Seite:Drei Essays Oscar Wilde.pdf/102

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Ein Nihilist, der alle Autorität verwirft, weil er weiss, dass die Autorität von Uebel ist, und der alles Leiden begrüsst, weil er dadurch seine Persönlichkeit verwirklicht, ist ein wirklicher Christ. Ihm ist das christliche Ideal zur Wahrheit geworden.

Und doch lehnte sich Christus nicht gegen die Obrigkeit auf. Er fügte sich der autoritären Gewalt des römischen Kaiserreichs und zahlte Tribut. Er duldete die geistliche Gewalt der jüdischen Kirche und wollte ihrer Gewalt nicht mit eigener Gewalt begegnen. Er hatte, wie ich vorhin sagte, keinen Plan für einen Neubau der Gesellschaft. Aber die moderne Welt hat solche Pläne. Sie schlägt vor, die Armut und das Elend, das sie mit sich bringt, abzuschaffen. Sie will das Leiden loswerden und das Elend, das es mit sich bringt. Sie hat sich den Sozialismus und die Wissenschaft als Methoden gewählt. Was sie erstrebt, ist ein Individualismus, der sich durch die Freude zum Ausdruck bringt. Dieser Individualismus wird umfassender, völliger, reizender sein als je einer gewesen ist. Das Leiden ist

Empfohlene Zitierweise:
Oscar Wilde: Drei Essays. Karl Schnabel, Berlin 1904, Seite 96. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Drei_Essays_Oscar_Wilde.pdf/102&oldid=- (Version vom 31.7.2018)