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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 4

Vors.: Warum nicht? – Zeuge: Weil ich fürchtete, daß ich Hiebe kriegen würde wegen Arbeitsverweigerung. Der Angekl. Brosinsky sei gut zu den Jungen gewesen, er habe ihnen sogar manchmal seine Stulle gegeben. – Sachverständiger Dr. med. Bernstein hat in Mieltschin bei Ehrlich Narben gefunden, er vermag aber nicht zu sagen, ob die Verletzungen durch Stockhiebe oder durch Peitschenhiebe entstanden seien. – Sachverständiger Dr. Steinbrück, der den später nach der Anstalt Warsow (bei Stettin) überwiesenen Ehrlich dort behandelt hat, hatte gleichfalls noch Narben bemerkt; er fand vor allem den Bruch des Mittelfußknochens noch ungeheilt. – Lehrer Hentschel hat in Lichtenberg Ehrlich nicht für gewalttätig, sondern für einen rührigen Menschen gehalten, der nach Ausweis der Akten allerdings zum Umhertreiben geneigt habe. – Im weiteren erklärte Breithaupt auf Befragen des Vorsitzenden: Er gebe zu, daß er dem Zögling Karnal wegen Flucht durch Engels 50 Peitschenhiebe habe geben lassen und daß Karnal noch mehrfach und von ihm selber geschlagen worden sei. Aber es sei ausgeschlossen, daß er ihm, wie die Anklage behauptet, einmal 50 Stockhiebe gegeben habe. „Ich nehme,“ sagt er, „ja ganz gerne auf mich, daß ich 20, auch 25 Stockhiebe gegeben haben kann, aber über 25 niemals.“ Für Karnal, der ein flinker Junge sei, habe er immer eine besondere Sympathie gehabt, und es habe ihm „immer weh getan, wenn Karnal gezüchtigt werden mußte.“ Karnal habe ihm einmal unmittelbar nach einer Züchtigung gesagt: „Herr Pastor, ich danke Ihnen, ich habe es verdient, ich will wieder artig sein.“ Als er Zweifel äußerte, habe Karnal erklärt: „Herr Pastor, ich wette mit Ihnen um eine Kiste Zigarren.“ Breithaupt versicherte, er habe überhaupt zu seinen Jungen, mit wenigen Ausnahmen, in einem durchaus vertraulichen Verhältnis gestanden. – Brosinsky bestritt, daß er bei einer Abstrafung Karnals mitgeschlagen habe; er habe ihn nur gehalten, um ihn am Entweichen zu hindern.

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 4. Hermann Barsdorf, Berlin 1911, Seite 257. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_4_(1911).djvu/261&oldid=- (Version vom 17.12.2023)