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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

hängt. Die Abschließung des Lichtes nach oben giebt aber den drei Fensteröffnungen des Chores mit ihrem edlen frühgothischen Maßwerk einen ganz eigenthümlichen Reiz, denn dieselben schließen so als schwarze Rahmen den Dämmerton des Chores ab und lassen die durch die Fenster hinaus sichtbaren Theile des Himmels und der Landschaftsferne nur in desto leuchtenderem Blau und Violett erscheinen.

In vollster Harmonie mit der Gesammtwirkung dieses Bildes steht die lautlose Stille, welche um diesen träumerisch schönen Raum ausgegossen liegt, kaum daß ein Käferlein auf den einzelnen Blüthen summt oder eine kleine Eidechse erschreckt den seltenen Eindringling anstarrt und dann scheu bei der leisesten Bewegung unter dem nächsten Busche sich birgt; sonst ist Alles lautlos still; ja selbst die Wißbegierde ist zum Schweigen genöthigt, da kein Kirchen- oder Rathhausbuch Aufschluß über das frühere Schicksal dieses Raumes giebt, sondern die ganze Geschichte desselben, sein Werden, Blühen und Vergehen aus den Steintrümmern herausgelesen werden muß.

Mit wie stolzer Freude mögen einst vor nun sechshundert Jahren die mönchischen Erbauer dieses Kirchenraumes das fertige Werk angeschaut haben! Wie verächtlich hätten ihre Gesichter drein geschaut, wenn ein Fernsehender ihnen gesagt hätte, daß kaum zwei Jahrhunderte später das Wort eines gegen seine Obern rebellischen Mönches dieser Kirchenschöpfung sowie viel tausend andern den Todesstreich versetzen würde!

Und doch kam es so. Nicht die Kriegsfurie warf die Fackel in die herrliche Kirche; nicht einmal der elektrische Funke vom Himmel bewahrte sie vor dem unrühmlichsten Ende, vor dem Verlassen- und Vergessenwerden, sondern der Blitz der Reformation verjagte auch hier die Priester, nachdem er die ganze Umgegend protestantisch und die Mönche hierdurch brodlos gemacht hatte. Eine Zeitlang mag die Verlassene noch als Begräbnißplatz für die umliegenden Edelgeschlechter gedient haben; als aber auch diese ausstarben oder verkamen und allmählich verschwanden, wurde die Kirche selbst von den Todten verlassen; das Dach verwitterte, verfaulte und stürzte endlich zusammen; die Bauern benutzten für ihre armen Hütten kleine Reste aus den Trümmern, und so schuf sich allmählich der jetzige Zustand der Ruine, der in seiner traumhaften Stille so manches Kunstschöne birgt, aber eine weit größere Fülle innerer Anschauungen über das Grundwesen des menschlichen Strebens erweckt. – Unwillkürlich tritt ein Lächeln des Mitleids über die kindliche Naivetät der Menschen jener Zeiten uns in’s Antlitz, wenn wir einen Theil jener Bilder des jüngsten Gerichtes überblicken; aber hat unser Jahrhundert nicht auch noch seinen heiligen Rock in Trier, Mariahemd und andere heilige Fetzen, Splitter und vergoldete Heiligenknochen an andern Orten? Haben wir wirklich ein so großes Recht, über die Thorheit jener Zeit uns lustig zu machen? Gewiß nicht! Aber was wir thatsächlich haben, das ist eine Fülle von gegründeter Hoffnung, dereinst völlig Sieger noch zu werden über alle jene plumpen und feineren Versuche, die ewige Wahrheit in ihrer einfachen Größe und Schönheit zu umdunkeln und zu übertünchen, und so schritt auch ich aus diesen Kirchenräumen mit ihren gesprengten Gräberdecken und mit ihrem eingestürzten Steinhimmel fröhlich hinaus in die um und um blühende, sonnenglänzende Welt, in froher Siegeshoffnung, wie schon oft, die herrlichen Prophetenworte Lenau’s wiederholend:

„Das Licht vom Himmel läßt sich nicht versprengen,
Noch läßt der Sonnenaufgang sich verhängen
Mit Purpurmänteln oder dunkeln Kutten;
Den Albigensern folgen die Hussiten
Und zahlen blutig heim, was jene litten;
Nach Huß und Ziska kommen Luther, Hutten,
Die dreißig Jahre, die Cevennenstreiter,
Die Stürmer der Bastille, und so weiter.“

K. H.




Eine Leistung der Telegraphie. Die Nr. 302 vom 29. October dieses Jahres der „Kölnischen Zeitung“ enthält folgende Anzeige:

„Heute Morgen hat der Proceß wider Kullmann begonnen. Bei dem Interesse, welches sich demselben zuwendet, haben wir ein stenographisches Bureau unter Leitung eines Mitgliedes unserer Redaction in Würzburg eingerichtet, welches die Verhandlungen wörtlich aufnimmt und uns telegraphisch mittheilt.“

Diese zunächst wohl kaum beachtete Mittheilung gewann erst eine Bedeutung, als die Zeitung ihr Versprechen zu lösen begann und man Berichte las, deren Lesen bei allem Interesse ermüdend war.

