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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 4

strafbaren Freiheitsberaubung, durch den das Einsperrungsrecht des Erziehers nicht berührt werde. Bezüglich des Züchtigungsrechts wies er auf die Rechtsprechung des Reichsgerichts und auf einen Aufsatz des Kammergerichtsrats Havenstein hin. Wenn auch objektiv zugegeben sei, daß Breithaupt in der Anwendung von an sich zulässigen Strafmitteln zu weit gegangen sei, so müsse man ihm doch in subjektiver Hinsicht glauben, daß er sich einer Überschreitung nicht bewußt war. Zweifellos wollte er erziehen, aber sein Prinzip war, erst den Willen zu brechen. In dieser ihm „großartig“ scheinenden Erkenntnis blickte er mit souveräner Verachtung als „großer Pädagoge“ auf alle herab, die anderer Meinung waren. Was er getan, habe er sich wohl überlegt, darin könne man nicht einmal Fahrlässigkeit annehmen. Es könne vielleicht als ein trauriges Resultat erscheinen, daß ein Mann, dem man nichts weniger als Sympathie entgegenbringen könne, freigesprochen werden müsse. Aber das Gesetz bestimme doch nun einmal, daß, wer nicht widerrechtlich züchtige, straffrei sei. Das Bewußtsein der Widerrechtlichkeit fehle eben dem, der mit einer Züchtigung eine pädagogische Maßregel zu treffen glaube. Dauernder Schaden sei nicht entstanden. Alle seien mit ganzen Knochen davongekommen, mancher laufe sogar recht gesund umher, und bei einigen könne man annehmen, daß ihnen die Prügel jetzt wenigstens eine fast angenehme Erinnerung sei. Breithaupt habe aus grundfalschen Prinzipien, aber in bestem Willen gehandelt, er habe in Überschätzung und Überhebung, obwohl er kaum in die Fürsorgeerziehung hineingerochen hatte, alles zu können sich eingebildet. Gesellschaftlich möge man von ihm abrücken, hier aber stehe er vor Gericht. Auf die Leute, die (auf den Zuhörerraum zeigend) da hinter der Barriere sitzen, mache es ja Eindruck, wenn über „Die Hölle von Mieltschin“ geschrien werde, wie es in der Presse geschehe. Ihnen werde es möglicherweise auch unbegreiflich scheinen, wenn das Gericht zu einem Freispruch komme oder

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 4. Hermann Barsdorf, Berlin 1911, Seite 289. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_4_(1911).djvu/293&oldid=- (Version vom 22.12.2023)