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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 6

Brillanten verkauft. Wenn das richtig ist, so wirft dies ein weiteres Licht auf die Aussage dieser Zeugin, die außerordentlich interessiert ist. Es muß wundernehmen, daß man in dem Zeitalter der psychologischen Bewertungsmethode auf eine solche Zeugenaussage überhaupt Wert legt. Vor hundert Jahren war man weiter. In der Kriminalordnung vom Jahre 1805 ist klar ausgedrückt gewesen, daß nie auf die Bezichtigung eines Zeugen etwas gegeben werden kann, wenn es sich um einen Zeugen handelt, der Interesse zur Sache hat. Und hundert Jahre nach dieser Kriminalordnung soll unter Hintansetzung aller psychologischen Erwägungen auf das Zeugnis einer solchen Zeugin Wert gelegt werden! Es ist nicht erwiesen, daß der Angeklagte in diesem Falle sich so verhalten hat, wie es vom Staatsanwalt hingestellt wird. In dem Anklagefalle Noack, den der Staatsanwalt noch aufrecht erhält, weiß man gar nicht, wer geschädigt sein soll und wem gegenüber falsche Vorspiegelungen gemacht sein sollen. Es ist gar nicht zu begreifen, was ein Jurist in diesem Falle mit dem Betruge wollte. Bei dem Automobilkauf von der Firma Horch ist auch nicht die geringste falsche Vorspiegelung vorgekommen. Der Verkäufer des Wagens hat sich von vornherein gesagt, daß der Angeklagte in die größten finanziellen Schwierigkeiten bei der Anschaffung dieses Wagens kommen und sich unter Umständen sogar auf den Wagen Geld leihen mußte. Dem Angeklagten ist im Falle Horch noch der Vorwurf der Unterschlagung gemacht worden, doch fehlen sämtliche Tatbestandsmerkmale einer Unterschlagung, denn der Angeklagte hat die bestimmte Hoffnung gehabt, die auch in der Folgezeit sich als richtig erwiesen hat, daß er den Betrag, den er von der Firma Hälsen entliehen hat, zurückzahlen und dann auch das Automobil zurückerhalten werde. Es ist nicht zu verstehen, wie man hier gegen den Angeklagten wegen Unterschlagung Anklage erheben konnte, den Inhaber der Firma Hälsen aber mit einer Anklage verschont

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 6. Hermann Barsdorf, Berlin 1912, Seite 258. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_6_(1912).djvu/262&oldid=- (Version vom 31.12.2022)