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Thietmar von Merseburg: Die Chronik des Thietmar von Merseburg

In allem eben Geschilderten offenbart sich uns der Zorn des 1018 Himmels, aber die menschliche Schwachheit richtet darauf kein wachsames Auge.


15. Dies Jahr kann in Wahrheit mit einer neuen Bezeichnung das Jahr der Erschütterung der Erde oder der großen Zerknirschung heißen. Denn unsägliche Bedrängnisse, welche über die unbeständige Welt hereinbrachen, haben die Bewohner derselben von allen Seiten in Angst versetzt. Von diesen Bedrängnissen habe ich einen Theil berührt, was ich aber bisher übergangen habe, will ich, unter tiefem Seufzen, jetzt entwickeln. Beinahe sämmtliche Mannen des Bischofs Balderich, sowie des von Kammerich fielen auf besagter Insel, und in den drei nächstgelegenen Landschaften war kein Haus, in dem nicht wenigstens ein Bewohner fehlte. Seit König Karls Zeiten ereignete sich dergleichen in diesen Landen, wie die Geschichte alter Zeiten versichert, an keinem Tage, in keinem Jahre. Wie sind wohl jemals solche Männer gefallen, ohne daß auch die Feinde Verlust hatten? Doch darüber wundert sich keiner, der es recht bedenkt, daß derjenige durchaus nicht kämpfen kann, den ob seiner Schuld die schwere Rache Gottes darnieder werfen will. Dieses unverwindbare Unheil wird späterhin bald genug vergessen, weil mit Hülfe Herzog Godefrid’s Bischof Aethelbold mit seinem Feinde, dem Grafen Thiedrich, versöhnt ist; und zwar geschah das nicht, weil Thiedrich es aus eigenem Antriebe wünschte, sondern weil ihn die höchste Noth dazu trieb. Denn es gab für jene Lande keinen mächtigen Beschützer mehr, wenn wiederum ein grimmiger Feind sich erheben sollte. Wenn aber jener Verlust mit Gottes Bewilligung zugefügt ist, wer kann ihn rächen? wenn aber Gott ihn nicht rächt, wer wird ein heftigerer Rächer sein wollen als der Herr? Jetzt aber wollen wir, wie es der heilige Abt Columbanus beim Tode des großen Kaisers Karl that[1], unsere Thränen hemmen und fördernde Gebete unserem Herzen entströmen lassen.


  1. Dies ist ein merkwürdiges Mißverständniß, denn Columban lebte zweihundert Jahre vor Karl. Aber in einer Todtenklage um Karls Tod wird mit diesen Worten Columban angeredet, nämlich als Gründer und Schutzheiliger von Bobbio.
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Thietmar von Merseburg: Die Chronik des Thietmar von Merseburg. Verlag von Franz Duncker, Leipzig 1879, Seite 357. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Chronik_des_Thietmar_von_Merseburg.pdf/383&oldid=- (Version vom 23.11.2023)