Nach Beendigung der Verhandlungen erkennt dieselbe Zeitung in einer Notiz an, daß die Leistungen der Telegraphie bei dieser Gelegenheit, zumal bei Ueberladung der Drähte mit Preßdepeschen über denselben Fall nach England, Frankreich, Amerika etc. ihre Erwartungen bedeutend überstiegen hätten. Man liest wohl häufiger in Zeitungen von der Beförderung englischer Thronreden nach wer weiß wie vielen Orten in unglaublich wenigen Minuten, und das große Publicum nimmt das ruhig hin, während der Techniker an allerhand Dinge denkt, die mit Reclame, Humbug etc. Aehnlichkeit haben. Die angeblichen Leistungen steigen natürlich mit der Entfernung des Ortes, wie man neulich ganz ernsthaft (aus Amerika!) von einem Apparate schrieb, der stündlich 6000 Worte befördert. In Deutschland ist man nicht gewöhnt, dergleichen zu lesen, und die Mittheilungen der „Kölnischen Zeitung“ sind deshalb wohl einer technischen Beurtheilung werth.

Die Artikel der „Kölnischen Zeitung“ über die Gerichtsverhandlung umfassen 33 Spalten mit 160 bis 180 Zeilen, im Mittel 170 Zeilen. Das macht, jede Zeile zu 11 Worten gerechnet, 33 × 170 × 11 = 61710 Worte oder mit Rücksicht auf nicht volle Zeilen circa 60000 Worte. Ein Telegraphist, welcher an dem gewöhnlichen Morse’schen Apparate arbeitet, telegraphirt in der Minute 10 Worte, in der Stunde also 600 Worte. Rechnet man ein Sechstel für Hindernisse, Störungen etc. ab, so bleiben 500 Worte stündlich, und man braucht deshalb für 60000 Worte 120 Arbeitsstunden. Da die Mittheilungen 3 Tage füllen, so würden täglich 40 Arbeitsstunden erforderlich gewesen sein. Man gelangt also mit einem Drahte nicht zum Ziele, muß vielmehr zwei Drähte nehmen, das heißt auf jedem die Hälfte der Depesche befördern. Zwei Drähte würden mit derselben demnach je 20 Stunden auf 3 Tage belastet sein.

Bei Anwendung des Typendruck-Apparates von Hughes gestaltet sich die Sache bei Weitem günstiger. Ein sehr gewandter Telegraphist kann im Maximum etwa 35 Worte in der Minute abtelegraphiren, stündlich rund 2000 Worte. Da der Apparat jedoch wegen seines complicirten Mechanismus vielen Störungen unterworfen ist, kann man in der Praxis etwa nur auf 1200 Worte stündlich rechnen. Dies ergiebt für 60000 Worte 50 Stunden Arbeitszeit, also ungefähr die halbe Zeit. In diesem Falle reicht man also mit einem Drahte aus.

Hiernach kann man sich dem günstigen Urtheile der „Kölnischen Zeitung“ rückhaltslos anschließen. Die Telegraphen-Verwaltung macht beiläufig bei solcher Depesche kein schlechtes Geschäft, denn 60000 Worte zwischen Köln und Würzburg berechnen sich zu 1000 Thaler Gebühren.

Bemerkt mag schließlich werden, daß sich mit dem Siemens’schen automatischen Schnellschreiber und mit dem ähnlichen Wheatstone’schen Apparate (bis jetzt die am schnellsten arbeitenden Apparate) unter günstigen Verhältnissen vielleicht 2400 Worte stündlich abtelegraphiren lassen, wonach überseeische Reclamen zu beurtheilen sind.




