Seite:Ramdohr-Venus Urania-Band 3.1.djvu/403

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Ich muß mich auch hier, um nicht zu weitläuftig zu werden, eines förmlichen Auszuges enthalten. Es ist der erste Hirtenroman, den wir kennen, und der zu allen folgenden nicht sowohl das Vorbild, als die Idee hergegeben hat. Zwey Fündlinge von reichen und vornehmen Eltern geboren, aber von diesen ausgesetzt, wachsen unter Hirten auf, lieben sich mit aller derjenigen Naivetät, welche diesem Stande in der Dichterwelt beygelegt wird, bestehen einige Gefahren, die ihrer Liebe drohen, werden aber endlich von ihren Eltern wieder erkannt, und mit einander verheirathet.

In den Hauptmomenten kommen Longus und Tatius mit einander überein. Bey beyden ist das Ziel der Handlung die Verheirathung eines liebenden Paares: bey beyden liegt der Knoten in den Schwierigkeiten, die sich der Ehe entgegensetzen: bey beyden erscheinen die Verliebten ohne Selbstthätigkeit als Bälle äußerer Umstände: bey Beyden ist das Mädchen treuer als der Jüngling: bey beyden biethet endlich der Zustand der Bewerbung, oder vielmehr der Verlobung der Herzen die bequemste Veranlassung zu Schilderungen der Freuden der Geschlechtssympathie an die Hand.

Daß der Gang des Schauspiels beyde in ihrer Intrigue geleitet habe, scheint mir außer Zweifel zu seyn. Wahrscheinlich hat Longus den Stoff eines alten satyrischen Dramas, eines Hirtenspiels, zu diesem seinen Hirtenromane ausgesponnen.

Inzwischen zeigt sich in der Behandlung eine große Verschiedenheit zwischen dem Tatius und dem Longus. Der Knoten, dessen Auflösung den Leser