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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


„Ja, darin gehen unsere Ansichten auseinander,“ versetzte sie aufrichtig. „Hätte ich Geld in den Händen, dann würde es mir vor Allem das Mittel sein, das beschämende, erniedrigende Dunkel zu lüften, das die Vergangenheit unserer Familie deckt – ich will die Brosamen nicht länger essen, die mir zugeworfen werden, weil ich deutlich weiß und fühle, daß es meiner unwürdig ist, daß ich mich ihrer vielleicht später einmal schämen muß! … Ich werde von nun an zusammenraffen und sparen –“

„Fräulein Charlotte sparen?“ warf Eckhof sarkastisch ungläubig ein.

„Ich sage Ihnen,“ fuhr sie heftig auf, „ich werde in Sack und Asche gehen, um nur die Mittel zu einer Forschungsreise nach Paris zu erzwingen –“

„Wie, wenn Sie nun nicht so weit zu gehen hätten, um das Dunkel zu lüften?“

Jedes dieser Worte fiel schwer wie tönendes Erz in mein Ohr, auf meine Nerven. Der Mann, der sie langsam und gewichtig ausgesprochen, stand plötzlich da, als habe er sich mit einem einzigen, entscheidenden Schlag von einem schweren, inneren Zerwürfniß losgerungen. „Kommen Sie,“ sagte er kurz und gebieterisch zu der jungen Dame, die ihm sprachlos und mechanisch folgte. Er setzte sich auf die Bank, auf der ich am Sonntag gesessen und gesungen hatte, und die meinem Versteck schräg gegenüberstand.

O weh, in welche entsetzliche Lage war ich gerathen! In Todesangst hielt ich halb schwebend den Ulmenstamm umschlungen – ich fürchtete, durch meine Schwere den dünnen Ast unter mir abzuknicken; dazu machten sich die unseligen Schuhe das Vergnügen, an meinen baumelnden Füßen allmählich, aber mit unerschütterlicher Consequenz hinabzurutschen, und ich hatte keine Gewalt über sie – Gott im Himmel, wenn solch ein kleines Ungethüm hinabpolterte, welches Gaudium für Dagobert, und welche prächtige Gelegenheit für meinen Feind, mir eine donnernde Strafpredigt zu halten!

„Ich will Ihnen eine Geschichte erzählen,“ sagte der Buchhalter zu den Geschwistern, die sich neben ihn gesetzt hatten. „Aber hören Sie vorerst eine unumwundene Erklärung. … Das, was ich Ihnen mittheilen werde, erfahren Sie nicht auf Grund meiner Anhänglichkeit für Sie – es wäre eine Lüge, wollte ich das sagen. … Ich spreche auch nicht aus Rachsucht –‚Ich will vergelten, spricht der Herr!‘ … Sie sehen in diesem Augenblick nicht den Menschen Eckhof in mir, sondern den Streiter des Herrn, dem keine Wahl bleibt, wenn er zwischen die irdischen Interessen der Menschen – und sei es der eigenen Familie, des eigenen Fleisches und Blutes – und das Heil der Kirche gestellt wird!“

(Fortsetzung folgt.)




Altgriechische Poesie in deutscher Kunst.
(Mit Abbildung.)

Der Leipziger hat ein Recht, sich seines Augustusplatzes zu freuen, denn es wird wenige Städte geben, deren Charakter in seinen bedeutendsten Zügen sich so klar und schön in einem Kranze von Bauwerken darstellt, wie dies mit dem Leipzigs auf diesem Platze geschieht. Dort steht auf der alten Moritzbastei die erste Bürgerschule und zeugt von der Sorge der Stadt für die Volksbildung; das Gebäude der Universität zeugt von der Ehre, in welcher hier die Wissenschaft steht; der Palast der Post weist auf den Weltverkehr der Stadt hin; für die Pflege höchster Dicht- und Tonkunst prangt des Theaters säulengetragenes Haus, und die bildenden Künste fanden im Museum eine heimische Stätte – und das Alles ist Bürgerwerk, Bürgerstiftung, Bürgereigenthum.

Einer der jüngsten dieser Schöpfungen eines tüchtigen Bürgergeistes, dem Museum, wenden wir heute unsere Schritte zu. Die älteren unserer Leser, von 1859 her, kennen das Aeußere dieses Baues und vom Innern die Durchsicht vom Westsaal aus nach den Abbildungen der Gartenlaube. Es hat sich seit dem nun dreizehnjährigen Bestehen dieses Kunsttempels bewährt, was wir damals verheißen haben, wo wir es als das sicherste Zeugniß einer höhern Gesittung unserer Zeit priesen, daß trotz der gewaltigen Anregungen für industrielle Unternehmungen und dem Gewicht der materiellen Interessen auch der edlen Neigung nach Offenbarung der Seele in Kunst und Poesie durch diesen Bau gehuldigt und eben dadurch auch auf die Veredelung der Gewerbe eine gewiß nachhaltige Wirkung ausgeübt werde. Diese Wirkung ist schon heute sichtbar.

