waffen zusammen, ihn zu tödten. Als das ihr Führer Thurkil von ferne sah, lief er schnell herbei und sprach: „Thuet nicht also, ich bitte euch! Ich gebe euch Allen willigen Herzens Gold und Silber und alles, was ich hier habe, blos mein Schiff ausgenommen, wenn ihr euch nur nicht an einem Gesalbten des Herrn versündigen wollet!“ Durch solche milde Zurede ward aber die wilde Wuth der Genossen des Thurkil, die gefühlloser sind, denn Stein und Eisen, nicht erweicht, sondern erst das Vergießen des unschuldigen Blutes befriedigte sie, welches sie in vereinter Masse durch Ochsenköpfe, durch einen Steinregen und durch gegen ihn geworfene Stangen sofort verströmten. Unter allen diesen Anfällen der rasenden Menge ward der heilige Blutzeuge Christi der Freuden des Himmels theilhaftig, wie die Wirkung des erfolgenden Wunderzeichens alsbald bezeugte. Denn einer von den Hauptleuten ward sofort an seinen Gliedern gelähmt, und erkannte so an sich selbst, daß er sich an einem Auserwählten des Herrn vergangen hatte, wie geschrieben steht: „Die Rache ist mein, ich will vergelten, spricht der Herr.“ [Röm. 12, 19.] Bei diesem Triumphe des Streiters Christi sind seine elenden Verfolger völlig

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Thietmar von Merseburg: Die Chronik des Thietmar von Merseburg. Verlag von Franz Duncker, Leipzig 1879, Seite 302. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Chronik_des_Thietmar_von_Merseburg.pdf/328&oldid=- (Version vom 6.10.2023)