Seite:Ramdohr-Venus Urania-Band 3.1.djvu/76

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seiner Gattin, die keine unmittelbare Existenz im Staate hatte, annehmen durfte.

In der Iphigenia in Aulis ist es mir sehr merkwürdig gewesen, daß Klytemnestra nach einer Abwesenheit von mehreren Monaten ihren Gemahl Agamemnon mehr wie einen Herrn, als wie einen Gatten begrüßt; daß die Tochter schüchtern die Mutter fragt, ob sie ihren Vater wohl umarmen dürfe, und daß Agamemnon der ersten auch nicht mit einer Sylbe auf ihre Anrede antwortet. Gehört dieß der atheniensischen guten Sitte, oder dem individuellen Charakter des Königs der Könige, der als Herrscher und Despot selbst in seiner Familie dargestellt werden soll? Ich glaube das Letzte, ob ich gleich zugebe, daß die Athenienser eine solche Behandlungsart der Gattin von Seiten des Mannes weniger empörend gefunden haben, als wir.

Als Klytemnestra den Agamemnon fragt: ob Achilles, der bestimmte Gemahl Iphigeniens, ihre Tochter weit wegführen werde, antwortet er: „Darüber entscheidet der Mann!“ – – Weiter unten spricht er: „Höre, was ich verlange: Gehorche!“ und sie fordert seine Befehle. „Seit langer Zeit“, sagt sie, „hast du mich an unbedingten Gehorsam gewöhnt!“ Als er inzwischen verlangt, daß sie sich sogleich entfernen, und ihre Tochter zurück lassen sollte, weigert sie sich, und schwört bey der Juno, daß sie nicht abreisen werde! „In Dingen außer Hause bist du Herr“, spricht sie, „aber die mütterlichen Sorgen gehören mir.“ Diese Widerspenstigkeit bringt den Agamemnon zu der Bemerkung: daß ein kluger Mann entweder eine nachgiebige Frau, oder gar keine heirathen sollte. Ein Wort, das