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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

eines verhaßten Systems. Der Chef dieser Meute war ein „Hofrath Persa“, ein ebenso mißliebiger als gewaltthätiger, unangenehmer Patron.

Im Jahre 1827 machte derselbe durch einen Sturz aus dem Fenster seiner Wohnung in den Stadtgraben seinem Leben ein Ende. Ein schöner Pudel, das Lieblingsthier des Selbstmörders, sprang seinem Herrn nach, brach beide Vorderfüße, kam aber wunderbarer Weise noch mit dem Leben davon.

„Welche Gattung von Hund ist treuer,“ hieß es damals in Wien, „der Pudel oder der Spitz?“

„Natürlich der Pudel, da der Pudel des Hofrath Persa seinem Herrn aus dem Fenster nachsprang, während dies keinem seiner Spitzl eingefallen war.“

Die Wiener verziehen Persa sein Leben, weil sein Tod ihnen die Gelegenheit zu diesem seichten Witz gab, der den Weg vom Palast bis zur Hütte zurücklegte. Der letzte Gewaltgeniestreich Persa’s war die Auflösung der Ludlamshöhle in Wien am 26. April 1826. Die Ludlamiten, eine durchaus harmlose, aller Politik ferne Gesellschaft, bildeten einen Verein der heitersten und witzigsten Köpfe der Residenz und eine Merkwürdigkeit derselben. Einheimische und Fremde drängten sich zu diesem Tempel des höheren Blödsinns, zu dessen eifrigsten Priestern ein Grillparzer, Rückert, Holtei, Carl Maria von Weber, Saphir, Lewald, Castelli, Theodor Hell, Anschütz und noch viele Andere zählten, deren Namen guten Klang in der deutschen Kunstwelt hatten.

Castelli erzählt in seinen Memoiren das originelle Treiben der Ludlamiten in ergötzlichster Weise. Und doch wurde diese Gesellschaft, eine Gesellschaft, die öffentlich zusammen kam, in der jedes politische Wort aufs Strengste verpönt war, die aus den geachtetsten Männern der Residenz bestand, eine Gesellschaft, deren Dasein jedem Kind in Wien bekannt war, diese Gesellschaft wurde der damaligen Polizei verdächtig, und die Aufhebung derselben, wie Castelli erzählt, mit einem Aufwand von Zwangsmaßregeln bewerkstelligt, als ob es gälte, eine Bande von Räubern und Mordbrennern zu fangen. Man erbrach das Local, nahm jedes Stückchen Papier mit, confiscirte Bilder, Albums, Portraits, sogar die schwarze Ankündigungstafel, auf welcher die rätselhaften geheimnißvollen Worte standen: „Diesmal ist der Samstag an einem Sonntag“.[1] Zwei Polizeicommissäre mußten jedes der verdächtigen Mitglieder Morgens um sechs Uhr schon im Bette überfallen und ihm die Pistole des ersten Verhörs auf die Brust setzen. Unendlich komisch wirkte die Vernehmung des Oberhauptes (des Hofschauspielers Schwarz), welcher auf die dringende Frage, warum er zum Chef der Gesellschaft ernannt worden wäre, und auf die ernste Mahnung, die Wahrheit zu gestehen, wenn er sich nicht die größten Unannehmlichkeiten zuziehen wolle, ganz ernsthaft antwortete: „Er sei zum Oberhaupt der Ludlamiten ernannt worden, weil er unter Allen der Dümmste sei und eine schöne Tochter habe.“

Obwohl sich nicht ein gravirendes Atom bei der strengsten Untersuchung herausstellte, wurde doch die Auflösung der Höhle beschlossen, die lustigen Streiche hatten ein Ende, die Polizeigewalt war Sieger!

Ich erzähle diese Brutalität nur als Einleitung für meine heutige Skizze und als Beweis, was damals möglich war. Zahllose Versuche zur Gründung eines ähnlichen Vereins in dem lebenslustigen Wien schlugen fehl oder verwandelten sich in gewöhnliche Concertkränzchen mit der üblichen Fütterung der anwesenden Bratenbarden. Es kam kein rechter Zug in die Sache, bis einige humoristische Köpfe Wiens die „grüne Insel“ für sich eroberten, dies frische Eiland, auf welchem unter der rosigen Flagge der Heiterkeit und dem Panier des Frohsinns sich jene beigesellten, „die neben kunstreichem Wissen und frischem Muth auch ein Erbtheil überkommen haben alter Freudigkeit und Lust und diese hegen wollen in treuer Innung.“

Die barocke Form der launigen Satzungen, an denen alle, die der Insel angehören, treu festhalten müssen, dieses scheinbar kindische Spiel, welches die Bewohner der grünen Insel dem absoluten Willen des Großmeisters (Otto, der Grausambe) unbedingt unterwirft, hält das flotte Reich seit Jahren fest zusammen.

