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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

Vollen, begabt mit dem göttlichen Prometheusfunken und einer an das Dämonische grenzenden Darstellungskraft. Unzählige Anekdoten und Geschichten werden von ihm und dem eben so eigenthümlich begabten und mit ihm innig verbundenen Dichter E. T. A. Hoffmann erzählt. In der Weinhandlung bei Lutter, an der Ecke des Gensdarmenmarktes, verkehrten die beiden Freunde bis spät nach Mitternacht, beim schäumenden Champagner sitzend, umgeben von einem Kreise staunender Hörer und begeisterter Bewunderer. Während der Wein im Glase feine Perlen warf, ließen sie gleich ihm ihren Geist emporsteigen und entluden in gegenseitiger Berührung die elektrischen Funken ihres wunderbaren Wesens. Dort in einer Ecke der Weinstube, welche noch heut’ mit seinem wohlgelungenen Bilde geziert ist, saß der geniale Künstler mit dem scharf gezeichneten Gesicht, das in seiner dunklen Färbung und in seinem kühnen Schnitt den südlichen Franzosen nicht verkennen ließ. Mit den dunkel blitzenden Augen hing er an den nervös zuckenden Lippen Hoffmanns, der irgend ein keckes Capriccio seiner Erfindung oder einen scurrilen Einfall zum Besten gab. Dann ließ Devrient aus der tiefen Brust sein hohles Lachen erklingen, oder er warf eine kühne Bemerkung dazwischen, schneidend wie ein greller Blitz. Arm in Arm schritten die Freunde, wenn der Morgen bereits dämmerte, durch die einsamen Straßen, wo Hoffmann’s überreizte Phantasie jene Spukgestalten träumte, an welche er zuletzt mit offenen Augen glaubte, während Devrient über die fieberhafte Gluth klagte, die sein Leben so schnell verzehrte. Im Leben unzertrennlich hat der Tod sie erst geschieden, da Beide auf verschiedenen Kirchhöfen begraben sind.

Ebenfalls vor dem Oranienburger Thore, auf dem neuen katholischen Kirchhofe in der Liesenstraße ruht ein Kunstgenosse Devrients, Karl Seydelmann. Der rothe Grabstein zeigt die Inschrift: „Die Spuren dieses Lebens sind eingezeichnet in den Sand der Wüste und der Geist dessen, der sie zu ziehen gesendet war, ruft uns liebend und kräftig zu: tretet nach, achtet mein Erbe, indem ihr es nützt.“

Seydelmann’s Natur unterschied sich wesentlich von der seines großen Kunstgenossen. Wie dieser, auf sein Genie und auf die Inspiration des Moments gestützt, fast unbewußt schuf und die Zuhörer mit sich fortriß, so erzwang sich Seydelmann Achtung und Anerkennung durch tiefes Studium, sorgsame Aufführung und stets selbstbewußte Erfassung seiner Aufgabe. Er war ein durch und durch gebildeter Schauspieler, von einem seltenen Fleiße beseelt, und mit den gediegensten Kenntnissen ausgerüstet. Er suchte vorzugsweise den Umgang mit bedeutenden Gelehrten, nicht aus Eitelkeit, sondern um sein Wissen zu bereichern. Mit seiner Kunst nahm er es höchst gewissenhaft und ernst; seine Rollen behandelte er mit einem Studium und einem Fleiße, wie sie nur noch selten bei seinen Kunstgenossen angetroffen werden. Dadurch erhielten seine geschichtlichen Charaktere, wie Cromwell, Karl der Zwölfte von Schweden etc. einen Anspruch auf geschichtliche Wahrheit, da er zu diesem Zwecke ganze Bibliotheken durchwühlte. Seine Masken waren historische Portraits, bis in die kleinsten Züge wahr, treu und vollendet. Sein Geist besaß eine seltene Klarheit und kritische Schärfe, die sich öfters in satirischen Ausfällen gegen das gewöhnliche Komödiantenwesen Luft machte. Er liebte seine Kunst über Alles und ihr sichtbarer Verfall ging ihm zu Herzen. Seydelmann war, was man bei seinen Standesgenossen so selten findet, ein abgeschlossener Charakter im guten wie im schlechten Sinne. Von ihm gilt der Spruch des großen Dichters: Nehmt Alles in Allem, – er war ein Mann.

An dem entgegengesetzten Ende der Stadt vor dem Hallischen Thore liegen zunächst vier große Kirchhöfe, nur durch eine Mauer oder Zaun getrennt. Eine kurze Allee von bereits herbstlich gefärbten und entblätterten Bäumen führt zu dem Eingange. Ein einfaches Monument bezeichnet die Stätte, wo der berühmte Theolog Neander ruht, an seiner Seite die treue Schwester, die erst vor Kurzem dem Bruder gefolgt ist. Beide waren ein Bild der rührendsten Geschwisterliebe, und welcher Berliner erinnert sich nicht des treuen Paares, dem wir so häufig unter den Linden begegnet sind, dem kleinen Mann im braunen Rocke, der oft durch sein Denken zerstreut, sich von der Schwester leiten ließ. Unzählige Anekdoten von der Zerstreutheit und Herzensgüte des berühmten Professors sind hinlänglich bekannt, doch vor Allem verdient seine Toleranz hervorgehoben zu werden, mit der er, trotz seiner eigenen strengen Gläubigkeit, das beabsichtigte Verbot gegen „das Leben Jesu“ von Strauß abwendete, indem er sich energisch für die freie Forschung auch auf dem Gebiete der Theologie aussprach. –

In seiner Nähe hat auch der Reisende und Naturforscher Pallas Ruhe von seinen weiten Wanderungen durch alle Theile Europa’s und Asiens gefunden.

