Seite:Immanuel Kant Über Pädagogik Königsberg 1803.pdf/70

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Gesetzt es wäre, was man doch nur äusserst selten annehmen kann, bey dem Kinde natürliche Anlage zum Eigensinne vorhanden: so ist es am besten, in der Art zu verfahren, daß, wenn es uns nichts zu Gefallen thut, wir auch ihm wieder nichts zu Gefallen thun. – Brechung des Willens bringt eine sclavische Denkungsart, natürlicher Widerstand dagegen, Lenksamkeit zuwege.

Die moralische Kultur muß sich gründen auf Maximen, nicht auf Disciplin. Diese verhindert die Unarten, jene bildet die Denkungsart. Man muß dahin sehen, daß das Kind sich gewöhne, nach Maximen, und nicht nach gewissen Triebfedern zu handeln. Durch Disciplin bleibt nur eine Angewohnheit übrig, die doch auch mit den Jahren verlöscht. Nach Maximen soll das Kind handeln lernen, deren Billigkeit es selbst einsieht. Daß dies bey jungen Kindern schwer zu bewirken, und die moralische Bildung daher auch die meisten Einsichten von Seiten der Eltern und Lehrer erfordern, sieht man leicht ein[1].


  1. Schon vorhin habe ich angedeutet, daß diese Maximen, nicht Maximen der Ehre seyn können, sondern die des Rechtes seyn müssen, indem jene sehr wohl, aber nicht diese, mit Charakterlosigkeit bestehen können. Dazu kommt, daß Ehre etwas ganz Conventionelles ist, was erst gewissermaßen entlernt werden muß, und wozu es der Erfahrung bedarf. Auf diesem Wege läßt sich daher erst spät an die Bildung des Charakters denken, oder vielmehr, sie wird erst spät möglich. Dagegen liegt die Vorstellung von Recht tief in der Seele jedes, auch des zartesten Kindes, und man thäte daher sehr wohl, statt dem Kinde zuzurufen: Ey, so schäme dich doch! es immer auf die Frage zurückzuführen: Ist das auch recht?
              A. d. H.