Seite:Friedlaender-Interessante Kriminal-Prozesse-Band 10 (1914).djvu/227

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 10

Als darauf

die Mutter der Angeklagten,

eine einfach gekleidete ältere Frau, den Saal betrat, weinte die Angeschuldigte. Die Zeugin bekundete: Sie habe eines Tages Georg Reimann kennen gelernt. Ihre Tochter habe dabei gesagt, Reimann sei ein junger Mensch, der keine Stellung habe und dem man deshalb etwas helfen müsse. Einige Zeit darauf habe ihre Tochter während ihrer Abwesenheit in Begleitung des Reimann, der Mädchenkleider getragen habe, ihre Wohnung aufgesucht. Sie habe sich weiter keine Gedanken darüber gemacht, sondern geglaubt, daß es sich um einen Scherz handelte. Auf eine Frage des Vorsitzenden erklärte die Zeugin, daß sich einer ihrer Brüder aus Furcht vor einer Krankheit erschossen habe, ihr eigener Ehemann sei sehr leichtsinnig gewesen und habe sich nächtelang herumgetrieben. Auf weitere Fragen bezüglich des Charakters ihrer Tochter erklärte die Mutter: Sie kleidete sich nett, ohne große Ausgaben dafür aufzuwenden; sie wußte aus nichts etwas zu machen. – R.-A. Dr. Ledermann ließ sich durch die Zeugin bestätigen, daß ihre Tochter mehrfach ein gewisses, auf Gutmütigkeit zurückzuführendes Interesse für Reimann bekundet habe; beispielsweise habe sie der Mutter gesagt, daß Reimann gern Flammerie esse und gebeten, ihm doch etwas Flammerie zu machen. Die Zeugin hatte auch von ihrer Tochter ge- hört, daß Reimann ihr einmal Briefe habe entreißen wollen. Es sei nicht wahr, daß ihre Tochter sie schlecht behandelt habe. – Vors.: Sie scheinen keinen großen Einfluß auf Ihre Tochter gehabt zu haben, sonst hätten Sie doch später den Verkehr mit dem Dr. St. verhindern sollen. – Zeugin: Das kann man als Mutter nicht. – Vors.: Na, da haben Sie doch wohl nicht die richtige Vorstellung von dem Einflußgebiet einer Mutter. Sie hatten aber Ihrer energischen Tochter gegenüber nicht die genügende Stärke, – Zeugin: Wir haben uns gut verstanden; wir haben beide gearbeitet.

Empfohlene Zitierweise:
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 10. Hermann Barsdorf, Berlin 1914, Seite 223. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_10_(1914).djvu/227&oldid=- (Version vom 18.2.2023)