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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 10

gehört, die die drei braven Männer, die als die ersten hinzugeeilt waren, nach ihrem besten Wissen gegeben haben. Es ist doch selbstverständlich, daß ein 20jähriges, junges Mädchen nach einer solchen furchtbaren Szene ganz erschüttert und sprachlos dasteht, dazu braucht man nicht an einen Dämmerzustand zu denken. Herr Dr. Cohn müßte doch die Konsequenzen seines eigenen Artikels ziehen, den er im Anschluß an den Fall Ritter geschrieben hat, in dem er einen Schutz vor Geisteskranken fordert. Einem solchen Gutachten kann ich also keinesfalls folgen. Auf eine Zwischenbemerkung des Justizrats Friedmann habe ich gestern keineswegs mit einer für die Angeklagte noch fühlbareren Strafe drohen wollen; es kann gar keine Rede davon sein, daß ich die Angeklagte als Geisteskranke ins Irrenhaus schicken will. – Ganz anders lautet das Gutachten des Geheimrats Dr. Kortum, der als Voraussetzung hinstellt, daß die Angaben der Angeklagten wahr sind, und bei Wegfall dieser Voraussetzung die Verantwortlichkeit der Angeklagten bestehen läßt. Ich behaupte, daß das letztere der Fall ist und daß die Angeklagte über die Vorgänge nicht die Wahrheit sagt. Sie ist eine außerordentlich begabte Person, ihre Niederschrift ist außerordentlich geschickt gemacht, klingt etwas hochtrabend. Ihre werte Person ist in den Vordergrund gestellt. Sie haben selbst gehört, wie sie in fabelhaft geschickter Weise immer wieder eine Antwort fand und von dem Rechte des Angeklagten, zu leugnen und zu lügen, ausreichend Gebrauch machte. Der Staatsanwalt ging dann ausführlich auf den Entwicklungsgang der Angeklagten und ihre ganze Persönlichkeit ein. Er wies darauf hin, daß sie aus einer guten und früher gut situierten Familie stamme, die durch den trunksüchtigen und lüderlichen Vater herabgekommen sei. Die Angeklagte sei eine frische, zur Fröhlichkeit hinneigende Person, die in nicht alltäglicher Weise frisch und freudig den Kampf mit dem Leben aufgenommen und in jungem Alter tapfer mitgearbeitet habe,

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 10. Hermann Barsdorf, Berlin 1914, Seite 256. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_10_(1914).djvu/260&oldid=- (Version vom 6.3.2023)