Auf dem nächsten, verschlossenen Kirchhofe liegt unter dem grauen, verwitterten Denksteine der Schauspieler Johann Ferdinand Fleck, den Tieck für den ersten darstellenden Künstler seiner Zeit erklärte. Die charakteristische Inschrift lautet:

J. F. Fleck, erwachte zum Leben zu Breslau den 10. Jan. 1759 und ging zu schlafen den langen Schlaf den 20. Dec. 1801 zu Berlin. Wahr, edel, groß auf der Bühne und im Leben biederherziger Freund, zärtlicher Gatte und Vater ging er, droben Großes zu schaun, was er hinieden ahnend empfand.

Der Leidenschaften Flamme, des Hochsinns Adel, der Tugend Göttergestalt prägte er mit des Genius Schwunge staunenden Hörern in’s Herz und das Laster bebte. Dem hartsinnigen Alten, dem bespotteten Sonderling, dem höchsten Schmeichlervolk hielt er den Spiegel vor und die Thoren errötheten.“

Dicht an der Mauer ruht sein Kunstgenosse, der nicht minder berühmte Iffland, der zugleich als dramatischer Schriftsteller seiner Zeit eine bedeutende Stellung einnahm und noch heute als ein Muster feiner Durchführung und psychologischer Malerei im bürgerlichen Schauspiel und Familienstücken gelten darf. Das Denkmal ist von den Mitgliedes des königlichen Theaters im Jahre 1846 renovirt worden.

Zwei große Aerzte ziehen die Aufmerksamkeit auf sich. Unter einem prachtvollen Monument in Form eines griechischen Tempels mit der Büste des Verstorbenen geschmückt, schläft von Gräfe, der berühmte Chirurg und Vater des berühmten Augenarztes, und in seiner Nähe der alte Heim. Der Letztere war wohl der beliebteste Arzt, den Berlin besessen hat, bekannt durch seinen außerordentlichen Scharfblick, durch sein unübertroffenes diagnostisches Talent, womit er die Krankheiten oft bei einem flüchtigen Anblick, zuweilen durch den bloßen Geruch erkannte; so wie durch die Originalität seiner ganzen Erscheinung und die Eigenthümlichkeit seines Geistes. Wie viele charakteristische Züge werden noch heute von seiner Herzensgüte, seinem Humor und seinem überraschenden Talent erzählt, bald wie er an dem Pulse eines Kindes gleich erkannt, daß die Amme desselben sich berauscht hatte, bald wie er zu Pferde durch die Straßen Berlins ritt, um seine Patienten zu besuchen; gekannt und gegrüßt von Jedermann, angehalten von Armen und Hülfsbedürftigen, die er mit gleicher Liebe und Aufmerksamkeit behandelte, wie seine reichsten Patienten, darunter selbst Fürsten und Mitglieder der königlichen Familie waren. Alle diese vereinzelten Züge hat sein Schwiegersohn in seinem trefflichen Lebensbilde „Ernst Ludwig Heim“ gesammelt. Das Buch verdient ein Volksbuch zu sein, so wie der alte Heim im eigentlichsten Sinne ein Mann des Volkes war.

Hier finden wir auch das Grab des liebenswürdigen Chamisso, des Dichters und Weltumseglers, der von Geburt Franzose, von Herzen und im Geist ein Deutscher war. In seinen Gedichten und besonders in dem reizenden Märchen „Peter Schlemihl“ spiegelt sich der Genius seines zweiten Vaterlandes wieder. Auch die bekannte Rahel, die Gattin Varnhagens, ruht auf demselben Kirchhofe. Sie war lange Zeit der geistige Mittelpunkt eines Kreises ausgezeichneter Männer und Frauen, der sich damals in Berlin zusammenfand. Jüdin von Geburt vereinte sie den scharfen Witz ihres Volkes mit echt weiblicher Feinheit und Milde; sie war die eigentliche Schöpferin einer höheren Geselligkeit und in ihrem Hause erschienen die verschiedensten Elemente zu einer seltenen Harmonie verschmolzen. Zu ihren Freunden zählte sie den genialen Prinzen Louis Ferdinand, den edlen von der Marwitz, den geistreichen Gentz, Brinkmann, Gualtieri, später den Fürsten Pückler, den damals noch unbekannten, jungen Heine, eine Gallerie bedeutender Persönlichkeiten, welche die Meisterhand Varnhagens gezeichnet hat. Ihr „Briefwechsel,“ von ihrem Gatten herausgegeben, ist, abgesehen von seinem tiefen Inhalt, ein höchst interessanter Beitrag zur Geschichte jener Zeit. Mit echt weiblicher Hingebung wandte sie sich wie die Sonnenblume dem großen Tagesgestirn Goethe zu. Der Cultus dieses Genius ging für Berlin zunächst von ihr und dem sie umgebenden Kreise aus.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 703. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_703.jpg&oldid=- (Version vom 19.12.2022)