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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 6

wie der Herr sich hier so aufspielen konnte. Ich bekomme von allen Seiten Nachrichten darüber, welchen Geistes Kind der Zeuge sei, und da muß ich doch die Glaubwürdigkeit dieses Herren nachprüfen. Das ist wohl der einzige Fall, wo ich in das Privatleben hineingeleuchtet habe. Wie aber verhielt sich die Verteidigung in dem Fall der Zeugin Gustke? Gerade dieser zeigt, wie moralisch minderwertig, verwerflich und gemütsroh der Angeklagte vorgegangen ist. Er will auf die Brautschau fahren, geht zu einer Kokotte, läßt sich das Geld zur Reise nach Baden-Baden geben und schreibt von dort einen Brief, der falsche Angaben enthält und die Bitte um weiteres Geld vorbringt. Das ist Betrug, wie er im Buche steht. Da dieser Fall einer der schwersten für den Angeklagten ist, so ist mit aller Macht daran gearbeitet worden, diese Zeugin zu beseitigen. Man hat es sogar nicht verschmäht, in Ballokale zu gehen und dort Stoff gegen die Zeugin zu sammeln. – Der Staatsanwalt kam alsdann noch einmal ausführlich darauf zurück, daß der Verteidiger in einer Eingabe an das Gericht es so dargestellt haben solle, als ob sich die Gustke ihrer Zeugenpflicht entziehen wollte, während gerade das Gegenteil der Fall gewesen sei und der Verteidiger die Adresse der Gustke gekannt habe. Wenn die Gustke nicht so forsch gewesen wäre, zu rechter Zeit sich zu melden, so wäre wohl die Schlußfolgerung, daß sie meineidig sei, gezogen worden. – Der Staatsanwalt fuhr darauf fort: Es sind nun in der Presse Stimmen auch von bekannten Personen laut geworden, die meinten, daß das, was der Angeklagte getan, in gewissen Kreisen gang und gäbe sei und es nichts Außergewöhnliches sei, daß sich Kavaliere in solcher Weise Geld verschaffen mit Rücksicht auf eine reiche Heirat. Ich kann nur annehmen, daß die Herren, die das behaupten, nicht wissen, wie hier die Sache liegt. Hier handelt es sich nicht um einen jungen Leutnant oder Beamten, der Schulden macht mit Rücksicht auf eine spätere Heirat, sondern es

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 6. Hermann Barsdorf, Berlin 1912, Seite 244. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_6_(1912).djvu/248&oldid=- (Version vom 29.12.2022)