Seite:Friedlaender-Interessante Kriminal-Prozesse-Band 10 (1914).djvu/251

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 10

vielleicht die Schüsse aus dem Muff der Angeklagten herausgedrungen sein könnten, denn dann würde der Muff unbedingt Feuer gefangen haben. Der Umstand, daß das Aufblitzen von den Hinzueilenden nicht wahrgenommen wor- den sei, zeuge dafür, daß die Schußrichtung den Zeugen entgegengesetzt gewesen sei. Daß der erste tödliche Schuß bei einer Umarmung abgegeben worden, sei so gut wie ausgeschlossen. Nach den weiteren schußtechnischen Ausführungen des Sachverständigen, an die sich zahlreiche Fragen des Vorsitzenden, des Staatsanwaltschaftsrats Dr. Gysae und der Verteidiger schlossen, und die durch Vorführung der verschiedenen Stellungen des Revolvers bei den in Frage kommenden Möglichkeiten illustriert wurden, bemerkte der Sachverständige: Es sei möglich, aber nicht wahrscheinlich, daß Reimann geschossen habe. Es sei ausgeschlossen, daß sich Reimann die beiden Schüsse mit derselben Hand beibringen konnte, ganz abgesehen davon, daß nach medizinischem Gutachten jeder dieser Schüsse tödlich war. Dagegen spreche auch die Tatsache, daß

zwei entgegengesetzte Schußkanäle

vorhanden seien. Die Frage, ob die Schüsse bei einem Ringen losgegangen sein könnten, bildete den Gegenstand zahlreicher Versuche, ebenso die Frage, ob der Schuß durch den Hut der Angeklagten von ihrer Hand oder von der Hand Reimanns abgegeben worden sei. Der Sachverständige hielt die letzte Annahme nicht für wahrscheinlich, aber auch nicht für unmöglich. Der Sachverständige erläuterte seine Ansichten durch die Darstellung eines Ringens, zu dem sich der Zeuge Zibell wiederholt bereit erklärte.

Der Vorsitzende gab schließlich ein Resümee der Darstellungen des Sachverständigen, das dahin ging: Die Möglichkeit, daß die Angeklagte den Reimann erschossen hat, ist gegeben, die zweite Möglichkeit, daß die Angeklagte während eines Ringens Reimann erschossen hat, ist auch gegeben, allerdings mit weit geringerer Wahrscheinlichkeit.

Empfohlene Zitierweise:
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 10. Hermann Barsdorf, Berlin 1914, Seite 247. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_10_(1914).djvu/251&oldid=- (Version vom 21.2.2023)