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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 6

wäre, der österreichische Staat sie auch bewilligt hätte, mit anderen Worten: ob diese Handlungen auch nach österreichischem Recht den Tatbestand des Betruges erfüllten. Der Verteidiger legte alsdann die Unterschiede in der Auffassung des Betruges nach österreichischem und deutschem Recht dar. Er wünsche aber nicht, daß der Angeklagte nur freigesprochen werde, weil er nach österreichischem Recht nicht strafbar sei. Es ließe sich einwandfrei nachweisen, daß auch nach deutschem Recht in keinem der zur Anklage stehenden Fälle der Tatbestand des Betruges nachzuweisen sei. Den Anklagefällen sei gemeinsam, daß der Staatsanwalt aus der mangelnden Zahlungsfähigkeit zur Zeit der Eingehung der Verbindlichkeiten die mangelnde Zahlungsabsicht folgere. Aber der Zahlungswille sei durch die Tatsache der Zahlung in fast allen Fällen bestätigt worden. Die Anklage gehe immer davon aus, daß der Angeklagte nicht mehr und nicht weniger gewesen sei als eine finanziell gescheiterte Existenz, die objektiv und subjektiv nicht die Hoffnung auf eine Wiederaufrichtung gehabt haben könne. Dies sei vollständig widerlegt durch die Aussage des Zeugen Amtsgerichtsrats Grafen Schulenburg. Dieser Herr sei doch nicht unglaubwürdig, weil er in einem Augenblicke der Erregung ein hartes Wort über den Angeklagten gesprochen, und weil er dieses Augenblicksurteil im Gerichtssaal nicht wiedergegeben habe. Es bleibe jedenfalls aus der Aussage des Grafen Schulenburg die Tatsache, daß er dem Angeklagten lediglich auf die Heiratsaussichten hin 6500 Mark geliehen habe. Auch sonst hätten alle, die den Angeklagten kannten, die Überzeugung gehabt, daß ein Graf Wolff-Metternich schon mit Rücksicht auf seine Heiratsaussichten des Kredites würdig sei. Der Angeklagte habe auch wiederholt bewiesen, daß es sein ernster Wille gewesen sei, durch eine Heirat seine völlige „Sanierung“ zu bewirken. Wenn der Angeklagte, um seine Freisprechung zu erreichen, den Nachweis führen müßte, daß er objektiv oder wenigstens

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 6. Hermann Barsdorf, Berlin 1912, Seite 255. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_6_(1912).djvu/259&oldid=- (Version vom 31.12.2022)