Seite:Immanuel Kant Über Pädagogik Königsberg 1803.pdf/69

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sich jetzt verhalten sollen, haben sie noch nicht kennen gelernt. – Die Regel, die man also bey Kindern von Jugend auf beobachten muß, ist diese, daß man, wenn sie schreyen, und man glaubt, daß ihnen etwas schade, ihnen zu Hülfe komme, daß man aber, wenn sie es aus bloßem Unwillen thun, sie liegen lasse. Und ein gleiches Verfahren muß auch nachher unabläßig eintreten. Der Widerstand, den das Kind in diesem Falle findet, ist ganz natürlich, und ist eigentlich negativ, indem man ihm nur nicht willfahrt. Manche Kinder erhalten dagegen wieder Alles von den Eltern, was sie nur verlangen, wenn sie sich aufs Bitten legen. Wenn man die Kinder Alles durch Schreyen erhalten läßt, so werden sie boshaft, erhalten sie aber Alles durch Bitten, so werden sie weichlich. Findet daher keine erhebliche Ursache des Gegentheils Statt: so muß man die Bitte des Kindes erfüllen. Findet man aber Ursache, sie nicht zu erfüllen: so muß man sich auch nicht durch vieles Bitten bewegen lassen. Eine jede abschlägige Antwort muß unwiderruflich seyn. Sie hat dann zunächst den Effekt, daß man nicht öfter abschlagen darf [1].


  1. Es giebt wenige eigentlich schlechte Menschen in der Welt, d. h. solche, die es aus Grundsatz sind. Dagegen aber giebt es viele, die den Charakter verlohren haben, oder richtiger, die nie Charakter hatten, und daraus geht das meiste Uebel hervor. Die Hauptaufgabe alle Pädagogik ist demnach, die Bildung der Kinder zu einem Charakter nach Begriffen des Rechtes, nicht der Ehre, denn diese letztere schließen den Charakter aus. Die Grundlage dieser Bildung ist das Beyspiel, und welches Beyspiel kann hier wohl schädlicher würken, als das des Mangels an eigner Haltung, an eignem Charakter, der auch dem Kinde schon in der schwachen Nachgiebigkeit der Eltern einleuchtet? In diesen eben liegt die Quelle der Charakterlosigkeit der Kinder.
              A. d. H.