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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 4

Fürsorgezögling Ernst Graske, der wegen Diebstahls eine längere Gefängnisstrafe verbüßte, als Zeuge vorgeführt. Er bekundete: Er sei im Mai 1909 von Lichtenberg nach Mieltschin gekommen. Das Essen war recht gut, nur die Behandlung, ganz besonders von seiten des Pastors Breithaupt und des Inspektors Engel, war sehr schroff. Eines Tages habe ihm der Zögling Auders, den er von Lichtenberg aus kannte, einen Brief überbracht, in diesem wurde ihm mitgeteilt, daß, wenn er ausrücken wolle, er bei einer Frau Schmidt in Berlin Unterkommen finden könne. Er sei deshalb am folgenden Morgen mit Auders zusammen ausgerissen. Als er nach Mieltschin zurückgebracht wurde, habe ihm zunächst Pastor Breithaupt einige Faustschläge ins Gesicht versetzt. Alsdann mußte er alles bis aufs Hemd und Hose ablegen, es wurden ihm an beiden Beinen Fesseln angelegt und darauf habe er von Engel 50 wuchtige Schläge mit einer Reitpeitsche erhalten. Er habe laut geschrien. – Vors.: Haben Sie noch heute wunde Stellen? – Zeuge: Jawohl, ich habe tiefe Narben. Ich wurde alsdann vom Meister Wrobel in die Arrestzelle gesperrt und mit einer eisernen Kette, die an einem Ring in der Mauer befestigt war, angeschlossen. Außerdem blieben die Fußketten an beiden Beinen. – Vors.: Konnten Sie sich hinlegen? – Zeuge: Nein, das angeschlossene Bein konnte ich nicht ganz bis zum Erdboden herunter bekommen. Ich war infolgedessen genötigt, mich auf einen Wassereimer zu setzen und habe so in sitzender Stellung geschlafen. Während der ganzen 12 Tage habe ich nur morgens, mittags und abends je ein Stück Brot und je ein Liter Wasser bekommen. – Vors.: Haben Sie erhebliche Folgen von der Züchtigung davon getragen? – Zeuge: Nein, aber ich habe noch heute sehr oft Reißen, weil ich in Mieltschin auf den Feldern vielfach stundenlang im nassen Schlamm arbeiten mußte. Ich gehörte zur Strafkolonne. Nach der zweiten Züchtigung wurde ich an die Bettstelle angeschlossen. Sechs Wochen lang habe ich Tag und Nacht die Fußfesseln

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 4. Hermann Barsdorf, Berlin 1911, Seite 249. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_4_(1911).djvu/253&oldid=- (Version vom 17.12.2023)