Was Wien an witzigen Köpfen, an hervorragenden Talenten zählt, versammelt sich an bestimmten Abenden an der Tafelrunde, und consumirt bei einem solchen Feste in ein paar Stunden mehr treffliche Scherze, als die übrige Gesammtbevölkerung Wiens während eines vollen Monats. Wer einmal einer solchen Versammlung beigewohnt, den überfällt in der Ferne manchmal dahin ein Heimweh, welches dem der Schweizer nichts nachgiebt.

In den „Satzungen“ kommen unter Anderem auch folgende Bestimmungen vor:

„Die Mitglieder der Rittergesellschaft ,grüne Insel’ bestehen aus dem Großmeister (als Vorsitzenden), Würdenträgern, darunter vier, welche mit dem Großmeister die Leitung besorgen, Comthuren, Rittern, Knappen, Troßbuben und den Dienstleuten der Würdenträger (Burgpfaff, Geheimschreiber, Archivar, Burggärtner, Büttel), und können nur Künstler aller Kunstzweige, Dichter und Gelehrte dem Verbande der Gesellschaft angehören. Jedes neue Mitglied tritt als Troßbube ein und wird nach seinen Verdiensten in höhere Grade befördert, hat sich einen mittelalterlichen Namen zu wählen, bei dem es (unter Strafe von 2 kr. für jeden Uebertretungsfall) von den übrigen Mitgliedern zu nennen ist; auch die Anrede mit Sie, und der Gebrauch eines Fremdwortes wird mit 2 kr. Strafe belegt.

Außer den angeführten Ordnungsstrafen kann die Strafe des Verließes, und zwar mit oder (bei Verschärfung) ohne Atzung, nach Ermessen des Großmeisters verhängt oder auf Anklage eines Mitgliedes gegen den Schuldigen verfügt werden.

Jedes Mitglied verpflichtet sich durch Handschlag: ohne Bewilligung des Capitels keinerlei Mittheilung über Vorträge, Verhandlungen, kurz das ganze Treiben der ‚grünen Insel‘ in öffentliche Blätter zu geben.“

Zu den ferneren Satzungen der Insel gehört es auch, daß Frauen und „Mägduleins“ der Besuch des Eilandes streng verwehrt ist, und nur einmal ließ sich der strenge Großmeister, nach langen und lebhaften Debatten, erweichen, „zwölf edlen Frawen und sittsamblichen Mägduls den Eintritt in diese sonst so geheimnißvoll verschlossenen Räume zu gestatten.“

Der feierlichen Erlaubniß wurde folgende Zuschrift beigelegt: „Reguln, so Ihr Euch danach zu benemben habt als da seyend:

1. Sullt Ihr kummen in schlichter Tracht.
2. In Euer Anred ziemt nur das ,Ihr’, gleichart Ihr auch von uns mit Euern Vornamen und dem ,Ihr’ sullet geheißen werden.
3. Ihr seyend unsere lieben Gäst und dahero nit verhalten uns zu erlustigen mit ein Vortrag.
Versammlungsort: die Albrechten Dürer Burg.
Versammlungstund: der Abend des 8. Martii,
am Tage Johannis von Gott, als man schrieb
im Jahre des Unheils, so Ihr angerichtet 1864,
unserer Regierung im ersten.
00Der Großmeister
Odo der Grausambe.

Am 27. Februar 1864.

Der Schriftwart
     Hans Max,
Comthur und Chronist.“

An diesem Abend prangte an langer Tafel, angethan mit allen Zeichen seines Ranges, im vollen Ornate der Großmeister, rund herum die Damen im schönsten Kranz zwischen den Rittern, Knappen und Troßbuben.

Die geniale Frau Heitzinger, die reizende Gabillon, die große Tragödin Rettich, die Tänzerin Friedberg, der ernste Dichter Halm neben dem allbekannten Komiker Fritz Beckmann, Carl la Roche und der Componist Flotow, Constantin von Wurzbach, Herausgeber des Schillerbuches und der Dichter der Eglantine, vis-à-vis dem echtesten Wiener, dem Redacteur des Fremdenblattes, daneben Heine, der Bruder des berühmten Heinrich, Mosenthal, die witzigen Schriftsteller Woyl und Grandjean; kurz wer zählt sie alle, die Lieblinge des Wiener Publicums, die da gekommen waren, um sich „einen Jux zu machen“.

Die Feier begann mit einer Ansprache des Großmeisters, worin er die Gäste unterrichtete:

Was wir Euch bieten? Freien Sinn vor Allen,
Ein froh Gemüth und kindisch lust’gen Schwank;
Wir sind der Kunst, der heiteren, Vasallen,
Und nicht an der modernen Lüge krank.


  1. Der Versammlungstag war für diese Woche vom Sonnabend auf Sonntag verlegt worden.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 347. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_347.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)