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Walther Kabel: Die Flucht aus der Fremdenlegion. In: Das Buch für Alle, 49. Jahrgang, Heft 15, S. 338 u. 340

Die Flucht aus der Fremdenlegion.
Von W. Kabel.
(Nachdruck verboten.)

Im Februar des Jahres 1872 schickte die Londoner Juwelierfirma Thomas Shelling den ältesten Sohn des Geschäftsinhabers als Juweleneinkäufer nach Amsterdam. Der junge Artur Shelling hatte einen Kreditbrief über fünfzigtausend Pfund Sterling, auf ein Amsterdamer Bankhaus lautend, bei sich.

Bereits auf der Überfahrt von Dover nach Calais schlossen sich ihm zwei Herren an, angeblich Franzosen vornehmer Herkunft, mit denen er schnell bekannt wurde, und die ihn dann zu überreden wußten, mit ihnen noch vor der Erledigung seiner Einkäufe einen Abstecher nach Paris zu machen. Hier verschleppten die beiden Franzosen den jungen Mann in ein verrufenes Haus, brachten ihm im Wein ein starkes Betäubungsmittel bei, fuhren ihn als scheinbar schwer Trunkenen nach seinem Hotel und ließen ihn dort zurück, nachdem sie ihm seine sämtlichen Papiere abgenommen hatten.

Als der Engländer in seinem Zimmer nach zwölf Stunden immer noch kein Lebenszeichen von sich gab, wurde das Hotelpersonal argwöhnisch, erbrach die verschlossene Tür und fand den Gast bewußtlos in seinen Kleidern auf dem Bett liegen. Mit Hilfe eines Arztes wurde Shelling nach längeren Bemühungen ins Leben zurückgerufen, entdeckte nun sehr bald den an ihm verübten Diebstahl und benachrichtigte die Polizei, die aber nur feststellen konnte, daß einer der Gauner von der betreffenden Amsterdamer Bank fünfundvierzigtausend Pfund bereits abgehoben hatte, die ihm, da er sich genügend legitimieren konnte, anstandslos ausgezahlt worden waren.

Nach Verlauf einer Woche mußte der verzweifelte junge Mann einsehen, daß das Geld, mehr als eine Million, endgültig verloren war. Nach Hause zurückzukehren, wo ihn ein nunmehr vor dem Ruin stehender Vater und eine durch seinen Leichtsinn sicher ebenso bitter enttäuschte Braut erwarteten, dazu fehlte ihm der Mut. Er schrieb einen von bitteren Selbstanklagen erfüllten Abschiedsbrief an die Seinen, ließ sich in seiner Kopflosigkeit noch an demselben Tage unter falschem Namen für die französische Fremdenlegion anwerben und war bereits zwei Wochen später in Algerien, ohne daß seine Familie von seinem Verbleib etwas ahnte.

Das Schicksal wollte es, daß kurz darauf mit Hilfe der englischen Geheimpolizei die beiden Gauner, die Artur Shelling auf dem Gewissen hatten, in Nizza verhaftet und das Geld ihnen zum größten Teil wieder abgenommen werden konnten, wovon der unglückliche junge Mann jedoch auf seinem entlegenen Posten nichts erfuhr.

Ein halbes Jahr verging, bevor Artur Shelling es wagte, seiner Braut, die er aufrichtig geliebt hatte, ein Lebenszeichen zu geben. Er schrieb ihr einen ausführlichen Brief, in dem er nochmals ihre Verzeihung erflehte, sein jetziges beklagenswertes Los als Legionär als die gerechte Strafe für seinen Leichtsinn hinstellte und sie bat, ihn aus ihrer Erinnerung auszulöschen, ebenso wie er auch für seine Angehörigen fernerhin als verschollen gelten wolle.

Ellen Warner, das einzige Kind eines reichen Londoner Verlegers, hatte diesen Brief kaum er halten, als sie auch schon im geheimen die ersten Versuche zur Befreiung ihres Bräutigams vorbereitete. Im Besitz eines eigenen, von ihrer Mutter ererbten Vermögens warb die junge, energische Dame einen Privatdetektiv an, der sich in der Maske eines Vergnügungsreisenden nach Algerien begeben mußte, um dort womöglich persönlich mit Shelling einen Fluchtplan zu verabreden. Wie eine englische Wochenschrift, die die Leidensgeschichte des jungen Juweliers ihren Lesern unlängst aus Anlaß der jetzt in Deutschland so rührigen Bewegung gegen die Fremdenlegion mit allen Einzelheiten berichtete, zu erzählen weiß, wurden die Bemühungen des angeblichen Vergnügungsreisenden, der um jeden Preis mit Shelling in Verbindung treten wollte, jedoch sehr bald von den französischen Behörden mit argwöhnischen Augen überwacht und die beiden Engländer dann in demselben Augenblick festgenommen, als sie die zur Flucht bereitstehenden Pferde besteigen wollten.

Der Detektiv wanderte für ein Jahr ins Gefängnis, während das Kriegsgericht den Legionär „Charles Nemour“ zu drei Monaten strengen Arrests verurteilte.

Ellen Warner ließ sich durch diesen Mißerfolg, durch den die Familie Shelling aus Zeitungsnotizen endlich den Aufenthaltsort ihres verschwundenen Sohnes erfuhr, nicht abschrecken. Auf ihr Betreiben reiste Artur Shellings Bruder Alfred, reichlich mit Geldmitteln versehen, in Begleitung eines als Diener verkleideten Detektivs nach Algerien, um eine bessere Gelegenheit auszukundschaften, wie man „Charles Nemour“ befreien könne. Diese neuen Pläne machte jedoch die Verschickung von drei Bataillonen der Fremdenlegion nach Indochina zunichte, die für Anfang März 1873 befohlen wurde.

Als Alfred Shelling von diesem bevorstehenden Truppentransport, den auch sein Bruder als Zugehöriger eines der drei Bataillone mitmachen mußte, sichere Nachricht erhielt, kehrte er umgehend nach Marseille zurück und schickte von hier ein Chiffretelegramm nach London, in dem er um weitere Instruktionen bat. Nach eifrigem Depeschenwechsel begab er sich nach Paris, wo er der französischen

Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Die Flucht aus der Fremdenlegion. In: Das Buch für Alle, 49. Jahrgang, Heft 15, S. 338 u. 340. Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart, Berlin, Leipzig 1914, Seite 338. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Flucht_aus_der_Fremdenlegion.pdf/2&oldid=- (Version vom 31.7.2018)