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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 4

Der Angeklagte Breithaupt, ein mittelgroßer, schlanker, finster dreinschauender Mann mit schwarzem Vollbart, gab auf Befragen des Vorsitzenden an: Er sei 1877 als Sohn eines Pastors geboren. Er habe zunächst das Gymnasium bis zur Obersekunda besucht und sei alsdann Fahnenjunker geworden. Da er aber einen Herzfehler habe, sei er sehr bald vom Militär wieder abgegangen. Er habe alsdann nochmals das Gymnasium besucht, das Abiturientenexamen gemacht und Theologie studiert. Nachdem er das erste geistliche Examen bestanden hatte, sei er in der Bodelschwinghschen Anstalt Bethel bei Bielefeld, alsdann im Evangelischen Johannisstift in Plötzensee bei Berlin und darauf in der Bodelschwinghschen Arbeiterkolonie in Hoffnungsthal bei Berlin tätig gewesen. Einige Tage sei er in der Kolonie Wietingsmoor gewesen, um die Behandlung von Fürsorgezöglingen kennen zu lernen. Er sei, nachdem er das erste geistliche Examen bestanden, in Vertretung seines Vaters und auch in Hoffnungsthal als Seelsorger tätig gewesen. Während seines Aufenthaltes in Hoffnungsthal bereitete er sich auf sein zweites Examen vor, wozu er zweimal in der Woche nach Berlin fuhr, um an einem Repetitorium teilzunehmen. Eines Abends ging er in Berlin ein Glas Wein trinken. Als er das Restaurant verließ, bekam er plötzlich einen Hieb über den Schädel, fiel bewußtlos um, wurde nach einer Unfallstation gebracht und von da zur Polizeiwache sistiert. Als Bodelschwingh davon erfuhr, habe er ihn entlassen. Der Vorsitzende bemerkte hierzu, die Polizei habe damals den Vorfall anders dargestellt, doch wolle er nicht weiter darauf eingehen. Im Frühjahr 1909, so fuhr Breithaupt fort, habe er das zweite geistliche Examen gemacht. Alsdann habe ihn Pastor Matthies zum Vorsteher der neuen Anstalt Mieltschin gewählt. Er wußte, welche Aufgabe seiner harrte. Allerdings habe er darauf gerechnet, daß ihm nicht ein schwer, sondern ein leicht erziehbares Material überwiesen werden würde. Die nötige Fähigkeit

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 4. Hermann Barsdorf, Berlin 1911, Seite 230. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_4_(1911).djvu/234&oldid=- (Version vom 16.12.2023)