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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 10

um ihre Mutter mit zu erhalten. Sie ist ja erblich belastet, aber nirgends hat sich gezeigt, daß sie mehr als hysterisch ist. Das hat sich so wenig gezeigt, daß der Zahnarzt Dr. Oppler dieser angeblich „Fallsüchtigen“ seine Kinder zur Obhut anvertraute. Als ihr dann der Dr. St. seine Freundschaft und seine Liebe schenkte, wurde dieses Verhältnis für sie und für den Dr. St. eine Quelle des Glücks, denn das Verhältnis war nicht alltäglicher Art. Sie kam in einen neue Daseinskreis, dem sie sich durch Erweiterung ihrer Bildung und Festigung ihrer ganzen Persönlichkeit gern anzupassen suchte. Sie haben zusammen Bücher gelesen, lasen die Reisebeschreibungen, die der oft beruflich auf Reisen befindliche Dr. St. ihr gegeben hat, sich vor, besuchten gute Opern und gute Theater. Die Angeklagte war nicht bestrebt, aus diesen Beziehungen finanzielle Vorteile zu erzielen. Da kam das Verderben über sie in dem Augenblick, als ihre Beziehungen zu Georg Reimann begannen, einem jungen Mann, auch aus besserer Familie stammend, auch ein Sohn eines verarmten Architekten aus Glatz, auch ein Mann, der eine bessere Bildung genossen hatte. Das „mütterliche“ oder „schwesterliche“ Verhältnis, das die Angeklagte glauben machen will, konnte in dieser Form nicht lange bestehen bleiben. Reimann war, wie die Angeklagte sagte, „halb Kavalier, halb Page“, aber der Page begann bald die Augen zu erheben zu seiner Herzogin, er dachte daran, daß er ein Mann geworden, und als er erfuhr, daß sie mit einem anderen Manne in Verkehr stand, wurde ihm sofort klar, daß dies nicht bloß ein schriftlicher Verkehr sein könne. Als er die briefliche Bestätigung davon vor Augen sah, da begann für ihn die Eifersucht, da wurde er liebesrasend. Sie hat in frevelhafter Weise mit dem jungen Manne

gespielt wie die Katze mit der Maus.

Nach und nach ist aus dem Liebesrasenden ein ganz gemeiner Erpresser geworden. Die Angeklagte ist ein gewecktes

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 10. Hermann Barsdorf, Berlin 1914, Seite 257. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_10_(1914).djvu/261&oldid=- (Version vom 6.3.2023)