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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 10

in nicht mißzuverstehender Weise mit drei Fragezeichen versehen war, veranlaßte den Vorsitzenden zu der Bemerkung: „Na, das geht doch über die ‚mütterliche Liebe‘ etwas hinaus!“ Einige Briefe und Karten, die die Angeklagte an Reimann geschrieben hatte, begannen mit der Überschrift: „Mein kleiner artiger Lord!“ In einer dieser Karten bat sie Reimann, sie am Sonnabend nicht abzuholen, da sie mit einer Freundin in das Deutsche Opernhaus gehen wollte. Tatsächlich war sie an diesem Tage mit Dr. St. zusammengetroffen. Auf den Vorhalt des Vorsitzenden, daß aus allen ihren Karten an Reimann die Sinnlichkeit hervorblicke, erklärte die Angeklagte: „Das war alles nur ironisch gemeint.“

Es wurden alsdann mehrere Angestellte aus dem Geschäft vernommen, in dem die Angeklagte und Reimann tätig waren. Die Zeugen bekundeten, daß ihnen im Verkehr der beiden manches auffällig vorgekommen sei. – Die beiden Schwestern des Erschossenen bekundeten, daß ihr Bruder stets ein guter Junge gewesen und in die Angeklagte riesig verliebt gewesen sei. Er habe geglaubt, daß diese nur ihn wirklich lieb habe, während sie mit Dr. St. nur seines Geldes wegen in Beziehungen stehe.

Dr. St. bekundete: Hedwig Müller sei ein außergewöhnlich liebenswürdiges und ungemein intelligentes Mädchen. – Photograph Ritzer bekundete, daß seine Frau, der das hübsche Gesicht der Angeklagten aufgefallen war, sie eines Tages, als sie vor seinem Schaufenster stand, in den Laden gebeten und gefragt habe, ob sie Modell für Kopfaufnahmen stehen wolle. Die Angeklagte habe zugesagt und sich mehrmals photographieren lassen, wofür er Beträge bis zu 20 Mark an sie gezahlt habe. Als eines Tages Reimann für die Angeklagte Bilder abholte und seine Frau im Scherz sagte, sie solle dem Reimann ein Bild schenken, habe die Angeklagte dies abgelehnt mit dem Bemerken, Reimann könne das Geschenk vielleicht falsch auffassen.

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 10. Hermann Barsdorf, Berlin 1914, Seite 222. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_10_(1914).djvu/226&oldid=- (Version vom 18.2.2023)