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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 10

Nach beendeter Verlesung bemerkte der Vorsitzende: Den Hintergrund der ganzen Sache bildet

die Sinnlichkeit, die Liebe und die Leidenschaft.

Allein die Angeklagte ist nicht wegen dieser Liebe, sondern wegen Mordes angeklagt. Auf verschiedene Vorhaltungen des Vorsitzenden erklärte die Angeklagte, daß sie zu Reimann nur eine Art mütterlicher Liebe gehabt habe. Reiman habe aber bald ihr Benehmen falsch verstanden und mehr von ihr verlangt. Bezüglich einiger zur Verlesung gebrachte Karten mit zärtlichen Liebesworten, erklärte die Angeklagte, daß sie den Schein wahren wollte, da sie Angst hatte, Reimann würde ihr, wenn sie sich ablehnend verhielte, im Geschäft Unannehmlichkeiten bereiten. Eine derartige Karte begann mit den Worten: „Mein kleiner, lieber, dummer Junge! Warum habe ich keinen Glückwunsch zu der neuen Wohnung bekommen?“

Der Vorsitzende hielt der Angeklagten vor, daß sie, wenn sie nur den Schein habe wahren wollen, Reimann doch nicht zu einem „Kaffeeklatsch“ in ihrer Wohnung habe einzuladen brauchen, mit dem Hinweise, daß sie allein sei. In einem an Dr. St. gerichteten Brief bedauerte die Angeklagte, daß sie im Augenblick gerade „nichts zum Küssen“ habe. In einem von dem erschossenen Reimann in der Wut geschriebenen Briefe an die Mutter der Angeklagten, der aber nicht zur Absendung gekommen war, gestand er seine intimen Beziehungen zu der Angeklagten ein mit dem Hinweise, daß sie ihn, als sie in Fangschleuse allein auf Sommerwohnung war, aufgefordert habe, über Nacht dort zu bleiben. „Wann ist ein Tor nicht willig, wenn eine Törin will“, hieß es im Anschluß hieran in dem Briefe des Reimann. In einem Taschenbuch Reimanns, das fast ausschließlich Liebesgedichte enthielt, hatte er drei Daten besonders angegeben und unterstrichen, an denen er mit Hedwig Müller zusammengetroffen war. Ein Bild, das von der Angeklagten

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 10. Hermann Barsdorf, Berlin 1914, Seite 221. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_10_(1914).djvu/225&oldid=- (Version vom 16.2.2023)