Von unserem alten Holtei gehen uns nachstehende Zeilen zur Veröffentlichung zu. Nicht ohne im Innersten ergriffen zu sein, leisten wir der Bitte des trefflichen Veteranen deutscher Dichtung Folge, indem wir seine Worte hier mittheilen. Sie lauten:

„‚Die Kränze, die Du siehst, sind lauter Trauerzeichen
Erblichner Freuden, die den Freuden nach-erbleichen.
Für jede Lust, die starb, zum Denkmal einen Kranz
Hab’ ich geflochten, und umkränzt bin ich nun ganz.
Hier hängt der Freundschaft Laub, und hier der Liebe Flitter,
Und hier das Vaterglück, gemäht vom dunklen Schnitter.
Hier welkt die Jugend, hier der Ruhm, und hier daneben
Ist eine Stelle noch für diesen Rest von Leben.
Wer nach mir übrig bleibt, wenn ich geschieden bin,
Häng’ einen letzten Kranz aus dunklen Blumen hin.
Und wenn ein Gast besucht die leere Siedelei,
Ihr welken Kränze sagt: So geht die Welt vorbei!‘

Laß’ ich das eine Wort ‚Ruhm‘ als auf mich nicht anwendbar weg, und vertausch’ ich’s mit irgend einem auf meine geringe Bedeutung passenden Ausdrucke, dann bilden obige Verse unseres großen Friedrich Rückert den zweckmäßigsten Eingang zu nachstehender Bitte, womit ich Abschied zu nehmen denke von Allen, die mich seit langen Jahren durch schriftliche Grüße beglückten, und denen ich bisher immer noch, wenn schon sehr unregelmäßig, mit alljährlich matter werdender Hand, schriftlich zu danken liebte. Auch dieser letzten Lebensfreude muß ich nun entsagen. Denn ich darf nicht fernerhin empfangen wollen, nachdem ich unfähig geworden, zu geben. Wie viel ich dadurch verliere, ahnen wahrscheinlich diejenigen kaum, deren nachsichtige Huld mir unerschütterlich treu geblieben war. Weder Zeit, noch Raum, noch meine Versäumnisse konnten ihre Geduld erschöpfen.

Von nun an darf ich aber nichts mehr in Anspruch nehmen, als gütige Verzeihung. Der düstere Novembermonat ist so recht geeignet, diese letzte Bitte auszusprechen. Wird sie mir gewährt, dann will ich entsagend des ‚dunklen Schnitters‘ harren, der jeden Zweifel friedlich löset, der jeden Groll versöhnt.

Wer mich ein Bischen lieb gehabt, gönne mir dann auch ein Blümchen zu jenem ‚letzten Kranze für die leere Siedelei‘!

Breslau, im November 1874.

Holtei.

Vorstehendem Lebewohl an Freunde hab’ ich eine höchst prosaische Nachschrift, an Fremde gerichtet, beizufügen.

Mir sind die verflossenen Jahre kümmerlich-kränkelnden Daseins mannigfach noch verbittert worden durch Zusendung verschiedenartigster Manuscripte, zu welchen ich den mir – so wie Andern – unbekannten Verfassern und (!!!) Verfasserinnen Verleger gewinnen, und über welche ich kritische Urtheile abgeben sollte. Beides vermochte ich nicht.

Solche Erzeugnisse waren sodann sorgsam wieder einzupacken, der Sicherheit wegen recommandirt auf die Post zu befördern und machten mir förmliche Sorge. Diese Quälereien, mitunter auch von zudringlichsten Ansprüchen begleitet, gingen bisweilen über eines kranken Greises Kräfte und haben endlich, je älter und kränker ich wurde, nur immer mehr zugenommen. Weshalb ich gerade dazu ausersehen schien, bleibt mir unbegreiflich.

Ich sehe mich gezwungen zu erklären: daß ich derlei Frohndienste nicht weiter verrichten, sondern sämmtliche, mir auf diese Weise über den Hals geschickten Packete uneröffnet zurückweisen werde.

H.“




Schiller katholisch! In Würzburg erscheint ein „Fränkisches Volksblatt“, welches an jesuitischer Frechheit Alles leistet, was nur ein Ultramontanenherz erfreuen kann. In Nr. 249 desselben ist in einem Artikel, „Die Bekehrung der Königin-Mutter“, der Satz aufgestellt: „Das ehrlose Begräbniß während der Nacht scheint in Norddeutschland für Convertiten schon förmlich Brauch zu sein,“ und daran als Beweis dafür die Nachricht gehängt: „Wenige wissen, daß auch Schiller, der ‚Lieblingsdichter der Nation‘, katholisch gestorben ist. Noch sehr viel weniger aber sind Diejenigen (!!), welche wissen, daß Schiller dafür in stiller Nacht von bezahlten Schneidergesellen ehrlos zu Grabe getragen wurde.“ Zum Schlusse heißt es: „Auf das Drängen der Nation, welche ihren Lieblingsdichter in einem würdigen Denkmale (!!) wissen wollte, wurde Schiller’s


Hierzu die „Allgemeinen Anzeigen zur Gartenlaube“, Verlag von G. L. Daube & Comp.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 765. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_765.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)