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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

jeder Stunde geöffnet bleiben; was in Berlin keineswegs immer der Fall ist. Sie gehören, wie das Leben der großen Männer, welche darunter ruhen, weder einer Familie, noch einer bestimmten Gemeinde, sondern ihrem Volke, dem Vaterlands an. Viele Einwohner der Residenz haben keine Ahnung, welche Berühmtheiten vor den Thoren der Stadt schlummern.

Die milde Herbstsonne verlockte uns, diesen Gräbern einen Besuch abzustatten. Vor dem Oranienburger Thore liegt zunächst der Kirchhof der dorotheenstädtischen und werder’schen Gemeinde, welcher die ausgezeichnetsten Namen umschließt. In der Nähe der Einschlußmauer erhebt sich ein einfacher Granitblock mit der Inschrift: „Georg Wilhelm Friedrich Hegel, geb. den 28. August 1770, gest. den 14. November 1831.“ Es gab eine Zeit, wo dieser Gelehrte in Berlin als absoluter Herrscher auf dem Throne der modernen Philosophie saß; Staatsmänner, hohe Officiere, Leute aus allen Ständen lauschten zu seinen Füßen den Worten eines neuen Evangeliums. Eine Anzahl geistreicher Männer wurden seine begeisterten Apostel und übertrugen sein System auf alle übrigen Wissenschaften. Wie Alexander der Große hatte Hegel das Weltreich der „Idee“ begründet, das aber nach seinem Tode wieder in Nichts zerfiel. Die entarteten Epigonen versanken in eine Anarchie, welche mit ihrer gänzlichen Niederlage endete.

Die Hegel’sche Philosophie, deren mächtigen Einfluß wir nicht verkennen, liegt gegenwärtig begraben mit ihrem Schöpfer auf dem Kirchhofe vor dem Oranienburger Thor. In der Nähe des Meisters ruhen mehrere seiner Jünger, unter denen Eduard Gans besonders hervorragt. Der schlichte Grabstein trägt die Inschrift: „Eduard Gans, geb. am 22. März 1797, gest. den 5. Mai 1834.“ Er war ein geborner Berliner und gehörte einer angesehenen und wohlhabenden jüdischen Familie an. Sein Witz und die seiner Nation eigenthümliche geistige Beweglichkeit trugen nicht wenig dazu bei, die Hegel’sche Philosophie populär zu machen. Gans war der Apostel des Salons, der Jünger im Gesellschaftsfrack; er machte Progaganda bei einem Diner und predigte bei einer Tasse Thee. Trotz seiner Jovialität fehlte es ihm nicht an muthiger Streitlust. Er wendete seine Waffen hauptsächlich gegen den berühmten Rechtslehrer Savigny und die historische Schule, welche er mit vielem Glück und Geist angriff. Als Lehrer der Geschichte stand Gans in fortwährender Opposition gegen die Regierung. Seine Vortrage über die französische Revolution waren besonders stark besucht und das größte Auditorium der Berliner Universität faßte kaum die Zahl seiner Zuhörer. Gans war bei der akademischen Jugend außerordentlich beliebt und wurde fast von ihr vergöttert. Bei Tische traf ihn der Schlag mitten im kräftigsten Mannesalter; sein Tod wurde von der ganzen Stadt betrauert. Ein unübersehbarer Leichenzug bewegte sich längs der Linden. Alle Notabilitäten Berlins gaben ihm das letzte Geleit, darunter der hundertjährige Präsident von Grollmann und der vom Alter gebeugte Minister von Altenstein. Es war ein erschütternder Anblick, zu sehen, wie diese Greise den rüstigen Mann begraben halfen.

Ein spitzer Obelisk steigt wie das reine „Ich“ auf dem Grabe empor, unter welchem der berühmte Fichte ruht. Auf der einen Seite des Denkmals steht der Vers aus Daniel: „Die Lehrer aber werden leuchten wie des Himmels Glanz und die, so Viele zur Gerechtigkeit weisen, wie die Sterne immer und ewiglich!“ Ein Medaillon zeigt die bekannten, scharf ausgeprägten Züge dieses eben so großen Denkers als Charakters, dessen „Reden an die deutsche Nation“ zur Zeit der französischen Herrschaft in Berlin eine kühne That waren und den schlummernden Funken der Vaterlandsliebe und des Volksbewußtseins zur hellen Flamme anfachten.

Die Lyra und die richterlichen Fasces bezeichnen das Grab von Eduard Hitzig, der in der Criminaljustiz und in der deutschen Literatur sich einen bedeutenden Namen erworben hat. Jenes Kreuz von Eisen haben Freunde dem Dichter Langbein gesetzt, dem lustigen Poeten, dessen Schwänke und lustige Erzählungen unsere Väter erheiterten. Sein Grab ist vom Epheu so dicht überwuchert, daß man kaum seinen Namen findet. Bald wird es seinen Werken ähnlich gehen.

