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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 10

und fuhr alsdann fort: „Bei meinem Erscheinen trug man mir, da man viele auffallende Ähnlichkeiten mit der Toten bei mir entdeckte, die gleichen Gefühle wie seinerzeit ihr entgegen. Mir entgingen natürlich die Dinge nicht, und ich begegnete der falschen Freundlichkeit entweder mit burschikosem Berlinertum oder beißender Ironie, je nach- dem man bei mir getippt hatte. Es dauerte nicht lange, da legte man mir Erbschleicherei zur Last und viele schöne Tugenden mehr. Ich wollte den Klatschmäulern den Sieg nicht ohne weiteres gönnen und hielt mit gekniffenen Zähnen durch. Endlich entschlossen sich meine Tante und deren Mann zu einem Hauskauf in Berlin. Ich nahm das als günstige Gelegenheit wahr, um, nachdem ich noch einen vierwöchentlichen Umzug durchgekostet, nach Hause zu gehen. Dort türmten sich auch dunkle Wolken zusammen. Meine Brüder aus erster Ehe meiner Mutter, hatten nach dem Ausscheiden meines Vaters die Erhaltung des Hausstandes übernommen. Der eine hatte sich, um der Verpflichtung schnell zu entgehen, in eine Ehe gestürzt, bei der sich bald herausstellte, daß es mehr Hölle denn Ehe war. Er ging bald nach dem Rhein. Nun lagen die ganzen Sorgen auf meines ältesten Bruders Schultern. Beide Brüder haben eine Volksschule besucht, aber durch Fleiß, besonders der älteste, es als Ingenieur in der Brückenbaubranche zu ersten und gut bezahlten Stellungen gebracht. Diese zähe Energie, hochzukommen aus einem Nichts, hatte dem ältesten Bruder schwere Nervosität eingebracht, und so sehnte er sich, möglichst schnell ebenfalls die Last abzuschütteln. Ich ging also in diese wirren Verhältnisse zurück im Vertrauen auf einen glücklichen Zufall und meine wirtschaftlichen Kenntnisse. Das Glück ließ mich bald eine Stellung finden und es währte nicht lange, da sprang mein Bruder mit beiden Beinen zugleich von uns weg.

Wir waren nun, meine Mutter und ich, auf uns beide angewiesen. Wir vermieteten und schränkten uns äußerst

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 10. Hermann Barsdorf, Berlin 1914, Seite 210. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_10_(1914).djvu/214&oldid=- (Version vom 15.2.2023)