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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)


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von ihrem Wissen den denkbar bescheidensten Gebrauch – und das ist in der Belletristik vollkommen richtig. Der Franzose beugt sich in der Tagespresse zu seinem Publicum herab, um von möglichst vielen verstanden zu werden; er giebt sich selten das Ansehen geistiger Vornehmheit, sondern sucht mit Recht alle Dinge in eine anziehende und geschmackvolle Form zu kleiden. Der Grundsatz Voltaire’s: „Jedes Genre ist willkommen, ausgenommen das langweilige“, hat in Frankreich volle Geltung in der Literatur behalten; bei uns dagegen hat die Langeweile Zutritt in die angesehensten Zeitschriften, wenn sie von der Gelehrsamkeit eingeführt wird.

In Deutschland wundert man sich, daß die berühmtesten Dichter Frankreichs es nicht verschmähen und niemals verschmäht haben, in den Dienst der Journalistik zu treten. Voltaire, Rousseau und Diderot arbeiten fleißig für die Journale; Alphonse Daudet berichtet der „Neuen Freien Presse“ über französische Ammen und verkehrte Kinderpflege; er übersendet der „Gegenwart“ Skizzen aus dem französischen Leben; Victor Hugo schreibt über Wohlthätigkeitsanstalten; Gerard de Nerval schildert die Zufluchtsorte der Armen und Elenden von Paris; Zola widmet dem Leben der niedrigsten Volksclassen eine Reihe von Feuilletons. So vergolden französische Dichter von großem Ruf und Ansehen die bemerkenswerthesten Erscheinungen des socialen Lebens mit dem Zauber ihrer Kunst. Immer bleiben die französischen Dichter in der Fluth des Lebens, erforschen die Strömungen der Zeit, erwärmen sich für die Leiden, Arbeiten und Schöpfungen des Volks und gelangen so zur Erkenntniß der höheren Aufgaben der Nation. Das ist ein Weg, den die deutsche akademische Ueberhebung und Pedanterie nicht begreift, den sie mißbilligt – sie mißbilligt ihn mit großem Unrecht; denn der Dichter soll den Zeitgenossen voranschreiten, das aber kann er nur, nachdem er lange Zeit mit ihnen Schritt gehalten. Wohl ziemt es der Jugend, durch die Thore der Poesie in’s werkthätige Leben zu schreiten; wohl sollen wir uns an den mustergültigen Schöpfungen der Meister für ideale Ziele begeistern, die Kraft des reifen Mannes aber gehört der Gegenwart mit ihren Leiden und Hoffnungen, mit ihren Stürmen und Errungenschaften.

Von diesem zeugungskräftigen Grunde aus sollte das Werk des Künstlers sich erheben zu dem duftigen Reiche des Ideals; denn wie der Baum nur stark und schön genannt zu werden verdient, welcher seine Wurzeln tief in’s Erdreich senkt und seine Wipfel hoch in die blaue Luft zu strecken vermag, so sind auch nur diejenigen Kunstwerke von höchstem Werthe, welche tief im Leben wurzeln und sich hoch in die Gedankenwelt erheben.

Von unseren berühmten Dichtern wüßte ich im Augenblick nur Spielhagen als einen zu nennen, der im Journalismus von Zeit zu Zeit – wie Zola sagt – seine Kraft stählt und seine Waffen blank und scharf wetzt, der sich ferner seiner minder berühmten Collegen und anderer Künstler liebreich annimmt und im Ausland das Verständniß für deutsches Geistesleben zu fördern sucht.

So sehr die Nationaleitelkeit zu verachtet ist, welche sich auf der Bühne und in Romanen in sogenannten „patriotischen“ Reden breit macht, so sehr erscheint andererseits unser Vertrauen in die eigene Kraft als ein berechtigtes. Die Presse ist das Organ der Nation; durch sie müssen wir die geistige Production im Innern zu fördern und zu ermuntern und ihr dem Auslande gegenüber

Geltung zu verschaffen suchen. Das oft mißbrauchte Wort Goethe’s: „Nur Lumpe sind bescheiden“, ist hier an seinem Platz. Statt

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 133. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_133.jpg&oldid=- (Version vom 3.7.2023)