Seite:Ramdohr-Venus Urania-Band 3.1.djvu/327

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

gewiß nicht an: dafür bürgen mehrere nicht weibliche Stellen. [1] Uebrigens die nehmliche Empfindungsart, die ich am Tibull charakterisiert habe! Dieß ist für mich wichtiger, als der Umstand, daß sich eine Verschiedenheit im Styl des Ausdrucks zwischen diesen und den vorigen Gedichten findet. Der Styl der Gefühle ist der nehmliche: und das Anspruchslose, zum Theil Nachläßige, was die Einkleidung der Lieder der Sulpicia unterscheidet, dürfte bereits daraus erklärbar seyn, daß sich der Dichter an die Stelle eines Frauenzimmers gesetzt hat.

Genug! diese Liedersammlung macht eine kleine Liebesgeschichte aus, aber die lieblichste, die je geschrieben seyn mag. Kein Roman, in dem Sinne, wie wir das Wort zu nehmen gewohnt sind! Keine Intrigue, bey der die Eroberung eines Herzens, oder gar der Besitz einer Hand, als endlicher Zweck der fortlaufenden Handlung angesehen wird. Nein! eine Pieçe a Tiroirs, ein Drama das sein Interesse nicht sowohl der Verwickelung und Auflösung, als der Darstellung mehrerer zusammenhängender Scenen aus einer Situation des Lebens verdankt. Unsre beyden Liebenden sind schon bis zur engsten Vertraulichkeit vereinigt, und an eine Verbindung unter Autorität der Gesetze denken sie nicht. Der Plan ist auf Darstellung der kleinen Auftritte angelegt und eingeschränkt, die eine glückliche, durch keinen Bruch gestörte Liebe herbeyführt. Nur der[WS 1] einzige Umstand tritt hinzu, das Interesse ihrer Situation zu erhöhen: Sie müssen sich heimlich lieben! Sulpicia, die Tochter, eines vornehmen Hauses, darf ihre Neigung zum Cerinth, einem Jüngling, der nur an äußern Verhältnissen ihr ungleich ist, nicht bekennen. Also wieder eine römische Intrigue: und hier sogar von


  1. [326] Besonders das Carmen VIII. und die Stelle:

    Sed peccasse juvat: vultus componere famae
    Taedet: cum digno digna fuisse ferar.

    Ich will nicht sagen, daß es mit dem geringsten Ueberbleibsel von Scham nicht zusammenstimmt, sondern nur dieß, daß es mit der ganzen übrigen Feinheit der Denkungsart der Sulpicia, ja was das Wichtigste ist, nicht mit ihrer Situation zusammenpaßt. Hier scheint der Mann, und besonders der Dichter durch, der (Lib. II. Eleg. III. v. 31.) sagen konnte: Sed cui sua cura puella est, fabula sit, etc.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: der der (siehe Verbesserungen)