Ebenso ist ein anderer Wunsch für den innern Schmuck und Werth des Museums glänzend in Erfüllung gegangen. Von dem Octogon, der Vorhalle zu den der Bildersammlung gewidmeten Sälen, sagten wir damals, daß dieser durch seine Verhältnisse und das durch die Kuppel einfallende Oberlicht besonders wirkungsvolle Raum vollständig dazu gemacht sei, dereinst Perlen der Kunst an seinen Wänden zu tragen. Das Glück übertraf noch den Wunsch. Nicht viele und verschiedene Perlen, nein eine Perle schmückt den ganzen Raum – und diese eine Perle ist zugleich die höchste Kunstleistung eines der ausgezeichnetsten deutschen Künstler: die Wände des Octogons füllen – als wie dafür gemessen – Friedrich Preller’s sechszehn Bilder zu Homer’s Odyssee in den Original-Cartons aus.

Auch über die Bedeutung dieser Bilder hat die Gartenlaube sich bereits ausgesprochen, als sie (1864) den Lebensgang des Meisters mit seinem Bildniß ihren Lesern vorführte. Leipzig ist bekanntlich die Geburtsstätte dieser Odyssee-Landschaften, denn einen ersten Cyclus derselben malte Preller schon in den dreißiger Jahren in dem „Römischen Hause“ des Dr. Härtel. Wer heute das Octogon des Museums betritt, der wandelt rund den Wänden entlang an all’ dem Land und Meer mit ihren Göttern und Menschen vorüber, wie der Geist Homer’s sie in’s Leben gezaubert – vom Abzug aus Troja an Calypso, Leucothea, Nausicaa, an dem Kampfe der Ciconen und an Polyphemos vorbei; dann sehen wir die Abfahrt vom Lande der Cyclopen, die Insel und den Zauber der Circe und wie Hermes das den Odysseus rettende Moly bringt, und weiter geht’s zur Unterwelt, zu den Sirenen und den Rindern des Helios, bis wir endlich der Heimkehr des Dulders aus Ithaca uns freuen und des göttlichen Sauhirten Eumäos und des herrlichen Sohnes Telemachos und des verständigen Greises Laertes, des Hirten der Völker. Mit seinem Homer im Kopfe und Herzen kann hier Jeder Stunden beseligendsten Genusses verleben.

Bekanntlich sind schon 1863 diese Cartons in photographischer Darstellung und begleitet von einem erklärenden Schriftchen als „Friedrich Preller’s Odyssee-Landschaften“ erschienen. Näher lag allerdings der Gedanke, den Bildern ihren einzig würdigen Erklärer, Homer selbst, zuzugesellen, und das ist in wahrhaft vollendeter Weise gethan in einem Prachtwerke deutschen Verlags. Vor uns liegt: „Homer’s Odyssee. Vossische Uebersetzung. Mit 40 Original-Compositionen von Friedrich Preller, in Holzschnitt ausgeführt von R. Brend’amour und K. Oertel. Leipzig 1872, Verlag von Alphons Dürr.“ In achtunggebietendem Großfolio breitet der stattliche Band sich vor uns aus, lockend auch durch seine dem großartigen Inhalte entsprechende Ausstattung, von dem bunten Deckenbilde, welches sehr sinnig Poseidon, den Verfolger, und Athene, die Beschützerin des vielgewanderten Dulders Odysseus, im purpurnen Himmel darstellt, während dieser in der blauen Tiefe über sein Schicksal nachdenkt, bis zur letzten Schluß-Vignette, dem Homerhaupte zwischen Sternen und Lorbeerzweigen.

Zu den sechszehn Cartons fügt Friedrich Preller als neuen Schmuck für diese Homer-Ausgabe noch vierundzwanzig Vignettenbilder, welche an der Spitze jedes Gesanges den Inhalt desselben andeuten, und so beginnen sie denn mit der Versammlung der unsterblichen Götter im Olymp und schließen mit dem letzten Ende der Freier, wo Hermes die Seelen der Erschlagenen in die Unterwelt führt.

Statt aller Schilderung dieser Kunstwerke ziehen wir es vor, unseren Leser eine Probe mitzutheilen, die zugleich für den Geist der Cartons wie für die Wiedergabe derselben in Holzschnitt dient.

Wir wählen das Bild, in welchem „der Zauber der Circe

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 750. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_750.jpg&oldid=- (Version vom 2.3.2018)