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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 6

sich trägt. Ich habe nach den mehrfachen Unterredungen, die ich mit dem Angeklagten hatte, die Überzeugung erlangt, daß er noch ein nützliches Glied der menschlichen Gesellschaft werden kann. Er bereut aufrichtig seine Tat. Ich bitte Sie deshalb, nur die Frage wegen Totschlags zu bejahen. – Der Angeklagte versicherte nochmals, daß er nicht die Absicht hatte, den Apothekenbesitzer zu erschießen, er habe im Augenblick keinen andern Ausweg gewußt und ohne jede Überlegung gehandelt. Er bereue aufrichtig seine Tat. Er habe auf dem langen Wege von Brasilien nach Magdeburg sich vorgenommen, zu leugnen und möglichste Ruhe und Kaltblütigkeit zu bewahren, da er wußte, daß er zum Tode verurteilt werden könnte. Er sei kein Jurist. Wenn er gewußt hätte, daß er nur wegen Totschlags verurteilt werden könnte, dann hätte er sofort ein offenes Geständnis abgelegt. – Die Geschwornen bejahten die Schuldfrage wegen Totschlags und auch die Schuldfrage, ob der Angeklagte bei Begehung eines Verbrechens, um ein ihm entgegenstehendes Hindernis zu beseitigen, bzw. sich der Ergreifung auf frischer Tat zu entziehen, vorsätzlich einen Menschen getötet hat. – Staatsanwalt Schütte beantragte, mit Rücksicht auf die große Gemeingefährlichkeit des Verbrechens und auf die Frivolität, mit der der Angeklagte gehandelt habe, lebenslängliche Zuchthausstrafe und dauernden Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte. – Der Verteidiger, R.-A. Dr. Boré, ersuchte, dem Angeklagten, der doch zweifellos in Eingebung des Augenblicks gehandelt habe, die Möglichkeit zu lassen, wieder ein ordentlicher Mensch zu werden. Er (Vert.) bitte deshalb den Gerichtshof, auf eine zeitige Strafe zu erkennen, und zwar nicht über die Mindeststrafe von zehn Jahren hinauszugehen. – Vors.: Angeklagter, haben Sie noch etwas zu sagen? – Angekl. (nach einigem Zögern): Ich will mit meinem Verteidiger sprechen. – Der Angeklagte erklärte schließlich nach nochmaliger Frage des Vorsitzenden, daß er nichts weiter zu

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 6. Hermann Barsdorf, Berlin 1912, Seite 68. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_6_(1912).djvu/72&oldid=- (Version vom 10.12.2022)