Ein antiker Genius mit einer klagenden Muse schmückt das Grab des Philologen Buttmann, dessen griechische Grammatik der Jugend so viel Kopfzerbrechen verursacht hat. Hier ruht der treffliche Solger, der Uebersetzer des Sophokles und fein gebildete Aesthetiker; ferner der Director des Werder’schen Gymnasiums Bernhardi, der Schwager und Freund Tieck’s, mit dem er gemeinschaftlich die geistreichen, satirisch tollen „Bambocciaden“ herausgab. Grau und nüchtern, wie er selber einst im Leben war, ist der Leichenstein des bekannten Biester, der mit Gedicke zusammen die „Berlinische Monatsschrift“ unternahm und für prosaische „Aufklärung“ schwärmte.

Mit dem Zirkel in der Hand grüßt uns die Statue des Bildhauers Schadow, auf seinem Grabe so lebenswahr und treu wie sein Talent. Auf Schinkel’s Grabstein, von seinen Freunden und Verehrern dem berühmten Architekten errichtet, lesen wir die Inschrift: „Was vom Himmel stammt, was uns zum Himmel erhebet, ist für den Tod zu groß, ist für die Erde zu rein.“ – Seine schönsten Denkmäler, die er sich selbst gesetzt, sind seine Bauten, das herrliche Schauspielhaus, das großartige Museum, die Bauakademie und unzählige Privathäuser im reinsten Styl.

Dieser große Sandstein bedeckt die Asche des Geheimen Rath Beuth, des genialen Schöpfers unserer Gewerbinstitute, des unermüdlichen Förderers aller industriellen Unternehmungen in Preußen. Nebenbei war der alte Beuth eine der originellsten Erscheinungen in Berlin. Mit der Militairmütze auf dem grauen Kopfe und in seinem blauen Rocke konnte man ihn zur bestimmten Stunde unter den Linden sehen, es mochte stürmen und regnen. So hat ihn auch der Hofmaler Krüger auf seinem großen bekannten Huldigungsbilde abgemalt.

Unter einem offenen Tempel, mit seiner Statue geschmückt, liegt der reiche Fabrikant Borsig, der sich durch Fleiß und Tüchtigkeit ein großes Vermögen und einen Namen in der deutschen Industrie erworben hat. Er kam als ein armer Tischler nach Berlin und starb als einer der reichsten und geachtetsten Besitzer. Viele hundert Dampfmaschinen sind aus seinen Werkstätten hervorgegangen und durchfliegen Deutschland nach allen Enden.

Ebenfalls in der Nähe des Oranienburger Thores befindet sich der alte Kirchhof der französischen Gemeinde.

Der große Kurfürst und seine Nachfolger öffneten nach Aufhebung des Edicts von Nantes den Refugié’s aus Frankreich gastlich ihre Länder und tausend fleißige, geistig begabte Einwanderer fanden in Berlin und in der Mark eine neue Heimath. Diese Flüchtlinge brachten eine höhere Bildung, feinere Sitten und einen bereits weitfortgeschrittenen Sinn für Industrie und Kunst aus ihrem alten Vaterlande mit. Sie vergalten die ihnen erzeigten Wohlthaten durch Verbreitung nützlicher Kenntnisse und Anlegung von Fabriken. Die bedeutende Seidenweberei in der Mark ist einzig und allein ihr Werk, so wie der feinere gesellschaftliche Ton ihr Verdienst. Aus ihrer Mitte ist eine Reihe hervorragender und berühmter Männer hervorgegangen, welche keinen geringen Einfluß auf die Entwickelung des preußischen Staates ausübten. Noch heute bilden die Nachkommen dieser Refugié’s eine besondere Colonie mit ihrem eigenen Gottesdienst, Schulen und Kirchhöfen.

Auf diesem fällt uns zunächst das große Denkmal in die Augen, welches der König Friedrich Wilhelm der Vierte seinem Lehrer, dem Minister Jean Pierre Frederic Antillon setzen ließ. Auf der vorderen Seite des mächtigen Würfels erscheint das geistreiche Gesicht des Staatsmannes, der zugleich als Schriftsteller durch seine historischen und philosophischen Werke sich einen bedeutenden Namen gemacht hat.

Dicht daneben ruht ein berühmter Gestorbener, der in einem ganz andern Wirkungskreise und auf einem verschiedenen Schauplatze das Größte geleistet hat. Heute ein König, war er morgen ein Bettler, bald der arme Poet Kindlein mit dem weichen Gemüth, bald der furchtbare Franz Moor, der heimtückische Shylok. Sein Reich waren jene Breter, die die Welt bedeuten, seine Unterthanen die Herzen seiner Zuhörer, welche er durch seine Kunst unbeschränkt beherrschte, in allen Fibern beben und erzittern ließ; in einem Augenblick Lachen oder Weinen erregend, wann und wie er wollte. Der Leichenstein trägt die Inschrift: „Ludwig Devrient, geb. den 15. December 1784, gest. den 30. December 1832, von seinen Kunstgenossen.“ Die Masken der heiteren und ernsten Muse deuten auf seinen Stand. – Ludwig Devrient war zum Schauspieler geboren wie Rafael zum Maler, Shakespear zum Dichter. Er gehörte nicht zu den sogenannten denkenden Künstlern unserer Tage, welche den Mangel an Darstellungskraft und Beruf durch erkünsteltes Studium und ängstliche Kleinmalerei kümmerlich zu ersetzen suchen. Nach den Berichten seiner Zeitgenossen schuf der geniale Künstler aus dem Ganzen und

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 702. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_702.jpg&oldid=- (Version vom 19.12.2022)